München beschließt den Einsatz von neuer Online-Bürgerbeteiligung “Consul”

Direkte Demokratie klingt nach Mitbestimmungsrecht, der Bürger kann gesellschaftliche Veränderungen aktiv mitgestalten – so die Theorie.

Direkte Demokratie geschieht bis heute überwiegend in Bürgerbegehren, Bürgerentscheiden, Bürgerworkshops, Projekte der Stadtplanungen sind in den Rathäusern einsehbar. Doch zu selten werden diese Möglichkeiten von einem repräsentativen Durchschnitt der Bevölkerung genutzt.

Künftig ist deshalb in München auch eine digitale Bürgerbeteiligung möglich. 2015 in Madrid gegründet, verspricht die kostenlose open-source-Plattform “Consul” mehr Mitbestimmung durch die gesamte Stadtgesellschaft.

Bericht im Deutschlandfunk Deutschland Heute

Madrid hat es, Mombasa auch, New York und Paris – die kostenlose Bürgerbeteiligungsplattform Consul habe seit der Gründung vor fünf Jahren in Madrid 90 Millionen Bürger und Bürgerinnen erreichen können, heißt es vom Verein Mehr Demokratie, der sich für mehr Bürgerbeteiligung in Deutschland einsetzt. Kommunale E-Partizipation – sei es, um Gesetzesideen einzubringen, über die städtische Mittelverwendung abzustimmen, oder um über drängende Probleme in den Vierteln zu diskutieren. Ein 35 Länder umfassendes Städtenetzwerk zwischen Afrika, Amerika und Europa sei dadurch entstanden, erklärt Simon Strohmenger als Ansprechpartner für Deutschland vom Verein Mehr Demokratie. Jetzt ist also auch München dabei.

Während die spanische Hauptstadt das Sytem bereits regelmäßig nutzt, stehe das System in Deutschland erst am Anfang. Bamberg, Würzburg und auch Detmold sind Vorreiter.

Dass München sich jetzt als eine der wichtigsten Großstädte dafür entschieden habe, sei ein Erfolg für die Bevölkerung, betont Strohmenger:

Wir haben bei Bürgerbeteiligungen zwei zentrale Probleme, und die haben wir nicht nur in München, sondern allgemein: Zum einen machen immer nur die Gleichen mit, dass heißt wir haben so den typischen Bürgerbeteiliger, ich nehme da bewusst die männliche Form, so ab Mitte vierzig, Anfang fünfzig, meist gut situiert, akadmeischer Hintergrund. Und das ist einfach nicht repräsentativ für eine Stadt. Und dann haben wir auch eine zu geringe Reichweite.

Die sogenannte E-Partizipation, also digitale Demokratie, wird derzeit auf Bundesebene bislang nur marginal genutzt: Der Bundestag hat eine Plattform für digitale Petitionen eingerichtet, einige Ausschüsse und Ministerien haben Onlinebeteiligungstools aufgebaut. Auf Bundesländerebene ist Baden-Württemberg weit vorn mit seinem beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de

In München wird jetzt die Consul-Webseite aufgebaut, die unterschiedliche Funktionen beinhaltet, so Strohmenger:

Ja, es ist wirklich wie eine Webseite, wie wir es zum Beispiel von Muenchen.de kennen. Natürlich wird es ein bisschen anders ausschauen, d.h. wir werden mehrere Möglichkeiten haben, als Bürger*innen die Stadt mitzugestalten. Wir können diskutieren, wir können abstimmen, wir können eigene Vorschläge einbringen.

Wichtig dabei: Es soll die bisherigen analogen Formen ergänzen und nicht ersetzen. Gängige Praxis war in München bislang der Bürgerworkshop, zum Beispiel bei der kontrovers diskutierten Umgestaltung des Elisabethmarktes in Schwabing. Bis zu 200 Teilnehmer konnten dort schon mal gezählt werden. Der Stadteil hat aber knapp 70 000 Enwohner. In Zukunft stehen Entscheidungen zum Abriß eines Kaufhauses und Neubau von Wohnquartieren wie auch Gewerbeimmobilien am Olympiapark an.

Gesa Tiedemann, Chefin vom Bezirksausschuss Schwabing-West sieht die Einführung der Online-Bürgerbeteiligungsplattform einerseits als Chance:

Ich halte sehr viel davon, Bürger und Bürgerinnen, die in einer bestimmten Umgebung wohnen, mit einzubeziehen, sie zu fragen, was sie möchten, was sie sich vorstellen. Die Frage ist aber am Ende, wo werden die Entscheidungen getroffen, also bleiben die Entscheidungen bei den Politikerinnen oder wird das delegiert an die Bürger.

Der Hintergrund für Tiedemanns Bedenken: Selbst die Bezirksausschüsse in München, eine deutschlandweit einzigartige Selbstverwaltung der 25 Stadtteile, würden oftnals nicht vom Stadtrat gehört. Was sie auf jeden Fall begrüßt ist die bei Consul mögliche Einrichtung von Bürgerhaushalten – mehr Verantwortung hin zum kritischen Bürger:

Das kann ich mir super vorstellen digital. Wir als Bezirksauschuss nehmen jetzt eine bestimmte Summe in die Hand, sagen wir mal 20 000 Euro, und für diese Summe können Jugendliche jetzt etwas planen. Und dann können einzelne Jugendliche aus dem Stadtviertel ein Projekt vorstellen und dann sind es vieleicht fünf Projekte, dann kann man darüber diskutieren und dann wird am Ende auch eine Entscheidung getroffen.

Die Entscheidungshoheit bleibe auf jeden Fall bei der Stadt, betont Oberbürgermeister Dieter Reiter nach der einstimmigen Abstimmung im Stadtrat. Das sei klar. Aber gerade in einer gespaltenen Gesellschaft, wo Menschen das Gefühl hätten, nicht mehr gehört zu werden, sei diese niedrigschwellige Bürgerbeteiligung per Internet wichtig:

Ja, wir müssen einfach feststellen, dass es nicht nur im Rahmen von Corona, sondern auch ansonsten künftig notwendig wird, die Bürger auch mit anderen Formen zu beteiligen und die Art, die auf der Hand liegt, heißt digitale Beteiligung und wir haben uns jetzt für eine Plattform entschieden.

Für die Ausgestaltung der Online-Plattform wurde eigens eine Fachstelle für Partizipation am ebenfalls jungen IT-Referat der Stadt gegründet. Dort werden jetzt die konkreten Details entwickelt, wie zum Beispiel die Einführung von sogenannten Digimünzen. Die Rede ist von 100 virtuellen Münzen, also Stimmanteilen pro angemeldeter Person. Damit soll unterbunden werden, dass man sein Votum mehrfach bei einem Projekt abgibt.

Die Entscheidung für eine kostenlose open-source-Plattform sei einerseits eine Kostenfrage, andererseits eine Frage des Datenschutzes, so Oberbürgermeister Reiter. Denn alle Bürger, die sich anmelden, müssen dies mit Klarnahmen, also dem Namen im Personalausweis tun. Einige Städte nutzen zur Absicherung zum Beispiel das kommunale Melderegister, um einen Mißbrauch durch Auswärtige zu unterbinden, sensible Daten könnten da nicht externen Firmen überlassen werden. Das Positive an der neuen Bürgerbeteiligungsform sei auch, dass es je nach Anforderung von den Kommunen an die lokalen Bedürfnisse angepasst werden kann. Ob nun generelle Themen, wie in München die langjährige Frage, wie hoch Hochhäuser künftig gebaut werden dürfen. Oder bei eher kleinteiligen Stadtteilprojekten, wie der Neubau von örtlichen Kinderspielplätzen:

Also so ein System muss im Grunde skalierbar sein, dass heißt man muss es für kleiner Stadtteilthemen genauso benutzen können wie für gesamtstädtische Fragen. Und weil Sie gerade das Thema Hochhaus angesprochen haben: Ja klar kann man sich da ein Meinungsbild abholen, aber das muss den Stadtrat dann tatsächlich nur dazu dienen, zu hören, was es denn für Vorschläge gibt.

Rechtlich bindend sind die Umfragen also nicht, betont Reiter- Mit Hilfe der Online-Beteiligung kann aber sehr deutlich werden, wie die Bvölkerung denkt und was sie von der Politik erwartet.

ENDE