Internat? Ja, bitte! Deutsche Internate während der Corona-Pandemie

Die Entscheidung gleicht einem Sakrileg: Das Kloster Ettal – deutschlandweit 2010 vor allem bekannt geworden durch den Missbrauchsskandal – schließt zum Ende des Schuljahr 2024 sein Internat. Damit geht eine über 300jährige Geschichte zu Ende.

Die Entscheidung für eine endgültige Schließung liegt nicht nur an den Auswirkungen der Pandemie oder der Missbrauchsvorwürfe, sagt das Kloster. Die Zahlen seien seit den 90er Jahren zurückgegangen.

Ist Ettal nur ein Einzelfall oder geht es anderen Internaten in der Pandemie auch so?

Sendung Deutschlandfunk, Campus & Kariere 16.2.2021

Lange Flure, Mehrbettzimmer mit Blick auf den Klosterhof und die umliegenden Berge – in den vergangenen Monaten ist es ungewohnt ruhig hinter den alten Internatsmauern von Ettal geworden. Einige Schülerinnen und Schüler aus China wohnen derzeit im Kloster wegen fehlender Reisemöglichkeiten. Ansonsten Leere. Distanzunterricht, Homeschooling wie in ganz Bayern.

Ab 2024 ist hier für immer dicht:

Die Corona-Pandemie spielt für uns schon eine Rolle, weil das Kloster muss ja den ganzen pädagogischen Bereich selber tragen und bezuschussen und das ist immer eine ganz große Zuschusssumme.

Finanzielle Belastung zu hoch

Erklärt Abt Barnabas, Leiter des knapp 700 Jahren alten Benediktinerklosters, die überraschende Entscheidung. Die von den Mönchen betriebene Handwerksfirmen litten ebenso unter dem Lockdown wie das angeschlossene Hotel, die Käserei und die Brauerei, die das Internat mitfinanzierten. Außerdem gingen seit Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe vor zehn Jahren die Anmeldezahlen drastisch zurück. Auch die Aufnahme von Mädchen und ausländischen Schülern half nicht:

Man muss das Verhältnis sehen: Unsere Schule hat insgesamt als kleine Schule etwa 250 Schülerinnen und Schüler. Und von denen sind lediglich etwa 30 in unserem Internat.

Es sei eine generelle Tendenz, meint der Abt aus Gesprächen mit Kollegen, dass kirchliche Internate immer weniger gefragt sind. Bereits 2016 zeigte eine Umfrage vom Verband katholischer Internate und Tagesinternate VkIT, dass nur 6% der befragten Eltern ein Internat mit kirchlicher Trägerschaft wählen würden. Die Lage sei bundesweit schwierig.

Run auf deutsche Internate

Die Lage habe sich aber gedreht, sagt VkIT-Vorstandsvorsitzender Oliver Niedostadek: In Zeiten von Homeschooling und Distanzunterricht fragen immer mehr Eltern einen Internatsplatz an, beobachtet Niedostadek, selbst Leiter des katholischen Internats Schloss Loburg bei Münster:

Ich habe noch nie so viele Aufnahmegespräche geführt wie aktuell. Wenn Sie dann mit den Eltern sprechen, dann sehen Sie, dass auch Corona da ganz massiv reinstellt. Jetzt erleben wir gerade eine gegenläufige Bewegung, weil die Eltern sagen, die Schulen hier vor Ort bieten ja keinen Unterricht, sie sind zuhause, wir stehen da wieder vor dem Problem wie früher und jetzt sind Internate wieder die Möglichkeit, das Problem zu lösen. Ich merke bei den Gesprächen auch eine massive Unzufriedenheit mit dem staatlichen Schulsystem.

Pandemie ist Hochsaison für Internate

Einen ähnlichen Eindruck hat Wolfgang Tumulka, seit 40 Jahren Chef der Münchner Internatsberatung. Noch nie hätte es so viele Anfragen interessierter Eltern gegeben, wie jetzt in der Corona-Pandemie:

Wir haben seit September eine Art Hochsaison, als ob es Zeugnisse geben würde. Wir bekommen eine Unmenge an Anfragen, denn die Internate bieten ja doch etwas Sicherheit, wenn auch Wechselunterricht oder digitaler Unterricht am Internat stattfindet, aber die sozialen Kontakte, die für unsere Kinder wichtig sind, die finden weiterhin statt, unter anderen Voraussetzungen. Sie können Sport machen, sie können in der Werkstatt arbeiten, sie können Musik machen, also das läuft alles, denn die Internate sind doch zwischen sechszig bis achtzig Prozent mit Schülern besetzt.

Das bestätigt auch der Schulleiter von Schloß Neubeuern bei Rosenheim im Chiemgau. Während alle Lehrkräfte zu Hause blieben, so Carlo Ribeca, seien erstaunlich viele seiner Schülerinnen und Schüler nach den Weihnachtsferien wieder zurückgekehrt ins Internat.

Also wir haben eine ganz lustige Erfahrung gemacht: Dass heißt, keine Lehrkraft ist bei uns vor Ort, die Klassenzimmer sind leer, wir haben die Lehrer, die von zuhause über Lehrplatformen den Unterricht halten, trotzdem sind zirka sechzig bis siebzig Prozent unserer Internatsschüler ins Internat gekommen. Dass heißt, sie haben ganz klar gewählt, auch im Distanzunterricht gehe ich zurück, um Gemeinschaft zu erleben, um nicht allein zu vereinsamen.

Der Fall Ettal könne nicht verallgemeinert werden, heißt es unisono aus der deutschen Internatszene. Die Pandemie sei durchaus nicht so existenzgefährdend wie es anfangs erwartet worden war.

ENDE