Noch sind es Vorwürfe, sehr schwerwiegende Vorwürfe, die seit dem Start ihrer Europatournee Deutschlands bekanntester Metal-Band Rammstein vorgeworfen werden. Eine systematische Ausnutzung von weiblichen Fans für ausschweifende After-Show-Parties, inklusive Drogen. Die Ermittlungen laufen noch, solange gilt die Unschuldsvermutung. Die Band bestreitet die Anschuldigen und hat Anwälte beauftragt.
Riesige Feuerfontänen, den Himmel durchkreuzende Lichtdome, grelle Schlaglichter zu epischen Metalriffs – Rammstein weiß, wie man den Adrenalinspiegel des Publikums nach oben jagt. Egal ob Frauen oder Männer. In großen Gruppen pilgerten die Fans gestern zum Auftaktkonzert in München. 240 000 Tickets, alle vier Shows – ausverkauft. Von den 60 000 Zuschauern pro Abend versuchen einige enttäuschte Fans, ihre Tickets wieder zu verkaufen, aber die meisten reisen an, aus ganz Süddeutschland – Stuttgart, Kassel, Thüringen oder Österreich. Es scheint egal, welche Vorwürfe gegen Frontmann Till Lindemann und seine fünf Musiker erhoben werden:
Wenn man hier eingeladen wird, weiß man, was auf einen zukommt. Drogen und Sex. Wenn man dann sagt, hey, wir wurden total überrascht – das ist einfach an den Haaren herbeigezogen.
Wir finden die Musik einfach cool und was da geschieht mit den Frauen, das ist total lächerlich, denn wenn ich als Frau da vorne stehe, dann weiß ich, warum ich da stehe.
Wenn man so eine Einladung annimmt, dann macht man das nicht ohne Hintergrund, oder?
Im Publikum junge Frauen in Highheels-Stiefeln, kunstvoll geschminkt und im schwarzen Lederdress, die mutmaßliche Zielgruppe des jetzt unter Missbrauchsverdacht stehen Sängers Till Lindemann:
Also wir haben versucht, so weit vor wie möglich zu kommen mit dem gelben Bändchen, sind extra früh gekommen, wir haben zwei Männer dabei. Nee, man soll darüber ja keine Scherze machen, man weiß ja nicht, was da dran ist, aber wir haben jetzt keine Bedenken oder so.
Die Show wird Klasse, ich war letztes Jahr schon mal in Leipzig und das ist einfach Klasse.
Spätestens bei dem Klassiker „Engel“ hat Rammstein seine Fans in München hinter sich. Die Enthüllungsvideos und Diskussionen um ein mutmaßliches perfides System, das junge Frauen direkt auf social media-Kanälen auswählt, gefügig macht und für Sexparties vorbereitet, will niemand im Münchner Olympiastadion mehr hören. Nach der Trennung der Band von einer russischen, sogenannten Castingdirektorin, der mutmaßlichen Schlüsselfigur bei den Vorwürfen, scheint die Causa an dem Abend vergessen.
Also ich musste sehr schmunzeln, als er fast angefangen hat zu lachen, als er gesungen hat „Ich will, dass ihr mir vertraut.“ Wenn noch jemand darüber lachen kann, merkt man, es kann nicht ganz so schlimm sein.
Ja, wir haben uns grad drüber unterhalten, wir haben gesagt, also es gibt bei jedem Star, irgendwelche negativen Dinge und es ist ja noch nicht wirklich auf dem Tisch und wir hatten jetzt die Karten seit einem Jahr.
Der laut Band extra auf der Druck Münchner Stadtfraktionen eingerichtete Safe Space für Fans, die sich unsicher fühlen – ist an diesem Abend nicht als solcher erkennbar und Ordnungs- und Sicherheitskräften des Olympiastadions unbekannt. Vor dem Konzert hatte das Management von Rammstein betont, als zweite Maßnahme auch ein sechsköpfiges Awareness-Team für mehr Sicherheit in die Arena zu schicken. Auch sie nicht als solche erkennbar. Und die umstrittene Row Zero? Als der Teil sogenannten Feuerzone blieb sie frei von Fans, dafür stand in der Feuerzone umso mehr Publikum. Münchens SPD-Fraktion zweifelte schon vorab an der Sinnhaftigkeit dieser unterschiedlichen Maßnahmen, wie auch der Auflage, die After-Show-Party zu verbieten. Der Rathausspitze liegt ein Antrag der Grünenfraktion und zwei weiterer Parteien vor, generell die Sicherheitsauflagen auf Konzerten und Festivals zu erhöhen. Juristen sehen den Vorstoß kritisch.
Derweil hat Rammstein die Flucht nach vorn angetreten. Ein hochprofessionelles PR-Team betreut künftig die Auftritte und lenkt die Informationspolitik der Band. Zusätzlich wurden Anwälte eingeschaltet.
„Ich will dass ihr mich versteht“ , heißt es im Song „Ich will“, der an diesem Abend wie alle anderen zwei Dutzend lautstarken Songs ohne Pause abgespielt werden. Etwas mechanisch. Aber die Maschine läuft weiter.
ENDE