Nürnberg: Aktionstag gegen Klinikschließungen in Deutschland

Knappe Betten, überfüllte Kliniken, überforderte Ärzte und Pflegepersonal – die Corona-Pandemie zeigt die Defizite bei der medizinischen Versorgung in Deutschland. Alles selbstverschuldet meinen Kritiker. Denn: seit dreißig Jahren werden Kliniken geschlossen, Betten abgebaut. Tatsächlich wurden mitten in der Pandemie 2020 bundesweit zwanzig Krankenhäuser geschlossen, vier davon in Bayern. Die Bettenknappheit – alles selbstverschuldet. Darauf weist heute Nahmittag ab 15 Uhr der Aktionstag “Gegen Klinikschließungen” in Nürnberg hin.

Der Anlaß: Die 94. Gesundheitsministerkonferenz der Länder. Den Vorsitz hat derzeit der Freistaat Bayern, weshalb Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in München erwartet wird, begleitet von bundesweiten Protesten.

Bericht im Deutschlandfunk Deutschland Heute 15.6.21

Die Ernüchterung ist Angelika Pflaum noch immer anzusehen. Noch einmal packt die frühere Chefin der Hersbrucker Klinik-Bürgerinitiative heute vor der Nürnberger Lorenzkirche das große rote Herz aus, auf dem zahllose Unterschriften von Bürgern prangen, darunter eine ganz besonders große von Hubert Aiwanger, Bayerns Wirtschaftsminister und Freie Wähler-Chef. Vor zwei Jahren wurde das Krankenhaus ihrer Stadt Hersbruck vom Träger geschlossen, seitdem Leere:

In der Bevölkerung ist ein großes Bedauern zu spüren. Es wird nicht gepflegt, aber es ist auch noch nicht so heruntergekommen, dass man jetzt von außen erkennen könnte, dass es verfällt.

Irgendwie hofft sie noch immer, dass alles nur ein schlechter Traum war. Vor allem als die Pandemie begann, gab es wieder einen Hoffnungsschimmer:

Wir hatten angeregt, unser Krankenhaus zu reaktivieren, als unser Ministerpräsident Söder davon sprach, Hotels oder Sportstätten als Hilfskrankenhäuser herzurichten. Da kam leider keine Antwort, aber wir glauben immer noch, dass ein Gebäude, das bis vor zwei Jahren noch als Krankenhaus gedient hat, eher dazu geeignet ist, reaktiviert zu werden als ein Hotel oder eine Turnhalle.

Fünf der sieben Belegärzte hätten in der Zwischenzeit ihre Praxen nach Lauf an der Pegnitz verlegt, näher zum dortigen Krankenhaus. Auch der gynäkologische Arztsitz von Hersbruck wurde verlegt. Ein versprochenes ambulantes Versorgungszentrum wird jetzt ein Mehrfamilienhaus mit Arztpraxis.

Gut zweitausend Krankenhäuser hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft noch 2010 gezählt, mittlerweile sind es knapp 1900. Gesundheitsökonomen in Berlin reden von rund 600 Häusern, die eine ausreichende medizinische Versorgung in Deutschland leisten könnten.

Im ländlichen Raum die medizinische Grund- und Regelversorgung rein aus wirtschaftlichen Gründen derart auszudünnen könne nicht Teil der Gesundheitsreform sein.

Hinzu kommt ein weiteres Problem:

Jeder Arzt, jede Ärztin, die im Landkreis umzieht, nimmt den eigenen Kassensitz mit. Eine neue Praxis kann sich deshalb nicht mehr ansiedeln.

Wir erwarten vom Herrn Holetschek und auch vom Bundesgesundheitsminister, dass momentan jede Klinikschließung erstmal ausgesetzt wird.

Klaus Emmerich von der Aktionsgruppe „Schluss mit Kliniksterben in Bayern“ war bis zu seiner Pensionierung im August 2020 selbst Leiter des St. Anna-Krankenhauses von Sulzbach-Rosenberg. Mit 195 Plan- und 53 Reha-Betten ein eher größerer kommunaler Gesundheitsversorger.

Akribisch listet er seit Monaten die Zahl der geschlossenen Krankenhäuser auf, ebenso Kliniken, denen die Schließung droht.

Also im Moment ist der Trend tatsächlich so, dass sich das Kliniksterben wahrscheinlich verschärfen wird… Insbesondere die häufigsten Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung sollen in integrierte Versorgungszentren mit ambulanter Struktur umgewandelt werden.

Gemeinsam mit dem bundesweiten „Bündnis Klinikrettung“ steht auch er heute vor der Nürnberger Lorenzkirche, um gegen den Strukturwandel zu demonstrieren.

Seit 2004 seien bereits zehn von 34 Krankenhäusern östlich von Nürnberg geschlossen worden. Der geplante und teils bereits laufende Prozess sei in ganz Deutschland zu erleben:

Böblingen, Emden, Kehl, Lörrach, Rastatt, Sindelfingen – rund 30 Kliniken seien in diesem Jahr von der Schließung bedroht, zählt das im Dezember 2020 gegründete bundesweite „Bündnis Klinikrettung“ auf.

Und die Verantwortlichen schieben sich gegenseitig die Schuld zu, so Emmerich:

Die Auseinandersetzung zwischen Bund, Bundesländern und den Trägern ist oft sehr grenzwertig. Der Bundesgesundheitsminister sagt, ist ja Ländersache, die Krankenhausplanung, aber er schafft nicht die Voraussetzung für eine ausreichende Finanzierung der Krankenhäuser. Bundesländer sagen, wir haben zwar einen Rahmen und stecken den Rahmen ab, aber die Entscheidung wird vor Ort getroffen. Der Träger sagt wiederum, ich kann ja nichts dafür, ich bekomme zu wenige finanzielle Mittel.

Wenn morgen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in München mit seinem Amtskollegen aus Bayern und derzeit Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz, Klaus Holetschek, CSU, zusammentrifft, dann wird es definitiv nicht um die Krankenhäuser gehen.

Dass die Schließung von Krankenhäusern sehr wohl Thema in Berlin ist, zeigt allerdings der nächste Termin: Für den 21. Juni ist der Krankenhausgipfel mit Jens Spahn und der Deutschen Krankenhausgesellschaft angesetzt.

Das Grußwort kommt von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

ENDE