Reisanbau in Zentralafrika. Zwischen Hoffnung und Aufgabe

Globale Ernährungssicherheit: Reis – Wichtigstes Nahrungsmittel der Welt

Reisfeld in Rey Bouba/Nordkamerun im September
Bericht Ö1 Radiokolleg 2024

Obwohl die Erträge nicht hoch sind, spielt die Reisernte für viele Bauern in West- und Zentralafrika eine bedeutende Rolle. Der wichtigste Reisproduzent des Kontinents ist Ägypten mit rund 4,5 Millionen Tonnen Reis im Jahr, danach folgen Nigeria, rund 3,9 Millionen Tonnen und Madagaskar, 2,3 Millionen Tonnen. Das Reisforschungszentrum (WARDA/ADRAO) an der Elfenbeinküste Cote d’Ivoire konzentriert sich auf die Förderung die Züchtung neuer Sorten. In Kamerun beträgt der Umsatz bei etwa 73,52 Millionen Euro. Der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch laut Statistiken bei rund 2,39 Kilogramm. Obwohl es Reisfelder im Nordwesten Kameruns gibt und auch in der trockenen Sahelzone – der berühmte Reis von Yagoua und Rey Bouba – wird immer mehr Reis aus Thailand importiert. Ein chinesisches Rekultivierungsprojekt auf 1122 Hektar am Fluss Benoué soll die Effektivität der Felder steigern. Doch zu wessen Nutzen?

Reisfeld von Rey Bouba im April

Die Sonne steht hoch am Himmel, sie brennt unerbittlich auf die trockene Erde, ein paar Grashalme liegen dürr zwischen vertrockneten Wasserstellen. Bei jedem Schritt über die Reisfelder von Rey Bouba staubt es. Im April, kurz vor der Regenzeit in Nordkamerun, liegen die Flächen brach, nichts erinnert daran, dass hier Reis wächst in der Regenzeit. Dass hier überhaupt irgendetwas angebaut werden könnte:

Wissen Sie, das Besondere an der Sahelzone ist die Regenzeit, dann fällt viel Regen, wir haben hier dann viel Wasser und Feuchtigkeit. Wir bewirtschaften hier rund 90 Hektar rund um das Dorf. Und unser Reis benötigt nicht viel Wasser. Wenn 900 ml innerhalb von drei Monaten fallen, reicht das. Deshalb habe ich entschieden, die Felder wieder zu reaktivieren und unsere Bevölkerung für den Reisanbau zu begeistern.

Rey Bouba im Norden Kameruns, an der Grenze zum Tschad. Es ist der Hauptort des gleichnamigen Lamidats, dessen Fläche etwa der Größe Belgiens entspricht. Den Ort mit seinen gut 11 000 Einwohnern erreicht man nur über eine staubige Offroadpiste, immer entlang an geduckter Sahelvegetation, über ausgetrocknete Flussbetten und an Cashewplantagen vorbei, vier Stunden vom nächstgrößeren Ort Garoua entfernt.

Rey Bouba ist ein muslimisches Sultanat, welches in der vorkolonialen Zeit das größte und mächtigste Lamidat auf dem Gebiet des heutigen Kamerun war. Der Herrschaftsbereich erstreckte sich über die heutige Provinz Nord nach Westen bis Nigeria und nach Osten weit in den Tschad hinein.

Der Lamido, der traditionelle Herrscher neben dem wenig einflussreichen, politischen Regionalpolitiker der Provinz, weiß, dass er, wie schon sein Vater und Großvater, eine wichtige Person nicht nur der Region, sondern auch im politischen Leben Kameruns ist. Aboubakary Abdoulaye, Vizepräsident des kameruner Parlamentes in der Hauptstadt Yaounde, ist ein gut vernetzter Politiker, der die Herrschaft in seiner Region für Pilotprojekte wie eben den Reisanbau nutzt. Er ist gegenüber neuesten Forschungen und Technologien aufgeschlossen, so lässt er in Rey Bouba den größten Drohnenflugplatz Zentralafrikas bauen, reist dafür durch Europa und trifft Forscher und Wissenschaftler der Münchner Universitäten und der Deutschen Luft- und Raumfahrtgesellschaft. Um die Ernährung seiner Bevölkerung sicherzustellen, wird jetzt eben Reis angebaut:

Wir bauen hier eine spezielle Reissorte an – „Nerica“. Diese Züchtung ist extrem resistent gegenüber Trockenheit und Schädlinge und sehr ertragreich. Sie stammt aus Japan. Wir haben sie dort gefunden.

NERICA, eine Abkürzung für „New Rice for Africa“. Eine Züchtung der West Africa Rice Development Association, der Reisentwicklungsgesellschaft Westafrikas. Gezüchtet, um die Erträge afrikanischer Reisarten zu erhöhen. Die Kreuzungen mit asiatischen Sorten, so Forscher, seien resistenter gegen Schädlinge.

Der „Neue Reis für Afrika“ wurde durch Kreuzung von Oryza glaberrima und Oryza sativa geschaffen. Da diese Sorten sich nicht auf natürlichem Weg kreuzen lassen, wurde eine besondere Technik angewandt („embryo-rescue“), um sicherzustellen, dass Kreuzungen überleben und zur Reife gelangen. Der neue Reis zeigt den Heterosis-Effekt, das Phänomen, bei dem Abkömmlinge genetisch verschiedener Eltern schneller wachsen, ertragreicher sind und Stress besser widerstehen als jede der Ausgangspflanzen für sich genommen.

Afrikanischer Reis, Oryza glaberrima, wird zwar seit 3500 Jahren kultiviert und ist gut an afrikanische Umweltbedingungen angepasst. Sein üppiges Pflanzenwachstum hemmt Unkraut. Er ist auch widerstandsfähig gegenüber Trockenheit und in Afrika heimischen Schädlingen und Pflanzenkrankheiten. Aber: Afrikanischer Reis erbringt relativ geringe Erträge, da er abknickt, wenn die Rispen zu schwer werden.

Deshalb entscheiden sich immer mehr afrikanische Länder gegen den Anbau afrikanischer zugunsten asiatischer Reisarten. Das Problem: Asiatische Reissorten sind praktisch überhaupt nicht an afrikanische Bedingungen angepasst, und ihr Anbau erfordert große Wassermengen. Asiatischer Reis kann Unkrautwachstum nicht hemmen, da er speziell auf kurzen Wuchs gezüchtet wurde und unter afrikanischen Bedingungen anfällig ist für Schädlinge und Krankheiten, weiß auch der Lamido von Rey Bouba:

Tatsächlich gibt es auch einheimische Reissorten, aber die wachsen sehr langsam, es gibt unterschiedliche Arten, aber das ist kompliziert. Die jetzige Sorte „Nerica“ haben wir schnell bekommen, deshalb probieren wir sie hier aus. Ich habe mich darum gekümmert, dass sie geliefert werden kann und und jetzt versuchen wir sie anzubauen, bislang mit gutem Erfolg.

Er lässt von einem seiner Mitarbeiter einen fünf Kilosack von der letzten Ernte holen, professionell verpackt, ein gutes Gastgeschenk für internationale Besucher. Die Sorte ist mittellang und nicht ganz einfach zu verarbeiten, aber der eigene Reis aus Rey Bouba, aus dem Sahel:

Die Reisvariante „Nerica“ wird hier hier überall rund um Rey Bouba angebaut, die Regierung stellt uns sogar eine Verarbeitungsfabrik zur Verfügung, zum Schälen und Polieren der Reiskörner, das läuft gut.

Import statt Eigenanbau. Unnötige Abhängigkeiten

Obwohl 240 Millionen Menschen in Westafrika den Großteil des benötigten Energie- und Proteinbedarfs durch Reis decken, wird die überwiegende Reismenge importiert, so auch in Kamerun. Reis aus Thailand, Reis aus Indien, obwohl es die Kapazitäten für den Eigenbau gäbe.

Die Abhängigkeit vom Ausland verursacht Kosten von ca. einer Milliarde US-Dollar. Eine zur Selbstversorgung ausreichende Reisproduktion soll deshalb die Ernährungssituation als auch die wirtschaftliche Entwicklung in Subsahara-Afrika verbessern. Dabei helfen die asiatischen Sorten: Die Rispen konnten durch NERICA von 100 auf 500 Körner pro Rispe gesteigert werden, Erträge wachsen von 1 Tonne pro Hektar auf 2,5 Tonnen pro Hektar; außerdem enthält der Neue Reis für Afrika zwei Prozent mehr Protein als die afrikanischen und asiatischen Ausgangssorten.

Reis als Zeichen von Wohlstand

Traditionell ernährten sich die Menschen von Nordkamerun von Hirse, der weißen und roten, sowie von Maniok, Erdnüssen, Mais und Yams. Doch Reis gilt als Nahrungsmittel der Mittelschicht und Reichen. Hirse als Arme-Leute-Essen. Ein europäischer Lebens-und Essensstil wird auch hier, weit entfernt von größeren Städten, bevorzugt.

Sie haben recht, wir bauen auch Hirse an, die weiße und rote, ebenso Erdnüsse und Maniok, aber keinen Weizen, nein, das nicht. Es stimmt, dass wir abhängig gewesen sind von den Getreidelieferungen aus der Ukraine, deshalb müssen wir das schnell ändern und uns unabhängig machen von Importen. Wir tun alles, um uns selbst zu versorgen. Hier in Kamerun hat die Regierung entschieden, dass sich die Getreideproduktion auf Ngaounderé konzentrieren soll, das ist eine Stadt 200 Kilometer südlich von uns.

Weizen und Brot ist in Subsahara-Afrika erst seit der Kolonialzeit bekannt. In den Bäckereien der Hauptstadt Yaoundé, aber auch im Senegal oder Nigeria werden Produkte fast ausschließlich aus Importweizen, wie zum Beispiel Baguette angeboten.

Traditionell wurden in Subsahara Afrika Brei oder Fladen aus Getreidesorten wie Sorghum oder Hirse verzehrt, die auch in heißem Klima gedeihen. Mit den europäischen Kolonialherren wurde Brot aus Weizenmehl zur Alltagsnahrung. Da Weizen in Afrika wegen des Klimas nicht gedeiht, entstanden fatale Abhängigkeiten: Im Senegal etwa sank der Hirsekonsum pro Kopf und Jahr von 80 Kilogramm im Jahr 1961 auf 25 Kilogramm im Jahr 2010. In dieser Zeit vervierfachten sich die Weizenexporte in das westafrikanische Land. Krisen wie in der Ukraine verdeutlichen nochmal mehr, wie fatal diese Abhängigkeiten sind. Und das weiß der Lamido von Rey Bouba sehr genau:

Wir haben angefangen, unser Essverhalten etwas zu verändern, neben Kartoffeln mehr Reis zu essen und auch Brot anders herzustellen, nicht nur aus Weizenmehl, sondern Weizen- und Kartoffelmehl zu mischen. Denn bisher sind wir abhängig vom Getreide, um Brot zu backen, aber wir werden erfinderisch, und wenn sich die Situation so weiterentwickelt, brauchen wir neue Ideen, um die Abhängigkeit vom Ausland zu verringern, das ist sehr wichtig.

Afrika muss seine fruchtbaren Böden besser nutzen, lauten Schlagzeilen nach den Lieferengpässen von Weizen aus europäischer Produktion. Die Lösung: mehr Unabhängigkeit von Nahrungsimporten. Nach Angaben der Weltbank verfügt Afrika über die Hälfte der weltweiten Agrarflächen. Sie müssten nur besser genutzt werden. Oder eben anders. Viele verfügen über gute Böden, nutzen diese aber nur unzureichend. Die Preise für Brot und andere Grundnahrungsmittel lösen im Sudan regelmäßig Proteste aus, obwohl das Land über einige der reichsten landwirtschaftlichen Flächen Afrikas verfügt. Auch die Demokratische Republik Kongo ist landwirtschaftlich gut ausgestattet, während fast 30 Millionen ihrer Bürger hungern. Der Südsudan hat das Potenzial, die Kornkammer Afrikas zu sein, aber viele Menschen dort stehen am Rande des Hungertodes.

Hochsubventionierte Lebensmittelimporte, vor allem von Weizen, haben das Ernährungsverhalten der Menschen in Afrika stark verändert, besonders in den größeren Städten. Schuld daran ist auch die Europäische Union. Dank üppiger Subventionen aus Brüssel häuften Bäuerinnen und Bauern in Frankreich oder Deutschland in den 1980er-Jahren einen Weizenberg an. Frankreich fand Absatzmärkte in seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien. Aber auch Deutschland exportierte fleißig Weizen nach Westafrika.

Die Zeichen haben sich gedreht: Jetzt importieren China, Thailand und Indien Lebensmittel nach Afrika, chinesische Firmen bietet Hilfe bei der Rekultivierung von Reisfeldern an.

Rund 50 Kilometer von Rey Bouba entfernt am Fluss Benue stehen die hohen Schilder des im November 2023 feierlich eingeweihten binationalen Projektes VIVA Benue. Auf 1122 Hektar werden hier von Chinas Staatsfirma Sinohydro Reisfelder rekultiviert. Dauer 38 Monate, finanziert von der Weltbank, genehmigt vom Minepat, Kameruns Wirtschaftsministerium.

Chinesische Projekte für Chinas Bevölkerung

Einheimische Kritiker des Projektes befürchten, dass es bei der Sanierung der Felder nicht um die Ernährungssicherheit der lokalen Bevölkerung oder gar des afrikanischen Landes geht. Ähnliche Vermutungen haben auch internationale NGOs. Die Ernährungswissenschaftlerin Monika Messmer von FIBL, den Forschungsinstituten für biologischen Landbau in der Schweiz geht davon aus:

Bei Reis ist dann doch die Frage, welche Rolle China spielt, weil China viele Landrechte erworben hat und Wasserrechte und die ihren Plan haben, wie sie 2050 ihre Bevölkerung ernähren können. Da ist der Reisanbau, der in der Sahelzone ist, der wird nicht dafür sorgen, dass die Selbstversorgung von Afrika höher wird, sondern der wird dann über die neue Seidenstraße nach China transportiert, da sehe ich große Bedenken, deshalb bin ich skeptisch, wenn zu große Mengen an Reis in Afrika angebaut werden, weil Reis natürlich in Asien das Grundnahrungsmittel ist.

Wie weit der Einfluss Chinas auf Afrikas Reisfelder inzwischen ist, zeigt eine Nachricht vom August 2023 aus Uganda: ugandische und chinesische Wissenschaftler haben eine neue ertragreiche und dürreresistente Reissorte auf den Markt gebracht, um die Produktion der Bauern zu steigern. Der neue Hybridreis, WDR-73, mehrjährig statt einjährig, wurde vom chinesischen Shanghai Agro-Biological Gene Center in Zusammenarbeit mit der staatlichen ugandischen National Agricultural Research Organization entwickelt.

Nach Angaben des chinesischen Außenministeriums hat sich China verpflichtet, Afrika beim Aufbau von Produktionsstätten und Großlagern für mehrere wichtige Getreideprodukte wie Hybridreis, Maniok und Sojabohnen zu unterstützen, um die Fähigkeit einiger Länder zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit und Selbstversorgung zu verbessern.
Und diese Verpflichtung kommt an bei den ugandischen Landwirten: Die Präsenz Chinas in Afrika und die gemeinsame Nutzung neuer Rohstoffe könnte die landwirtschaftliche Produktion auf dem Kontinent revolutionieren. Chinas Technologien und Afrikas Böden könnten die Lösung des Hungerproblems sein, sagt China. Mehr als 60 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung Afrikas ist in der Landwirtschaft tätig, und die Böden in vielen afrikanischen Ländern sind reichhaltig und fruchtbar.
Mit Lagerhäusern an strategischen Standorten und Hilfe beim Ausbau des Straßennetzes in Afrika wird China immer unentbehrlicher.

Ab Mai, wenn die ersten Regenfälle die Felder gewässert haben, wird in Rey Bouba mit dem Eggen und der Reisaussaat begonnen. Sehr traditionell mit der typischen Hacke. Wo im April noch staubtrockene Erde vorherrscht, soll es sehr bald schon grün sein, beteuern die Einwohner. Dann wächst auch der Reis und die Bauern verbringen den Tag wieder auf dem Feld. Eine schwere Arbeit. Aber eine Möglichkeit, um sich unabhängig zu machen von ausländischen Lebensmittelimporten, zumindest in dem kleinen Ort unweit der Sahelzone.