Kampf gegen Boko Haram. Ausbau der DDR-Zentren in der Sahelzone als Reintegrationsangebot

Schild zur Einfahrt des Demilitarisierungscamps von Meri/Kamerun

In der Sahelzone in West- und Zentralafrika ist jetzt die Zeit der Dürre. Die Monate der Trockenzeit bedeuten wieder mehr Übergriffe durch die Terrorgruppe Boko Haram. Im Kampf gegen die islamischen Kämpfer hatten sich 2018 die vier Länder der Lake-Tschad-Region – Kamerun, Nigeria, Niger und Tschad – auf die Einrichtung von sogenannten DDR-Zentren geeinigt (Demilitarisierung, Demobilisierung und Reintegration), in denen Boko Haram-Kämpfer ihre Waffen abgeben können und die Möglichkeit erhalten sollen, sich wieder in die Gesellschaft zu reintegrieren. In diesem Jahr wurde in Kamerun die erste von drei geplanten Aufnahmeeinrichtungen eingeweiht, erste Kämpfer wurden aufgenommen.

Deutschlandfunk 2.12.21, Informationen am Morgen
Ehemalige Boko-Haram-Kämpfer vor dem Camp

Der Weg zu dem Camp führt über eine staubige, holprige Sandpiste. Anderthalb Stunden von der Regionalhauptstadt Maroua entfernt. Vorbei an winzigen Lehmhütten und Baumwollfeldern, mitten hinein in den Busch.

Das abgelegene Camp mit den großen gelb getünchten Gebäuden fällt auf in der kargen Landschaft. Draußen an der Mauer sitzen ein dutzend Männer auf einer roten Bastmatte unter einem Baum, Handies in der Hand, Kopfhörer im Ohr, in Jeans oder Jogginghose:

Hallo, wo kommen Sie denn her? Was machen Sie hier?

Fragen die jungen Männer unerwartet freundlich und interessiert durcheinander. Ja, es gehe ihnen gut, meinen sie lächelnd und schauen einen direkt an.

Ein Stück weiter sitzen weitere junge Kerle und spielen im Sand eine Art Mühle-Spiel mit kleinen Steinchen:

Uns geht es hier gut, wir sind Kameruner, waren in den letzten Monaten in Nigeria im Busch und sind jetzt wieder zurück.

Antwortet einer, eher zurückhaltend und leise. Sie alle sind ehemalige Boko-Haram-Kämpfer. Haben in Nigeria gekämpft, geraubt, gestohlen. Was genau sie gesehen oder welche Verbrechen sie begangen haben, das weiß keiner. Ob sie gezwungen wurden mitzukämpfen, aus Armut oder freiwillig dabei waren – danach fragen sollte man sie nicht, wird geraten.

Nur – die wichtigste Frage bleibt:

Warum sie sich denn entschlossen haben, in dem Camp zu leben?

Hier geht es uns und unseren Familien doch gut. Wir hatten einfach kein Geld mehr. Wir hatten überhaupt nichts mehr. Hier bekommen wir Hilfe.

Die jungen Männer stammen alle aus den Kameruner Grenzdörfern nahe Nigeria. Dort müssen sich die Familien seit einigen Wochen wieder nachts außerhalb der Dörfer in Höhlen flüchten, weil die islamischen Terroristen mit beginnender Trockenzeit wieder in den Ortschaften einfallen. Oft rauben sie einfach nur Lebensmittel aus Hunger, nehmen Frauen mit als Sexsklavinnen.

Die Kämpfer, die sich dagegen entschieden haben, wohnen jetzt in dem Camp, zusammen mit ihren Frauen und Kindern.

Die Kinder hinter der Campmauer hört man schon von weitem. Zwei Lehrkräfte versuchen in einem improvisierten Schulunterricht eine Struktur in den Campalltag zumindest für die Kinder zu bringen. Es wird Französisch unterrichtet, Mathematik und ein wenig Naturkunde. Es wird viel gesungen und miteinander gelacht:

Danke für ihren Besuch. Uns gibt es jetzt hier als provisorisches erstes DDR-Camp seit einem Jahr und fünf Monaten. Die Männer können hierherkommen, freiwillig, bislang gab es noch keine Probleme, weder mit der lokalen Bevölkerung noch im Camp selbst.

Ein freiwilliges Angebot

Aloche Majeur Sanda, Chef der Demilitarisierungs-Einrichtung, hat unter einen hohen Baum in den Schatten geladen. Der Offizier des kameruner Militärs leitet das sogenannte DDR-Zentrum und wird unterstützt durch fünf weitere Soldaten und zivile Mitarbeiter. Vorher war er in Meme und Mora stationiert, zwei ebenfalls kleinere Orte noch weiter im Norden, wo vor kurzem im November der Grundstein für das Haupt-DDR-Zentrum Nordkameruns gelegt wurde:

Unser Problem sind eher die Frauen und Kinder. Von den rund 3500 Campbewohnern sind nur 300 Männer. Die Frauen sitzen oft innerhalb des Geländes und die Männer außerhalb. Wir wissen nicht so recht, was wir mit ihnen machen sollen. Für die Männer werden Workshops und Weiterbildungskurse angeboten, aber für die Frauen wurde noch nichts organisiert.

Versuch von Normalität. Die Campschule

Ihr Kind sei gerade 18 Monate alt, sagt eine der jungen Frauen in dem weitläufigen Hof innerhalb des Camps. Fast jede hat ein Baby auf dem Schoss oder auf dem Rücken. In Sandkuhlen stehen die typischen runden Essenskocher, die normalerweise von Nomaden der Sahelzone benutzt werden. Das Mehl und die Hirse erhalten die Bewohner vom Staat.

Eine Frau hängt Wäsche auf eine Leine, andere Frauen haben sich in die kleinen winzigen Verschläge in den Häusern zurückgezogen, die durch Plastikplanen und selbstgebaute Vorhänge abgetrennt sind.

Hier wohnen die Frauen mit ihren Kindern, da die Familien und in einem anderen Haus die ledigen Männer.

Die Einrichtung ist für Männer und Frauen, ja, eigentlich für die Männer, aber sie bringen ihre Familien mit und das sind viel mehr Frauen und Kinder, weil ein Mann ja mehrere Frauen heiraten kann. Die Kämpfer haben bereits ihre Waffen abgegeben, hier sind keine.

Ergänzt Abou Bakary, der Assistent und zivile Büroleiter des DDR-Zentrums von Meri. Er betont, dass Kamerun nur die eigenen Staatsbürger in den neuen DDR-Camps aufnimmt. Weshalb in den benachbarten Staaten Nigeria, Niger und Tschad ebenfalls solche Zentren entstehen sollen, um den Boko-Haram-Kämpfern eine Alternative zu bieten, die nur aus Armut den Truppen gefolgt sind.

Aloche Majeur Sanda, Chef der Demilitarisierungs-Einrichtung

Viele ungeklärte Fragen

Laut neuesten Zahlen stellt Kamerun für die Auffangeinrichtung in Nordkamerun 13 Milliarden Central-Franc, knapp 2 Millionen Euro zur Verfügung.

Gut, wie bei allen neuen Einrichtungen, die vorher noch nie hier existierten, dauert es, bis alles gut funktioniert und aufgebaut wird. Natürlich kann noch vieles verbessert werden.

Gibt Oumar Bichair, der Chef der DDR-Zentren in Nordkamerun, ohne Zögern zu. Anhand der jungen Männer, die wir bereits erreichen konnten, würde ich aber von Erfolg sprechen.

Tatsächlich seien rund 500 ehemalige Boko-Haram-Kämpfer mittlerweile in Kamerun zum Umdenken bewegt worden. Nahmen an den Weiterbildungskursen teil, die im Bereich Automechaniker, Landwirt, E-Commerce oder auch Handwerker angeboten werden.

Die Angebote seien alle freiwillig, betont der Chef des DDR-Camps in Meri, wo die kleinen Kinder jetzt die ersten Buchstaben lernen. Natürlich bestehe die Gefahr, dass einzelne wieder nach Nigeria zurückkehren oder von Kämpfern dazu gezwungen werden. Das könne man nicht verhindern.

Aber es ist ein Angebot.

ENDE