Mit den Augen des Künstlers

Albrecht Dürer zum 550. Geburtstag. Auf den Spuren von Deutschlands Renaissance-Meister durch Nürnberg.

Für die einen ist es unerträglicher Kitsch, für andere höchste Grafikkunst: Der Hase von Albrecht Dürer gehört zu den wohl bekanntesten Bildern in deutschen Wohnzimmern. Die gefalteten Hände folgen gleich danach und sind vor allem auf Grabsteinen zu finden. Die meisten Gemälde sind heute in aller Welt verstreut, viele davon in der Albertina Wien, wo zum Beispiel der Hase unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen und Klimabestimmungen im Archiv gelagert wird.

Am 21. Mai wurde Albrecht Dürer in Nürnberg geboren, also vor genau 550 Jahren. Viel hat sich seitdem in Nürnberg verändert, vor allem nach den Fliegerangriffen im Zweiten Weltkrieg. Doch es gibt noch einige Ecken in der Nürnberger Altstadt, die genauso aussehen wie sie Dürer schon als Kind und später als berühmter Künstler gesehen hat. Einige seiner Werke kann man gut 500 Jahre nach ihrer Entstehung am selben Ort erleben, wo Dürer sie geschaffen hat.

Feature Sonntagsspaziergang Deutschlandfunk

Nürnberg 1509. Leiterwagen rumpeln über die gepflasterten Straßen. Sackpfeifer laufen die Bergstraße Richtung Kaiserburg hoch. Durch das Tiergärtnertor treiben Bauern ihre Kühe und Schafe in die Stadt.

Immer im Frühjahr zieht hier in Hörweite der Schembart-Lauf vorbei, ein Karnevalszug, der viel früher als die Kölner Fasnacht die Stadtoberen aufs Korn nimmt.

In dem großen Eckhaus gleich an der Neutormauer wird in einem der oberen Stockwerke gezeichnet und geritzt. Die fertigen Kupferstiche drucken Helfer unten im Keller, Käufer aus ganz Europa warten auf ihre Kunstwerke. Das imposante, vierstöckigen Fachwerkhaus gehört seit kurzem Nürnbergs Ausnahmetalent Albrecht Dürer, Sohn eines ungarischen Migranten, der sich als Goldschmied gut etabliert hat:

Ja, herzlich willkommen in Nürnberg. Mein Name ist Thomas Eser, ich bin Direktor der städtischen Museen in Nürnberg und freue mich auf ein paar Schritte, einen Spaziergang durch die Nürnberger Altstadt auf den Spuren von Albrecht Dürer.

Leben zwischen Burg- und Bergstraße

Wir haben uns an der Stadtmauer vor dem Tiergärtnertorturm verabredet. Direkt unterhalb der imposanten Kaiserburg stehen rings um den einladenden Platz hohe Fachwerkhäuser, typische mittelalterliche Fassaden, die Straße ist historisch korrekt gepflastert, an den Nachbarhäusern wird kräftig saniert und rekonstruiert. Vieles davon sieht noch genau so aus wie es Dürer gesehen hat:

Wir stehen hier vor Dürers Wohnhaus, einem stattlichen, spätgotischen Fachwerkgebäude, das Dürer 1509 erworben hat, da war er schon vermögend, war schon zu Reichtum gekommen.

Man hat ja das Gefühl, das sieht recht original aus. Was ist denn da noch original, was hat Dürer selbst davon noch gesehen?

Die Besucher des Dürer-Hauses wollen natürlich immer ganz viel Dürer darin finden. Wir Historiker müssen dann immer ein bisschen den Spaß verderben und sagen: Das Haus war vorher schon dagewesen. Das ist etwa 1430 erbaut worden, hatte dann schon namhafte Besitzer. Dürer erwirbt es für 570 Gulden, das ist relativ viel Geld. Wenn Sie heute dadrin Dürer finden wollen, dann müsste man wahrscheinlich in den Dachstuhl gehen und da mag es den einen oder anderen Balken geben, wo er noch seine Hand drauf gelegt hat.

Dürers Nachbarschaft

Wenn der damals 38-jährige Dürer von der Arbeit aufsah und durchs Fenster blickte, dann sah er die Werkstatt des Künstlerkollegen und Bildhauers Veit Wirsberger im Pilatushaus gegenüber. Ein Plausch über Skulpturen, über Kirchenausstattung oder über Altarbemalung könnten die zwei Handwerker gehalten haben. Wirsberger fertigte zu der Zeit gerade die überlebensgroße Kreuzigungsgruppe für das Klarissenkloster, die 500 Jahre später noch immer in der ehemaligen Klosterkirche St. Klara zu sehen ist:

Also mit der Nachbarschaft ist Dürer gut ausgekommen. Es hat einmal ein Problem gegeben als er sich ein Klo hat anbauen lassen auf der Südseite dieses Hauses und da keine Baugenehmigung eingeholt hat, und auch mit den Nachbarn nicht gesprochen hat. Da gab es eine kleine juristische Auseinandersetzung, aber der Rat der Stadt Nürnberg hat dann salopp gesprochen gesagt, das ist so ein berühmter Maler, wir sind so stolz auf den, dem lassen wir das jetzt mal durchgehen und der Nachbar hatte dann das Nachsehen.

Wir gehen jetzt hier von der Burg abwärts – man merkt das auch ganz deutlich, dass es hier runtergeht – ist er hier auch langgelaufen?

Das müssen wir annehmen, dass das sein Weg gewesen ist. Es gibt zwei Straßen, einmal hier die Bergstraße hoch zum Dürer-Haus, vorher war er wohl in der Burgstraße mehr unterwegs, die wir dann später sehen. Da kann man wirklich von der Wiege bis zur Bahre seinen Werdegang abgehen.

Viel zerstört in 550 Jahren, erstaunlich vieles erhalten

Wir gehen vom Dürer-Wohnhaus die Bergstraße Richtung St. Sebald, seine Taufkirche. Hier dürfte Dürer im wehenden Mantel und mit langen Haaren, wie er sich gern malte, seinen Geschäften nachgegangen sein. Nach dem historischen Mittelalter-Flair am Tiergärtnertor rund um das Dürer-Haus stehen heute die Bergstraße entlang fast nur moderne Häuser, Nachkriegsbauten. Im Zweiten Weltkrieg wurde Nürnberg fast vollständig zerstört, trotzdem findet man noch einige Dürer-Ecken, so am Pfarrhof der Kirche:

Wir stehen hier zum Beispiel vor dem Schürstabhaus am Sebalder Platz. Das ist noch ein veritables, komplettes Steinhaus, das war die Luxusausführung eines Bürgerhauses, bis ins siebte Geschoss, wenn man die Dachzone mitzählt. Das hat er so gesehen, wie es dasteht. Daneben, die Nordseite vom Sebalder Pfarrhof, das war die Wohnstätte des sehr mächtigen Probstes von St. Sebald.

Dem Albrecht Dürer einen Großteil seines Erfolges verdankte. Melchior Pfintzing, gefördert von ganz oben vom Kaiser, zählte Dürer zu seinem Freundeskreis. Der Probst ermöglichte ihm die Schaffung des Pfintzing-Fensters in der Sebalduskirche, stiftete den heute viel besichtigten, gotischen Chor der Hauskapelle, der nur während des Zweiten Weltkrieges ab- und später wieder angebaut wurde. Und dürfte ihn auch sonst auf seinen vielen Reisen weiterempfohlen haben:

War das hier sein täglicher Gang zur Kirche? War er denn so kirchlich, dass er immer dort hin ging? Wie muss man sich das vorstellen?

Wir wissen von Dürer, dass er ein frommer Mensch gewesen ist, wie alle seine Zeitgenossen. Er wird ja zur Zeit der Frühreformation groß oder der ersten reformatorischen Überlegungen, so muss man ja sagen. Er ist später ein Verehrer von Martin Luther und durchaus auch mit der Frage beschäftigt, wie lebt man den Glauben richtig. Seine Mutter vor allem wusste das ganz genau, darüber schreibt er uns. Sie sei eine ganz intensive Kirchgängerin gewesen, sehr fromm, und habe ihn und seine Brüder immer angehalten, brav das Kreuz zu schlagen und sich fromm zu verhalten.

Geistiges Zentrum Dürers – St. Sebald

Leise betreten wir das Innere der Sebalduskirche, rechts im Westchor steht Dürers Taufstein.

Ist das der Taufstein, echt? Können wir da mal rüberlaufen?

Also wir haben keine näheren Informationen zur Anfertigung, aber stilistisch können wir das ganz hervorragend in die Zeit um 1430 datieren. Mit anderen Worten: Das war das Taufbecken als Dürer hier zur Welt kam und hier in St. Sebald getauft worden ist. Deswegen dürfen wir guten Grundes sagen, da muss er auch getauft worden sein an diesem Becken.

Einige Jahre später entwarf der erfolgreiche Künstler die Kirchenfenster im Ostchor, die noch heute zu sehen sind.

1525 trat Nürnberg nach kurzer Beratung zum Protestantismus über, im Konsens wie es heißt. Dürer gehört da schon zu den Wegbereitern des Humanismus in Deutschland, hatte Reisen durch ganz Europa unternommen und war immer wieder zurückgekehrt nach Nürnberg.

Rekonstruktion von Dürers letztem Meisterwerk umstritten

Von der Sebalduskirche führt ein kurzer Weg zum Alten Rathaus. Dort konnten Besucher im Großen Saal bis zum Zweiten Weltkrieg Dürers größtes und letztes Meisterwerk bewundern – den “Triumphwagen Kaiser Maximilians I.”, sieben Jahre Arbeit von 1521-1528. Bis zur Ausmalung der Sixtinischen Kapelle das größte Wandgemälde Europas. Im Bombenangriff 1945 komplett zerstört. Diskussionen zu einer Wiederherstellung verliefen bislang ergebnislos.

Quer durch enge Gassen

Vom Alten Rathaus geht der Weg weiter an dem “Schöner Brunnen” mit der berühmten gotischen Kirchturmspitze vorbei, Richtung Fleischbrücke, rechts durch die verwinkelte, historische Altstadt in die stattliche Kaiserstraße, dann links in einen der schmalen Geheimwege Nürnbergs – das historische Stangengässchen, weiter über die Adlerstraße und das Ebracher Gässchen zur Krebsgasse bis zum Kornmarkt.

In dem alten Kartäuserkloster am Kornmarkt lebte Endres Tucher aus der berühmten Tucher-Familie. Sein Verwandter Sixtus Tucher, Kirchenprobst und wichtiger Auftraggeber Dürers zahlreicher Ölportraits, hatte nebenan in der Grasersgasse seine Klause, ein sogenanntes “Studiolo”, berühmt für die Dreipassscheiben und den Druck ” Der reitende Tod” an der Wand.

Heute ist in den Klostermauern das Germanische Nationalmuseum untergebracht, das die Dreipassscheiben und das Muttergemälde aufbewahrt.

Darüber hinaus verwahrt Nürnberg heute nur noch ganz wenige Dürer-Werke in Nürnberg. Die meisten sind in alle Welt verstreut. Der Grund: Sein Erbe kam nach seinem Tod 1528 sehr schnell unter den Hammer. Die Erben verkauften den Rest 1550 an den Nürnberger Kaufmann Willibald Imhoff. Außerdem beanspruchten Bayerns Kurfürsten das Schaffen Dürers für sich, ebenso die Habsburger Kaiserfamilie, die viele Grafiken in die Residenz Prag und später in die Albertina Wien bringen ließen.

Museumsleiter Daniel Hess in der kleinen Nürnberger Dürer-Abteilung:

Einzigartig sind die Entwürfe Dürers als Designer. Wir haben seinen Hirschhorn-Leuchter ursprünglich aus der Ratsstube und wir haben den Entwurf für die Medaille für Karl V., der leider nie nach Nürnberg gekommen ist, aber eine der ambitioniertesten Münzprägungen überhaupt. Das heißt, wir haben Dürer auch in Facetten, eben nicht nur als Maler und Grafiker, sondern auch als Designer, der wirklich alles gestaltet hat.

Pragmatischer Umgang mit seinem Erbe

Zum Schluss geht der Weg vom alten Kartäuser-Kloster durch die Altstadt Richtung Pegnitz, über die Karlsbrücke, vorbei an pittoresken Flusshäusern durch das Hallertor hinaus aus der mittelalterlichen Stadt. Am 7. April 1528 zog der Leichenwagen mit dem an Fieberschüben und Auszehrung verstorbenen Albrecht Dürer die Johannisstraße entlang zum außerhalb liegenden Johannisfriedhof des gleichnamigen Örtchens.

Der nahezu baumlose Friedhof, 1518 eröffnet und jahrhundertelang Pilgerort für das deutsche Bildungsbürgertum, fällt durch seine ungewöhnlich gleichförmigen, moosbewachsenen Steingräber auf. Auf dem Grab Nummer L 6-649 findet sich die Original-Bronzetafel von Dürer-Freund Pirckheimer mit der Aufschrift:

„Zum Gedenken an Albrecht Dürer; was von Albrecht Dürer sterblich war, liegt unter diesem Grabhügel. Er ging von uns am 6. April 1528.“

Man kann kurz stehenbleiben vor der verwitterten Sandsteinplatte. Die Gebeine von Nürnbergs berühmtesten Künstler liegen dort aber nicht mehr. 23 Jahre lang kümmerte sich die Stadt Nürnberg um die Grabstätte – bis 1551. Danach wurde sie aufgelöst, der geborgene Schädel ging verloren.

Heute ist das “Dürer-Grab” für verstorbene Mitglieder der Akademie der Bildenden Künste reserviert.

ENDE