Glockenklöppel für die Welt

Firmenporträt: Rottaler Hammerwerk. Wensauer aus Anzingen.

Am 8. Dezember wird das Pariser Wahrzeichen, die Kathedrale Notre Dame, wieder eingeweiht. Notre-Dame war im April 2019 durch ein Großfeuer stark beschädigt worden. Die Brandursache ist bis heute nicht geklärt, die Ermittler gehen von einem Unglück aus. Die großangelegten Wiederherstellungsarbeiten sind nach fünf Jahren abgeschlossen. Die acht Glocken des Nordturms, die erst 2013 von der französischen Gießerei Cornille-Havard im normannischen Villedieu-les-Poêles erneuert wurden, sind ebenfalls wieder zurück. Wenn sie am 8. Dezember für Prominente aus Politik und Gesellschaft läuten, dann hat auch eine niederbayerische Firma seinen Anteil daran. Sie hat die Glockenklöppel gefertigt.

Bericht im Deutschlandfunk

Tief in Niederbayern, noch hinter Altötting, da liegt Anzenkirchen. Ein Weiler kurz vor der österreichischen Grenze. Am Ortsausgang, an einer Wassermühle, hallen dumpfe Hämmerschläge durch hohe Fensterscheiben einer alten Werkstatthalle. Ein unscheinbarer, kleiner Handwerksbetrieb mit zehn Mitarbeitern, drei Schmieden, und doch ein hidden champion, ohne den viele Kirchenglocken in Europa nicht klingen würden:

Das ist der erste Teil der Werkstatt, die mein Ururgroßvater aufgebaut hat, also die Mauern da an der Seite, die sind 160 Jahre alt.

Eine Reise zum Herzschlag der Glocken ist eine Reise in die Vergangenheit. 1863 startete die niederbayerische Familie Wensauer ihre Schmiedewerkstatt in Anzenkirchen.

Ein normaler bayerischer Handwerksbetrieb, der Werkzeug für den Haushalt und die Landwirtschaft herstellte, ein Traditionsbetrieb, für den es im 19. Jahrhundert im übrigen Pflicht war, Wasserkraft für den Antrieb der gewaltigen Schmiedehämmer zu nutzen. Wie Relikte der industriellen Revolution stehen die eisernen Maschinen aufgereiht in der Werkstatt. Das Schmieröl für die Kolben wird eigens angerührt.

Juniorchef Martin Wensauer:

Die Schmiedehämmer, die sind durchaus, vielleicht nicht hundert Jahre alt, aber doch fünfzig, sechzig, siebzig Jahre alt. Das ist ein sogenannter Luftschmiedehammer, und die Technik, die ist so ungefähr Anfang 1900. Und das hat sich nicht stark verändert, weil es eine sehr ausgereifte Technik ist.

Statt auf Sensen, Pflugschare oder Sichel spezialisierte sich das Rottaler Hammerwerk irgendwann auf Glockenklöppel, kleine für die Stundenglocken, große für die Messglocken. Vor allem als nach dem Zweiten Weltkrieg Ersatz für die von den Nazis eingeschmolzenen Kirchenglocken gesucht wurde. So fertigten die Wensauers die Klöppel für die Thomaskirche und die Nikolaikirche Leipzig, für die Frauenkirche München, den Dom von Speyer.

Die Palette dahinten geht zu einem Kunden nach Slowenien, das ist Deutschland, Frankreich, Holland.

Auf einer anderen Palette liegt ein großer Klöppel für eine Kirche in Wismar.

Also am Anfang, wie ich das erste Mal hier war zum Probearbeiten, das war für mich schon ein tolles Arbeiten, aus so einem Rohling ein Produkt zu schmieden, was man dann auch verkauft weltweit und was praktisch in den Glocken drinnen hängt und man es auch hört. Also das ist schon was Besonderes.

In den zwei riesigen Schmiedeöfen vor Schmied Christian Kirschner, glühen die zentnerschweren Klöppelrohlinge bei gut 1400 Grad. Mit einfachen Hängevorrichtungen schwingt er sie mit einem Kollegen zu den Schmiedehammermaschinen. Dort wird das Blatt, der Schaft, der Ballen und der sogenannte Schwungzapfen präzise ausgearbeiten:

Der Glockenklöppel besteht aus vier Teilen und die müssen von der Gewichtsverteilung, von der Länge, die ganzen Verhältnissen müssen der Glocke und den Gegebenheiten der Glocke angepasst sein.

Genauso entstanden die Klöppel der Glocken von Notre Dame, des Pariser Wahrzeichens. Praktisch ohne Automatisierung oder Robotertechnik – nach einer einfachen technischen Zeichnung, der man das Softwareprogramm nicht unbedingt ansieht. Handarbeit.

Also die beiden, die wo wir da jetzt nach dem Brand neu angefertigt haben, das waren die für die zweitgrößte und die drittgrößte Glocke. Der Klöppel hat knapp 160 Kilo gehabt für die zweitgrößte Glocke und für die drittgrößte Glocke war so 80 Kilo. Sagen wir mal so, mit 160 Kilo ein Klöppel, das ist nichts, was man jeden Tag macht, das ist schon eine Herausforderung.

Klöppel schmieden ist Präzisionsarbeit. Und nicht nur das: Um die teilweise bis zu 500 Jahre alten Glocken nicht zu beschädigen, muss das Material unbedingt weicher Stahl sein, erklärt Wensauer. Ein Problem:

Der Ursprung von dem Stahl ist meistens, also wenn ich auf die Herstellerqualifikationen schaue, dann kommt sehr viel Stahl aus der Ukraine, aus der russischen Föderation, und das ist jetzt momentan schon ein Problem. Die Firmen haben noch einen gewissen Lagerbestand, aber immer mehr wird das zum Problem, weil bei uns in Deutschland wird so ein Stahl nicht mehr hergestellt.

Wensauers sind gut im Geschäft, Glockengießereien aus ganz Europa bestellen bei ihnen die Klöppel, alle dreißig, vierzig Jahre müssen sie ausgetauscht werden. Auch wenn es immer weniger sind: Die Kirchen sparen, Kirchen werden säkularisiert und anderweitig genutzt. Und auch der Nachwuchs, den man früher früher Hammerschmied nannte, heute Metallbauer mit Fachrichtung Gestaltung, dreieinhalb Jahre Ausbildung, fehlt immer häufiger. Die steigenden Strompreise machen der Firma auch zu schaffen. 2013 fertigte Rottaler Hammerwerk schon einmal die Klöppel für Notre Dame, zehn Jahre später sind sie doppelt so teuer.

Wenn im fast 1000 Kilometer entfernten Paris auf der Ile de cité künftig wieder die Glocken der Kathedrale Notre Dame läuten, dann ist Martin Wensauer in Gedanken dabei. Ganz unberührt lässt ihn seine Arbeit nicht:

Naja, es wird ja schon als das Herzstück der Glocke bezeichnet, und wenn dann die Spedition kommt, um sie abzuholen, dann, ich will nicht sagen, dass man dann nachtrauert, aber einen kurzen Winker macht man dann, ja.

ENDE