Zur Situation der bayerischen JVA. (aus aktuellem Anlass)
Die Gefängnisse in Deutschland sind „hochgradig sanierungsbedürftig“ sagt der Bund der Strafvollzugsbediensteten BSBD. Millionen werden deshalb derzeit deutschlandweit für die Sanierung oder Neubauten von Justizvollzugsanstalten, kurz JVAs ausgegeben: Hessen plant bis zu 800 Millionen Euro in seine 16 Gefängnisse zu investieren, Koblenz rüstet nach, in Bremen sind rund 70 Millionen Euro veranschlagt, Wuppertal sieht ebenfalls Sanierungsstau und Berlin will das alte Gefängnis Tegel von 1898 ab 2024 grunderneuern. Die JVA Stadelheim in München ist noch älter: Seit 1894 können bis zu 1400 Häftlinge auf dem ehemaligen Gutsgelände Stadelheim untergebracht werden. Hitler saß dort, der erste bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner, die Mitglieder der Weißen Rose ebenso wie Beate Tschäpe und die Mitglieder der Letzten Generation. Die sanitären, medizinischen wie auch baulichen Bedingungen seien teilweise katastrophal, sagen Häftlinge und Anwälte.
Die Musikfetzen des kleinen Polizeiorchesters wirken mitten auf dem gut 14 Hektar großen Gefängnisgelände der JVA Stadelheim seltsam deplaziert. Rundum sieben Meter hohe Mauern, massive Stacheldrahtzäune, Flutlichter, Wachtürme. Seit acht Jahren wird hier der Neubau für kranke Gefangene geplant, deren Zahl in den letzten Jahren massiv gestiegen ist. Drogenabhängige, hochinfektiöse Gefangene, psychisch Schwerstbeeinträchtigte.
Bis zum Bezug der neuen Krankenstation 2025 werkeln noch die Bauarbeiter an dem dreistöckigen Betongebäude. Bodenlange Fenster, große Krankenzimmer, helle Flure, bemerkt Anne Franke, Grünenpolitikerin und stellvertretende Vorsitzende des Anstaltsbeirates. Ein auffälliger Gegensatz zu den umliegenden teils 130 Jahre alten Gebäuden:
Also die schlimmste Situation ist im Westbau, da bekomme ich sehr viele Briefe von Gefangenen, die sich über die Zustände beschweren, also da sind ganz kleine Zellen, die gerade so die Menschenwürdigkeitskriterien erfüllen, also das ist wirklich am Rande, es geht um die 7 Quadratmeter, und die sind gerade etwas drüber, dann haben sie sehr, sehr hohe Fenster, aus denen man nicht rausschauen kann, sehr, sehr heiße Temperaturen im Sommer, weil es eben nicht gedämmt ist.
Der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter, eine unabhängige Organisation zur Aufdeckung von Missständen in deutschen Gefängnissen, würde sicher einiges auffallen bei einem Besuch von Stadelheim, ist Franke überzeugt. So beklagen sich Häftlinge darüber, dass nachts teilweise das Licht in den Zellen angeschaltet bliebe, Toiletten- und Waschbereich ohne Sichtschutz direkt in der Zelle seien und die hygienischen Zustände aufgrund der über 130 Jahre alten Mauern erbärmlich wären. Das werde ihm auch erzählt, bestätig Rechtsanwald Konstantin Grubwinkler, dessen Kanzlei täglich in der JVA Stadelheim Mandanten besucht:
OT Grubwinkler:
In einigen der Zellen von Stadelheim saßen vor mehr 100 Jahren schon Literaten, Schriftsteller, Kommunisten oder auch Politiker, wie Bayerns erster Ministerpräsident Kurt Eisner, später Sophie und Hans Scholl. In den 60er Jahren wurden weitere Gebäude hingeklotzt. Zuletzt 2016 ein Hochsicherheitsgerichtssaal für 17 Millionen wegen des NSU-Prozesses. Nach einem Tag musste der wieder geschlossen werden und wird seitdem nicht mehr genutzt.
Anstaltsleiter Michael Stumpf, der seit 1989 in Stadelheim arbeitet, hätte gern eine andere Situation:
Also wenn es nach mir geht lieber gestern als heute. Wir haben eine Gesamtausbauplanung. Auf dem Anstaltsgelände kann jetzt ein sogenannter Erweiterungsbau in den nächsten Jahren errichtet werden, dann können wir in die Altbauten gehen und die auf Vordermann bringen, bei den Ost- und Westbauten mit den Betonplatten gehen wir eigentlich davon aus, dass die nicht entkernt sondern komplett neu aufgebaut werden müssen.
Irgendwann gab es einmal die Idee, das Gelände aufzugeben, aufgrund der Nazivergangenheit in den 30er und 40er Jahren mit einer der höchsten Hinrichtungszahlen in Deutschland. Kein Platz, kein anderes Grundstück, so der Anstaltsleiter.
„Es besteht dringender Bedarf für einen Neubau in der Justizvollzugsanstalt München“, gibt das Justizministerium in München zu. „Der Nordbau der JVA ist sanierungsbedürftig, West- und Ostbau können nicht mehr saniert werden“, heißt es in einem Schreiben an den Deutschlandfunk.
Doch gerade diese Unterkunftsgebäude bilden laut Justizministerium „einen wesentlichen Teil der Belegungsfähigkeit der Anstalt“, Pläne für ein zusätzliches Unterkunftsgebäude gäbe es. Das Projekt werde auch „priorisiert“. Wann genau damit begonnen wird oder der Bau genutzt werden kann – weiß keiner:
Wir werden schauen, wenn die Aufträge kommen, dann werden wir die so gut es geht abarbeiten, dazu brauchen wir aber auch Fachkräfte.
WENN die Aufträge dann kommen, wiegelt Bayerns Bauminister Christian Bernreiter ab, der sich den Kopf derzeit vor allem über den stagnierenden Wohnungsbau zerbricht.
Justizvollzugsanstalten fallen im Denken der Politik und Ministerien ganz oft hinten runter, weiß René Müller, Präsident des Bundesverbandes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands:
Wenn ich mal so einen Sanierungsbedarf schätzen soll dann gehen wir deutschlandweit da in den Milliardenbereich. Viele Länder haben das schon erkannt, nicht zuletzt weil in einigen Bundesländern Anstalten ad hoc geschlossen werden mussten, weil sie drohten zusammenzustürzen.
Nicht nur die Häftlinge, auch seine Kollegen und Kolleginnen, die Vollzugsbeamten leiden seit Jahren unter den baulichen Zuständen. Sei es eine unerträgliche Akustik, jahrzehntealte analoge Kommunikationstechnik oder Räumlichkeiten aus dem 19. Jahrhundert, so Müller:
Das ist eine Erfahrung, die wir leider seit Jahrzehnten machen: Mit Justizvollzug wird keine Politik gemacht. Investitionen in JVAs sind nicht populär. Landläufig gibt es die Meinung, Gefangene bei Brot und Wasser halten, aber es geht ja um Resozialisierung. Zur Resozialisierung gehören natürlich auch moderne Bauten.
So viel wie Bayerns Nachbar Hessen, nämlich 800 Millionen Euro, plant kein anderes Bundesland derzeit ein. Bayerns Justizministerium spricht seinerseits von einem „hohen, zweistelligen Millionenbetrag“, der jährlich für bauliche Maßnahmen verausgabt werde. Die Gelder gehen aber vorwiegend in sowieso notwendige Brandschutz- und Sicherungsmaßnahmen. Zwei Neubauten sind geplant.
Woher genau die notwendigen Mitarbeiter in den neuen JVAs Deutschlands kommen sollen, ist ein weiteres Problem: 2000 Stellen sind derzeit unbesetzt, betont derP räsident des Bundesverbandes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands, notwendig wäre mindestens das Doppelte. Auch zur Sicherheit der Gesellschaft. Denn jeder Häftling verlässt irgendwann auch wieder das Gefängnis. Ob mit guten oder schlechten Erfahrungen, resozialisiert oder nicht, gibt der Bundesverband mit seinem obersten Strafvollzugsbediensteten René Müller zu bedenken:
Also, da muss ich ganz ehrlich sagen, da nehme ich kein Blatt vor den Mund: Derzeit sind wir froh, dass wir die Sicherheit der Anstalten leisten können. Da liegt auch das Hauptaugenmerk. Resozialisierung findet nur noch temporär statt, weil wir viel zu wenig Personal haben. Stellen Sie sich vor, wir haben eine Station mit 70/80 Häftlingen und haben einen Kollegen, der da als Ansprechpartner fungiert… Ich sage es mal ganz salopp, wir sitzen auf einem Pulverfass und sehen zu, dass die Lunte kein Feuer fängt.
ENDE