
Viele Krankenhäuser in Deutschland haben heute keine Perspektiven mehr. Rund 55 Prozent der 1874 Klinken sind überschuldet. Mit Verabschiedung der Krankenhausreform soll das sich ändern, viele Träger sind aber skeptisch. Seit Anfang der 90er Jahre wurden rund 540 der Häuser bereits geschlossen, weitere sind von der Schließung bedroht. Das sorgt vor allem in den ländlichen Gebieten der Flächenländer Baden-Württemberg und Bayern für eine Einschränkung der Notversorgung. Statt in 20 Minuten erhalten Notfallpatienten immer häufiger erst in 30 oder 40 Minuten erste Hilfe. Das wird mehr oder weniger gut durch Telemedizin aufgefangen.
Eine kleine Stadt in Baden-Württemberg musste der Schließung ihrer Klinik dieses Jahr zusehen, wollte das nicht akzeptieren und finanziert sie jetzt selbst, zumindest auf den ersten Blick. Ein Beispiel für andere deutsche Kommunen?
Wir finden es gut, dass es gekauft worden ist und das wieder was draus gemacht wird… Das ist ja auch drüben bayerisch, die haben ja auch nix mehr, Miltenberg hat auch keins mehr, das nächste ist dann Ellenbach und Lohr.
Wertheim am Main. Oben auf dem Wartberg, in Sichtweite zur Landesgrenze nach Bayern, thront die Rotkreuzklinik, ein fast neues Gebäude, ehemals 163 Betten, vier Abteilungen, von der Hals-Nasen-Ohren-Station, über Geburtshilfe, Chirurgie und Innere Medizin. Ein Haus, gebaut für 46 Millionen Euro, eröffnet 2016, geschlossen im Sommer 2024 wegen eines Minus von 6 Millionen Euro jährlich. Ein niedergelassener Arzt betreibt noch die Dialysestation, die Kurzzeit- und Tagespflege des Deutschen Roten Kreuzes hat sich befristet eingemietet. Sonst ist alles leer.

Am Taxistand warten Fahrer und Fahrerinnen auf ihre Dialysepatienten. Seit einem halben Jahr müssen sie und auch die örtlichen Sankas, alle anderen Patienten entweder in die Kreisstadt Tauberbischofsheim, kurz Tauber, fahren – 26 Kilometer entfernt. Oder ins bayerische Lohr, 33 Kilometer. Oder teilweise sogar über die staugeplagte Autobahn bis nach Würzburg, Entfernung 44 Kilometer:
Also da gibt es ja die Stoßzeiten, da braucht man schon eine Stunde, bis man zum Uniklinikum kommt.
Die Taxifahrer in Wertheim sind stolz auf ihre Stadtverwaltung, die die Schließung nicht akzeptieren wollte, die Klinik deshalb kurzerhand gekauft hat und sie im Januar als Bürgerspital mit Grund- und Regelversorgung wiedereröffnen will. Ohne irgendeine finanzielle Unterstützung von Seiten des Landes Baden-Württemberg oder des Landkreises.
Wertheim ist die einzige Kommune, die sich mit ihren 23 000 Einwohnern gegen den deutschlandweiten Trend der Klinikschließungen stemmt.
Wir sind uns des Risikos schon bewusst, dass es eine finanzielle Herausforderung ist, dass es Veränderungen in unserem Haushalt geben muss, aber wir sind zu dem Entschluss gekommen, weil wir denken, dass ohne Krankenhaus ist der Standort noch mehr in Gefahr…
CDU-Mitglied Axel Wältz hat im Gemeinderat für den Kauf der Klinik gestimmt. Über die genaue Summe des wohl zweistelligen Millionenkaufs wurde Stillschweigen vereinbart. Wältz engagiert sich im Sportverein, ist Handwerksmeister. Wenn ein Arbeits- oder Sportunfall passiert, müsse eine sofortige Notfallversorgung möglich sein, davon ist er überzeugt:
38 Minuten bis zur nächsten Notaufnahme, wo ein Herzinfarkt und Schlaganfall behandelt werden kann, wenn das sich etabliert, wer soll dann noch herziehen oder eine Firma aufmachen… Ja, ich bin sehr optimistisch, wir haben ja einen Betreiber gefunden und jetzt haben wir wirklich die Chance, ein echtes Krankenhaus hier wieder zu etablieren.
Seit klar ist, dass Wertheim über seine hundertprozentige Tochter, die Stadtentwicklungsgesellschaft Wertheim, das Gebäude, das Grundstück und das Klinikinventar gekauft hat, geht ein Aufatmen durch die Bevölkerung.
Abgespeckt auf 95 Betten, soll das Haus vor allem mit einer Notfallversorgung Anfang des kommenden Jahres wiedereröffnet werden. In den Krankenhausplan Baden-Württembergs wurde es bereits wieder aufgenommen:
Weil wir der festen Überzeugung sind, dass, wenn wir es nicht tun, es im nördlichen Main-Tauber-Kreis und den angrenzenden bayerischen Kommunen keine adäquate Notfallversorgung geben wird. Schätzungen zufolge, da gibt es eine Berechnung, einen Kliniksimulator, sind mehr als 50 000 Menschen davon betroffen, die künftig länger als dreißig, vierzig Minuten zur Notfallversorgung brauchen.
Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez. Es gab keine andere Möglichkeit als schnell zu handeln, sagt der 36jährige. Ärzte, Pflegekräfte – noch sind sie da. Sein Ziel: ein kommunales Krankenhaus; ein solches war es bis 2008 vor dem Verkauf an einen kirchlichen Träger. Aber:
Da kamen wir zu dem Ergebnis, wenn wir das Krankenhaus rekommunalisieren, die Bettenzahl etwas reduzieren, aber ansonsten den Standort gleich lassen, dass wir ein jährliches Defizit von sechs bis acht Millionen Euro haben werden.

Um die Finanzierung der Notfallversorgung zu stemmen, mussten private Anbietern mit an Bord. Mietverträge mit dem Reha-Anbieter Mediclin AG sowie der Westfalenklinik-Gruppe stehen vor dem Abschluss. Die Westfalenklinik-Gruppe, die eine lukrative Adipositas-Abteilung einrichten will, soll auch die Notfallversorgung im neuen Bürgerspital betreiben. Und genau da beginnt das Problem: Eventuelle Defizite der Westfalenklinik-Gruppe will die Stadt Wertheim mit öffentlichen Geldern in Höhe von bis zu 2,75 Millionen Euro pro Jahr ausgleichen, so der Oberbürgermeister:
Wir gehen das und wir wollen uns das auch leisten, heißt aber auch, dass ich die Gewerbesteuer um 35 Punkte erhöhe, die Grundsteuer um 35 Punkte erhöhe die Vergnügungssteuer um 5 Punkte erhöhe, dass ich die Friedhofsgebühren um 20 Prozent erhöhe, dass wir uns einen Kindergartenneubau nicht leisten können, dass wir uns ein Feuerwehrgebäude nicht leisten können, dass heißt, Geld, das die Stadt Wertheim jetzt in das Bürgerspital künftig gibt, damit da die Notfallversorgung für unsere Menschen abgebildet wird, eine Aufgabe, die nicht die Aufgabe der Stadt Wertheim ist.
Den Landrat des Main-Tauber-Kreises, Christoph Schauder, CDU, begeistern die Wertheimer Pläne nicht, weil erstens:
In der Gesundheitsholding Tauber-Franken sind zwei Krankenhäuser zusammengefasst, das Caritas Krankenhaus in Bad Mergentheim und das ehemalige Kreiskrankenhaus hier in Tauberbischofsheim. Das Caritas hat 434 Betten nach dem Landeskrankenhausplan und das Krankenhaus in Tauberbischofsheim 241, also unterm Strich 675 Betten haben wir hier im Main-Tauber-Kreis.
Der Landrat ist offen für eine Kooperation. Für ihn steht aber zweitens die Frage im Raum, warum und in welcher Höhe kommuale Steuergelder an eine gewinnorientierte Privatklinik gezahlt werden sollten. In diesem Fall an die Westfalenklinik-Gruppe für den Betrieb der Notversorgung:
Eine Bitte der Stadt werden wir im Rahmen der Möglichkeiten lösungsorientiert prüfen. Und zunächst ist es Aufgabe der Stadt, mit ihren Aufsichtsbehörden zu klären, ob es möglich ist, dass kommunales Geld, also öffentliche Gelder, für einen privaten Krankenhausbetrieb zur Verfügung gestellt werden kann und wenn ja, in welchem Umfang.
Wertheims Oberbürgermeister Herrera Torrez sieht sich dagegen auf der sicheren Seite:
Die finanzielle Unterstützung der Notfallversorgung sei nach EU-Beihilferecht rechtlich zulässig.
Die Stadt und das Bürgerspital schließen dafür einen Vertrag, eine sogenannte Ausgleichs- und Betrauungsvereinbarung.
Die Wertheimer sind derweil einfach nur froh, dass die Klinik wieder eröffnet wird, trotz der steigenden Gebühren und der Einschränkungen bei Kita und Feuerwehr. Für diese zwei Frauen ist klar:
Schön, dass man jetzt ein bisschen Sicherheit hat.
Nix schließen, weiter geht’s.
ENDE
Pressegespräch-Erwerb-Rotkreuzklinik-24-08-14-Statements-Fraktionsvorsitzende.pdf (wertheim.de)