Vergiss Ibiza. Auf zur Rave-olution!

Techno-/House-Musik zwischen Kommerz und politischem Anspruch.

Clubbing, Kartelle und Menschenschleuser. Der Hardpop-Club von Ciudad Juárez/ Mexiko

Eingang zum Hardpop-Club
Feature Radiokolleg Ö1 Techno-Serie

Die mexikanische Grenzstadt Ciudad Juarez war einst der gefährlichste Ort der Welt, das Epizentrum der Drogenkriege. Heute schleusen die Kartelle Menschen über die Grenze am Rio Grande. Flüchtlinge versuchen die Nachbarstadt El Paso durch Tunnel zu erreichen. Knapp drei Kilometer von der übermannshohen Grenzmauer entfernt, mitten in einem Gewerbegebiet, hämmern am Wochenende Techno-Rhythmen weltbekannter DJ-Stars wie der Belgierin Charlotte de Witte, des Hamburgers Oliver Huntemann oder des Spaniers Paco Osunta. Der Hardpop-Club wurde nach dem Vorbild Berliner Clubs gegründet. Das Logo – ein Adler.

Ein ganz normaler Freitag Abend im Hardpopclub von Ciudad Juarez. Ein schwarzer Rechteckiger Raum mit einer kleinen Empore über der grellbeleuchteten Bar. Rotes Licht flackert im Rhythmus der Bässe. Im Hintergrund sitzen ein paar Jugendliche auf bequemen Sofas. Vor dem DJ-Pult drängen sich gut 5oo Leute. Es wird nicht gedrängelt, die Stimmung ist erstaunlich ausgelassen während draußen auf der sechsspurigen Straße Hupen zu hören sind und ab und zu Polizeisirenen.

Auch vor der Tür keine Probleme. In kleinen Gruppen stehen junge Männer und Frauen zusammen, trinken lokales, mexikanisches Bier. Warum sie heute zum Hardpopclub gekommen sind?

Wir sind wegen der Party hier, wegen der Musik. Wir sind alle hier aus der Stadt, da geht man eben ins Hardpop. Das ist der beste Club hier im Norden, die wurden sogar vom Mag-Magazine ausgezeichnet. Das Hardpop ist überall bekannt, ist der beste kleine Club in Nordamerika, sehe ich auch so.

Die anderen nicken zustimmend. Gegenüber leuchten die Nachtlampen eines großen Supermarktes, danaben die Notbeleuchtung eines Restaurants, ein Stück weiter an dem großen Parkplatz in dem weitläufigen Gewerbegebiet werden die Lichter der Lavanderia, eines Waschsalons, langsam gelöscht:

Also jeder hat hier eine gute Zeit, weg von dem täglichen Stress, das ist das wichtigste hier, Spass haben.

Abend mit Paco Osunta

Von außen wirkt der Hardpopclub wie eine kompakte Lagerhalle. Komplett schwarz angemalt. Direkt neben einer riesigen Mall, die Schwingtüren vom Einkaufszentrum sind gleich neben der Clubtür. Nur an dem Slogan No Egos just music, der sich um das Gebäude zieht, erkennt man, dass aus dem ehemaligen, ganz normalen Café, ein besonderer Treffpunkt geworden ist:

Also wir haben das alles hier angefangen, weil es einfach überhaupt nichts gab für Jugendliche, kein Platz für elektronische Musik und die Techno-Community. Wir sind immer zu den underground-Raves nachts nach El Paso gefahren, meine Freunde und ich, und auch der spätere Hardpopgründer Ricardo Tejada. Irgendwann haben wir mit Hausparties angefangen, kleinen Popup-Events an ungewöhnlichen Orten. Das Haus gehörte den Eltern von Ricardo, da war ein Café drin, das Hippos-Café, so um 2006 rum hat Ricardo entschieden, dass wir einen Club in der Stadt brauchen, weil er viel rumgereist ist durch Berliner Clubs und andere europäische Clubs.

Der Name klingt wie eine trashige Londoner Schwulendisco. Hardpopclub. Ist auch so gemeint, der Gründer lebte lange in London. Jetzt erlebt man hier, nur drei Kilometer von der Grenze entfernt, einen der unwahrscheinlichsten Außenposten des Underground-Techno auf der Welt. Diese kleine, unscheinbare Rave-Box in der unbeständigen mexikanischen Grenzstadt Juárez ist genauso explosiv wie die Stadt um sie herum.
Während in Mexiko überwiegend Hip Hop und seichter Pop zu hören ist, dreht sich im Hardpop alles um ein junges Publikum, das die bekanntesten Techno-DJs hören will, neben den lokalen Nachwuchskünstlern, von denen es immer mehr gibt:

Als wir mit dem Rave angefangen haben war es noch vor nine eleven, also dem 11. September 2001, da konnte man einfach rüber nach El Paso, also in die USA, da gab es schon Techno-Clubs. Nach 2001 wurde es immer komplizierter. Wir wollten aber trotzdem Musik hören, Spaß haben. Und wir wurden immer mehr. Deshalb haben wir was eigenes aufgebaut. Ricardo hat den Club eröffnet, so fing es an.

Juarez, damals eine der gefährlichsten Städte der Welt, war 2001 im festen Griff der Drogenkartelle. Bandenmorde, sich bekämpfende Clans – Normalität. Der Rückzug in einen Musikclub war die Flucht vor der Realität in den underground. So wie die Technobewegung im Chicago der 80er Jahre begonnen hatte. Als Freiraum in einer unsicheren Gesellschaft. Ein safe space in einer Krisenregion.

Wir leben ja heute noch in einer eher unsicheren Stadt und Gesellschaft, mit politischen Probleme, Korruption. Es ist gefährlich. Aber das ist unser Alltag. Was wir hier wollen ist den Leuten die Möglichkeit zu geben ,abzutauchen, einfach mal den Alltag zu vergessen, um einfach mal Spaß zu haben. Das ist ein Ort, wo man einfach man selbst sein kann, sich ausleben kann. Wir versuchen so weit wie möglich, Politik fernzuhalten, auch wenn sie sehr präsent ist, Wir wollen die Leuten einfach einen Platz bieten, wo sie Spaß haben können.

2022 übernahm der mexikanische DJ Hector den Club, Corona sorgte auch hier für einen touchdown. Jetzt steht der Hardpopclub auf der Liste der besten Clubs der Welt, wurde vom Magazin DJ Mag und seinen Lesern zum avantgardistischsten kleinen Club Nordamerikas gewählt. Ein Grund, warum Djs, die sonst nur auf Ibiza auftreten, plötzlich in dieser Grenzstadt auftauchen. So wie der Spanier Paco Osuna:

Mein Freund Hector hat mich eingeladen, deshalb ist es mir eine Ehre hier zu sein und aufzutreten. Es ist so ein kleiner Ort, aber manchmal ist es intensiver in einem kleinen Club aufzutreten als in einem großen.

Ich bin letztes Woche noch auf Ibiza aufgetreten, komme jetzt aus Los Angeles und fahre auch noch rüber nach El Paso in den Club. Aber was wirklich wichtig ist, ist der Vive von den Leuten. Und das ist hier wirklich unglaublich.

In einer Stadt, in der Bandenmorde und sich bekriegende Drogenkartelle zum Alltag gehören, wirkt Hardpop wie eine hedonistische Befreiung. Anders wie in europäishen Clubs, wo die meisten Besucher erst gegen Mitternacht aufschlagen, starten man in Juarez um 21 Uhr mit vollem Haus. Denn es wird nur bis 2 Uhr gespielt.
Seit der Eröffnung im Oktober 2006 ist das Hardpop ein Synonym für Techno, der so rau ist wie sein raues Inneres. Die Exklusivität wird am besten durch die enge Verbindung mit dem Berliner Label Get Physical unterstrichen. Und dem Auftritt deutscher DJs wie Hannes Bieger. Er war kürzlich das erste Mal im Hardpop:

Ich bin ja permanent weltweit auf Tour, sprich weite Reisen und irgendwo spielen, was jetzt nicht immer eine Metropole ist, ist ja was ganz normales für mich… Das ist aber was, was ich total gut finde, weil ich mich als Bürger dieser Welt empfinde und die Welt ist so wie sie ist, aber jetzt speziell was Mexiko betrifft darf man nicht in diese Kartell-Stereotype zu verfallen, die auch durch die Fernsehserien populär geworden sind in den letzten Jahren.

Besonderes Augenmerk wird in der Techno- und House-Szene auf das Soundsystem und die Lichttechnik gelegt, so auch im Hardpopclub. Eine Ausstattung auf internationalem Nivea, was das Publikum wertschätzt und auch dankbar dafür ist, dass internationale Stars wie Charlotte de Witte etwas Ibiza-Feeling in die Stadt Juárez bringen:

Ja, Charlotte war schon hier, Amelie Lens noch nicht, am liebsten hätte ich Sven Väth hier, das ist mein großer Traum, dass er mal hier bei uns auftritt, das wäre das Größte.

Das Logo des Clubs prangt überall in den socialmedia-Auftritten des Hardpopclubs – ein großer schwarzer, stilisierter Adler. Das martialisch anmutende Logo soll sowohl das Wappentier Mexikos symbolisieren. Es erinnert aber auch an den deutschen oder österreichischen Bundesadler. Kein Zufall: Der Club wurde auch nach Berliner Vorbild gegründet.

Die mexikanisch-texanische Grenze. Täglich pendeln tausende Mexikaner in die Grenzstadt El Paso auf der US-amerikanischen Seite. Genauso viele US-Amerikaner nutzen die günstigen Einkaufsmöglichkeiten gleich hinter dem hohen braunen Metallzaun in der mexikanischen Nachbarstadt. Nur der trotz seines Namens sehr unscheinbare Fluss Rio Grande trennt die beiden Städte. Und der hohe Grenzzaun, der vom amerikansichen Expräsidenten und Präsidentschaftskandidat Donald Trump medial ausgeschlachtet wird Er soll die Flüchtlinge abhalten, die in weißen Zelten direkt am oft ausgetrockneten Rio Grande auf ihre Chance für den illegalen Grenzübertritt warten. Meist durch enge Tunnel, die von den Drogenkartellen in den vergangenen Jahrzehnten für den Drogenschmuggel gegraben wurden. Heute werden Menschen geschmuggelt. Für 10 000 US-Dollar pro Person. Doch die meist aus Südamerika stammenden Migranten sind im Stadtbild wenig präsent.

Sie kommen auch nicht in den Hardpopclub, sagt David Teruel. Anders wie im Libanon, wo die Musikclubs Anlauf-und Ankerpunkte für palästinensische Flüchtlinge sind und sein wollen, bleibt die Szene hier im mexikanischen Ciudad Juarez unter sich:

Ich denke, dass wird von den Medien massiv aufgebauscht, alles wird immer viel drastischer dargestellt als es tatsächlich ist. Natürlich gibt es Probleme mit Migranten und Überfällen, aber es ist nicht anders als in anderen großen Städten. Man sollte kein Angst haben, nach Juarez zu kommen, es ist heute eine sichere Stadt. Ich würde fast sagen, Tulum ist viel gefährlicher. Wirklich, da passiert viel mir als hier in Ciudad Juarez.

Die meisten Mexikaner besitzen ein Zehnjahres-Visum erzählt David. Wenn man einen längeren Antragsprozess durchlaufen hat, sei es kein Problem für die Einwohner von Ciudad Juarez, zwischen ihrer Stadt und der praktisch nahtlos übergehenden Nachbarort El Paso hin und her zu wechseln. Die Clubs dies und jenseits der Grenze arbeiten gut zusammen, man teilt sich oft ds booking der Künstler, so werden Kosten gespart und der kleine Künstler-Grenzverkehr sorgt für eine Entspannung der Situation, zumindest in der Musikszene. Denn auch El Paso ist ein großer Hotspot für EDM-Musik und DJs, mit Fans, die Clubs und Musikfestivals füllen.

In El Paso wird das Neon Desert Music Festival (NDMF) organisiert, das Sun City Music Festival (SCMF) sowie das kleinere Trapfest und die Neon Paint Parties. Die Festivals ziehen regelmäßig zahlreiche Fans aus dem gesamten Südwesten an.
Unter den Ravern von El Paso und Ciudad Juarez erkennt und begrüßt man sich mit einem speziellen Handschlag, dem PLUR. PLUR steht für Peace, Love, Unity und Respect. Die Grundsätze, auf denen das gesamte Genre und die Kultur der EDM-Musik beruhen, egal ob im Libanon, in Georgien, auf Ibiza, in Rumänien oder in Indien.

Ob die Prinzipien von Frieden, Liebe, Einheit und Respekt füreinander tatsächlich für alle Clubbesucher in dieser Grenzstadt im Norden Mexiko verbindlich sind, das müssen die Clubbesucher entscheiden. Aber es exisitiert eine gewisse Gemeinschaft dies und jenseits der Grenze, über den hohen Stacheldrahtzaun hinweg.

Naja, wir leben tatsächlich in einer recht gefährlichen und korrupten Gesellschaft, in der der Alltag doch eher nicht so einfach ist. Was wir hier versuchen ist, den Leuten einen Fluchtort zu bieten, wo man einfach nur Spass haben kann, wo sie sie selbst sein dürfen und alles um sich herum vergessen können. Wir versuchen uns von der Politik fernzuhalten und den Leuten einfach nur einen guten Ort zum Abschalten zu bieten.

Eskapismus? Weltfremdheit? Hannes Bieger, als einer der profiliertesten DJs und gut gebuchter Mixtechniker Deutschlands weltweit unterwegs, will in seinem Telefon-Interview von unterwegs dieses oft negativ ausgelegte Image der Technoszene nicht stehenlassen:

Also ich glaube, was man nicht aus dem Blick vergessen darf, ist, bei all diesen Vorwürfen, die der elektronischen Musikszene immer gemacht werden – Eskapismus, Hedonismus, Drogenkonsum, all diese Schlagworte, die da immer ins Feld geführt werden, ist es zuallererst eine Musikszene, die sich aus Subkulturen entwickelt hat, ob es die Schwulenszene in den USA ist oder die schwarzen Musiker in Detroit und Chicago – das heißt dass eine Musik ist, die einen Hintergrund hat, die nicht aus der Welt der alten, weißen Heteromänner kommt, sozusagen. Grundsätzlich glaube ich, ist es schon eine Musikszene, die ein gewisses Versprechen hat und macht und das löst sich oft auch ein, und deswegen sich ls Musiker auch so etwas wie ein Botschafter einer globalen Avantgarde sehen kann in dem Sinne, dass die Szene, bei allen Problemen, die sie auch hat, global gesehen, auch sehr inklusiv ist und eher hilft, Brücken zu bauen als Grenzen zu verfestigen.

ENDE