Kritik an der aktuellen Praxis und Lösungsvorschläge
Wenn 335 Millionen Dollar an internationalen Corona-Hilfsgeldern plötzlich verschwinden, wenn Hilfsgelder für lokale Projekte von Staatsregierungen zurückgehalten werden aus nicht nachvollziehbaren Gründen und wenn lokale Organisationen hohe Hürden nehmen müssen, um gefördert zu werden durch internationale Geldgeber, so geschehen in Zentralafrika, dann beginnt die lokale Bevölkerung am Sinn von Entwicklungshilfe zu zweifeln. Knapp 54 Milliarden US-Dollar flossen 2022 nach Afrika, ein Viertel aller Hilfsgelder weltweit. Das deutsche Entwicklungsministerium fördert den Kontinent mit knapp 5 Milliarden Euro, soll aber jetzt sparen. Auch die deutsche Wirtschaft fordert eine entwicklungspolitische Zeitenwende.
Während in Deutschland über Klima-Projekte in Peru in Form von Fahrradwegen und eine Kürzung der Gelder für das Bundesentwicklungsministerium diskutiert wird, gibt es die Kritik von afrikanischer Seite an der derzeitigen Entwicklungszusammenarbeit schon länger. Angefangen von einer kompletten Ablehnung jeder westlichen, als neokolonial bezeichneten Hilfe bis hin zur Forderung von einer massiven Erhöhung der Budgets von Entwicklungsbanken, Weltbank und Entwicklungsministerien.
Wohin steuert die Entwicklungshilfe, die längst Entwicklungszusammenarbeit EZ genannt wird, in Afrika, wo der Club der Superreichen immer größer und die Zahl der Ärmsten auch immer größer wird? Auch aufgrund der internationalen Hilfsgelder, so die Kritik von afrikanischer Seite.
Sechzig Jahre nach unserer Unabhängigkeit beruhen unsere Gesundheits- und Bildungsbudgets noch immer auf der Großzügigkeit und Wohltätigkeit der europäischen Steuerzahler. Wir sollten doch in der Lage sein, diese Grundversorgung selbst zu zahlen.
Ghanas Präsident Nana Addo Dankwa Akufo-Addo auf dem Afrika-Europa-Gipfel 2017.
Genau 60 Jahre seit sein Land 1957 unabhängig wurde.
Wir können nicht länger so weiter machen, dass die Politik für unser Land, für unsere Region, unseren Kontinent auf der Unterstützung von Frankreich und Europa beruht, die man uns von dort zubilligt.
Bei uns sagt man: Gib den Menschen keinen Fisch, sondern lehre sie, den Fisch zu fangen.
Philosophiert Peter Musoko, Landesdirektor der Welternährungsorganisation in der Demokratischen Republik Kongo vor einigen Tagen in einem Interview zum Afrika-Süd Korea Gipfel.
Markige Worte, selbstbewusste Äußerungen afrikanischer Politiker. 60 Jahre Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit und die Schere zwischen Arm und Reich klafft in vielen Staaten der Afrikanischen Union weiter auseinander als je zuvor. Schuldenkrise, hohe Inflation in Ghana.
Eine nüchterne Bilanz müsse feststellen, dass die Entwicklungspolitik die UN-Nachhaltigkeitsziele weitgehend verfehle, konstatierte der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) Mitte Februar 2023 in seiner Streitschrift „Zeit für eine entwicklungspolitische Zeitenwende“.
Die Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit wird bei denen, bei denen es ankommen soll, immer größer, weiß dieser 55-jährige Entwicklungshelfer aus dem Niger, der lieber anonym bleiben möchte:
Wenn Sie nach der Effizienz fragen, muss man das schon hinterfragen: die Strukturen, die für die Verwaltung der Entwicklungshilfe eingerichtet wurden, kosten mehr als die Mittel, die heute in den meisten afrikanischen Regionen für die Entwicklungshilfe bereitgestellt werden. Wenn Sie sehen, wie viel Prozent der Mittel für eine Entwicklungsmaßnahme ausgegeben wird, wenn Sie die Kosten für die Verwaltung der Mittel abziehen, die mit der Überwachung der Audits, der Ausrüstung und der Infrastruktur verbunden sind … wenn 20% vor Ort ankommen, ist das schon eine große Leistung.
Für die lokale Bevölkerung, die auf die Hilfsprojekte hofft, immer häufiger eine herbe Enttäuschung. Für sie geht es oft nur um kleine, aber wichtige Hilfen – funktionierende Wasserversorgung, soziale Beratungsangebote für missbrauchte Frauen, funktionierende Wellblechdächer, Solaranlagen, eine Scheune für die Ernte, die verkauft werden soll. Lokale Probleme. Die sich schnell ausweiten: die vermutete Veruntreuung internationaler Gelder durch die Regierung waren mit ein Grund für den Militärputsch im Niger, ist sich Salifov sicher. Der Wahlsieg der Opposition im Senegal ebenso:
Für uns ist die Entwicklungszusammenarbeit ein Konzept, dass sich stark verändert hat und von den Menschen heute anders wahrgenommen wird. Die reine Unterstützung nach der Unabhängigkeit hat heute eine politische Dimension bekommen, ist an Konditionen gebunden. Wenn das Land nicht den Demokratievorstellungen entspricht gibt es kein Geld mehr, auch wenn die Bevölkerung es benötigt.
Leider haben die afrikanischen Regierungen seit der Unabhängigkeit nicht wirklich für die Entwicklung Afrikas gesorgt. Thomas Sankara, der erste Präsident Burkina Fasos hat damals schon gesagt, dass es eine Form der Kolonisierung ist, bei der die Gelder von den Regierungssitzen verteilt werden.
Kritisiert Gerard Bille von der Universität Yaoundé, Kamerun. Und ist damit nicht allein. Seine Forderung: Gelder direkt in lokale Projekte und nicht an die Regierungen zu geben. Denn dort werden für die Vergabe der Hilfsgelder nochmal mehrfach Gebühren fällig, die im Budget der Projekte später fehlen. Genau diese zwischenstaatlichen Verträge sollte es nicht mehr geben, meint der Politikwissenschaftler:
Afrika muss sich emanzipieren, sich vom Einfluss der Kolonialstaaten verabschieden und die Entwicklung des Landes, politisch wie finanziell, selbst in die Hand nehmen. Sein Schicksal selbst bestimmen.
Doch Entwicklungshilfe-Projekte der EU und auch Deutschlands beginnen im fünf- und sechsstelligen Bereich, wie aktuell ein Projekt mit 17 Millionen Euro für Frauenförderung in Kamerun. Millionenbeträge, weil kleine Projekte mehr Arbeit machen, schwerer zu kontrollieren sind. Denn Kontrolle ist nötig.
Die strengen Vergabekriterien sorgen für Frust bei den örtlichen afrikanischen NGOs. Ein Förderantrag über die vom BMZ beauftragte Bonner Agentur „Engagment Global“ kann oft nur gemeinsam mit einer europäischen Partnerorganisation gestellt werden, kritisieren kleine Vereine wie „Coreda“ in Südwestkamerun oder auch „Dikome“, die Schulen und Weiterbildungszentren bauen oder Kaffeeplantagen und Stromanlagen:
Ein Wirtschaftsprüfer werde gefordert, eine Rechnungslegung nach deutschem Recht, so Etuge Sumbede Elvis. Nicht realisierbar in Afrika. Die Forderung der kleinen NGOs: Anträge vereinfachen. Kleinprojekte im Schnellverfahren bewilligen. Und Lieferungen für Hilfsorganisationen von Einfuhrzöllen befreien. Was aber nur in Abstimmungen mit der Regierung funktioniert, die natürlich weiterhin involviert sein will bei Projekten der Entwicklungszusammenarbeit:
Wenn die Gelder nicht richtig verwendet werden oder veruntreut, dann muss es Konsequenzen geben für die Länder. Dass man eine bestimmte Summe kürzt. Kürzlich wurde in Kamerun eine Evaluierung der letzten 5 Jahre durchgeführt und man hat festgestellt, dass die erwarteten Ergebnisse nicht erreicht wurden. Dann sollte man dem Land doch einfach keine Hilfsgelder mehr zukommen lassen.
So der kameruner Politikwissenschaftler über sein eigenes Land. Die Gelder, die Deutschland über das Bundesentwicklungsministerium ins Ausland gibt, werden ständig evaluiert, betont Ministerin Svenja Schulze. Und es werden künftig auch kleinere lokale NGOs direkt gefördert. Eine Neuerung:
Also, wir können genau nachvollziehen, wohin unsere Gelder gehen, wir geben sie nicht einfach irgendjemandem in die Hand und sagen, DU wirst schon was sinnvolles damit machen, sondern das sind konkrete Projekte. Und ich sehe ja, ist das Wasserprojekt am Ende da, können die Kommunen sich jetzt selbst mit Wasser versorgen, es ist sichtbar, ob was passiert ist oder nicht.
Bei Unregelmäßigkeiten schaue man ganz genau hin, betont Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
Deshalb sind wir in vielen Ländern des Sahel, wo es die Militärputsche gab, gar nicht mehr in der Zusammenarbeit mit der Regierung, sondern über Mittlerorganisationen, um die Menschen doch noch zu erreichen im Bereich Landwirtschaft, Ernährung.
Europäische und afrikanische Entwicklungshelfer und -helferinnen vor Ort widersprechen. Elke Scheiner, kürzlich ausgezeichnet mit dem Engagementpreis des Bundesentwicklungsministeriums und seit über 30 Jahren in der Sahelzone mit dem Verein „Afemdi“ unterwegs, arbeitet mit muslimischen Frauen zusammen:
Europa, Deutschland gewähren Milliardenschwere Hilfsgelder, es fehlt jedoch an einer Kontrolle, wohin die Gelder fließen, denn die gehen erstmal in die Staatskasse. Dann in die Ethnien und Familien der Minister und Abgeordneten, so dass bei den Bürgern und an der Basis der sozialen Gemeinschaft nur herzlich wenig ankommt und wenn, dann nur tröpfchenweise.
Eine Kürzung der Gelder, wie jetzt vom Bundesfinanzminister gefordert und wogegen die Ministerin kämpft, wäre überhaupt nicht hilfreich, so Scheiner. Die lokale Bevölkerung sei massiv auf die Gelder angewiesen, sie müssten nur direkt an die Projekte fließen. Genau das hat auch das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen erkannt und setzt auf sogenannte Lokalisationen. Achim Steiner, Direktor der UNDP, United Nations Development Agency:
Also weniger über internationale Institutionen versuchen, Projekte umzusetzen, sondern mit lokalen Institutionen zu arbeiten. Aber dafür müssen wir die Fähigkeiten dieser lokalen Institutionen erstmal aufbauen, den in der heutigen Welt ist zB eine digitale Plattform für viele kleine NGOs noch eine Herausforderung. Je näher das Geld an der Bevölkerung ist, umso eher kann man beobachten, ob die Mittel richtig eingesetzt werden.
Entwicklungszusammenarbeit also verstärkt auf lokaler Ebene, wie es eine Vielzahl von deutschen Vereinen aus Privatinitiative bereits in Afrika tun und auch die Entwicklungsbanken und die reformierte Weltbank beabsichtigen?
Das Bonner Institut Deval evaluiert den Einsatz und die Wirkung der Hilfsprojekte des BMZ.
Direktor Jörg Faust warnt vor einem ausschließlichen Rückzug auf kleine NGOs ohne die Regierung mit einzubeziehen. Wichtiger wäre ein gesellschaftliches Miteinander:
Gerade in armen und ärmeren Ländern muss man auch konstatieren, dass sich lokale Organisationen, aus ganz rationalen Gründen, auch ein Geschäftsfeld erarbeitet haben und natürlich dafür plädieren, dass internationale Gelder über sie abgewickelt werden sollen. Hier muss man genau hinschauen… Auf jeden Fall sollte Entwicklungszusammenarbeit lokales know how nutzen, Maßnahmen sollten immer an die lokalen Gegebenheiten angepasst sein. Dann wirkt Entwicklungszusammenarbeit besser.
ENDE