Seit Anfang Mai gilt in Tirol an den Wochenenden ein Fahrverbot durch die Kommunen für Privat-PKW, die nach Italien unterwegs sind. Autofahrer, die Staus auf der Inntal- und Brennerautobahn, ausweichen wollen, drohen empfindliche Strafen. Fahrverbote und Einschränkungen durch Blockabfertigungen gibt es seit Jahren auch für den LKW-Verkehr. Italien droht Österreich bereits seit letztem Herbst mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Die EU-Kommission hat jetzt Italien zugestimmt. Ob es tatsächlich zu einer Klage kommt, ist ungewiss, aber es brodelt am Brenner.
Ab dem 1. Juli ist es wieder soweit. Rückstau auf der A8 bei Rosenheim. Blockabfertigung Richtung Kufstein und weiter Richtung Innsbruck. Das heißt, ab Kufstein-Nord werden an einer sogenannten Dosierstelle pro Stunde maximal 250 Lkw durchgelassen. Wird diese Grenze erreicht, müssen die Lastwagen anhalten. Die Folge: kilometerlange Staus.
Allein im Juli sind fünf Termine dafür von Tirol angekündigt worden. Zur Blockabfertigung kommen noch Nachtfahrverbote hinzu, ein sektorales Fahrverbot für bestimmte Güter und ein Winterfahrverbot an Samstagen – Österreich schränke den freien Warenverkehr ein, lautet die Klage von Italien und Bayern seit Jahren, die Alpenrepublik verstoße damit gegen EU-Verträge, hat die EU-Kommission nun bestätigt, sagt Arno Kompatscher:
Die Position der EU-Kommission war zu erwarten.
Südtirols Landeshauptmann wiegelt aber gleichzeitig ab:
Nur wird man mit der Klage nichts lösen können, selbst mit einer Verurteilung Österreichs wird sich nichts lösen, denn am Ende braucht es ein gemeinsames Vorgehen aller drei Staaten.
Dieses gemeinsame Vorgehen gibt es spätestens seit diesem Frühjahr, zumindest auf Landesebene: Mit dem Verkehrsgipfel im April zwischen Südtirol, Tirol und Bayern und der abschließenden Kufsteiner Erklärung sei man auf einem guten Weg gewesen, wie der Verkehr auf der Brennerautobahn reguliert werden könne, betont Kompatscher. Doch jetzt seien die Regierungen in Rom, Wien und Berlin gefordert.
Der Dialog hat leider nicht wirklich stattgefunden.
Bedauert er: Dabei hätten die drei Anrainerregionen eine plausible Lösung vorgelegt: Mit Hilfe eines digitalen Verkehrsmanagementsystem ließe sich der Streit beilegen, sind die bayerischen, tiroler und südtiroler Politiker überzeugt:
Wir sagen es geht mit einem gemeinsamen Managementsystem aller drei Staaten unter Nutzung der digitalen Systeme, wo man ganz einfach sagt, wir lassen nur so viele LKWs auf die Strasse, die auch verträglich sind mit der Verkehrssituation durch ein Anmeldesystem, ein Buchungsystem das ist heute ganz einfach händelbar.
Doch wie viele LKW sind tatsächlich verträglich pro Stunde, pro Tag. Um das festzulegen bedarf es eines Staatsvertrages, der regelt, wie viel Warenverkehr verkraftbar ist, wer an Wochentagen und wer am Wochenende fahren darf. Genau da hakt es derzeit, kritisiert Tirols Verkehrslandesrat René Zumtobel:
Ich bin auch ein Fan, die Blockabfertigung grundsätzlich abzuschaffen, wenn es ein Nachfolgesystem gibt. Und das Nachfolgesystem nennt sich digitales Verkehrsmanagementsystem. Ich glaube, wir hätten eine große Chance, wenn wir auf einer Achse von Bayern über Tirol bis nach Südtirol eine planbare Strasse machen, ich komme von der Schiene, da ist das seit Jahrzehnten Usus, dass man dann fahren kann, wenn man eine Buchung macht.
Das Argument Italiens und nun auch der EU-Komission, Österreich würde den freien Warenverkehr verhindern, kontert Zumtobel damit, dass auf 140 Kilometer im Stau stehende LKW wie im Juni 2017 auch keinen freien Warenverkehr bedeuten:
Es wird am Ende des Tages die Frage sein, ob die Gesundheit der Menschen an so einer Achse über dem freien Warenverkehr steht, wenn es denn zu einer Entscheidung vor einem etwaigen Gericht kommt. Jetzt gibt’s die Klage noch nicht, aber wir brauchen Lösungen.
Neben der Lösung durch ein digitales kostenlosen Verkehrsleitsystem, zum Beispiel mit einer bedienerfreundlichen App, könnte auch eine Erhöhung der Brennermaut zur Lösung des Konfliktes beitragen, sind sich die betroffenen Verkehrspolitiker einig. Laut einer Studie nahmen 2021 29,7% des Schwerlastverkehrs am Brenner einen Umweg von mindestens 60 Kilometer in Kauf, aufgrund der niedrigen Mautkosten. 2023 summierte sich das auf 2,4 Mio. LKW, während insgesamt nur 880.000 LKW die Übergänge der Schweiz nutzten. Eine Mauterhöhung sei eine Lösung, sagt Tirols Landesrat Zumtobel. Sein eigentliches Ziel ist aber, die Verlagerung des Warenverkehrs auf die Schiene. Doch da fehlt vor allem auf deutscher Seite der Bahnzubringer zum Brennerbasistunnel. Stattdessen herrscht in München Schadenfreude über die Stellungnahme der EU: „Die einseitigen Verkehrsbeschränkungen für den Güterverkehr, die Blockabfertigung, das Nachtfahrverbot – all das hat in der Europäischen Union keinen Platz und muss ein Ende haben“, so Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter. Er sehe gute Chancen, „dass die Klage Italiens Erfolg haben wird. Österreich wäre nun gut beraten, endlich einzulenken.“
In Wien bleibt man angesichts der angetrohten Klage gelassen. Das Leben und die Gesundheit der Menschen sei nicht verhandelbar. Man werde vor dem Europäischen Gerichtshof für den Klima- und Gesundheitsschutz und gegen den ungedrosselten Lkw-Verkehr durch Tirol kämpfen und setze auf das digitale Verkehrsleitsystem, betont Tirols Landesrat Zumtobel:
Ich kann natürlich kein Einführungsdatum nennen, wei es von den Nationalstaaten abhängt, aber ich würde mich sehr freuen, wenn es hier mal positive Signale gibt. Weil nichts tun ist keine Option … Und noch einmal, was auf der Schiene funktioniert, funktioniert auch auf der Straße, man muss es nur wollen.
ENDE