Neuer Umgang mit dem Reichsparteitagsgelände Nürnberg

Der Luitpoldhain von Nürnberg hat eine wechselvolle Geschichte. Das Parkgelände mit seinen elf Quadratkilometern war bereits im 19. Jahrhundert Treffpunkt für Familien, Sport- und Kunstvereine, Parteien und Sängerverbände. 1906 richtete Nürnberg dort die Bayerische Jubiläums-, Landes-, Industrie-, Gewerbe- und Kunstausstellung aus.

1927 entdeckte die NSDAP den Park für sich.

Bericht im DLF Deutschland Heute

Zwischen 1933 und 1938 jubelten Millionen Hitler-Anhänger auf dem Reichsparteitagsgelände seinen Reden zu. Massive Bauten wurden errichtet. Seitdem gehört das Reichsparteitagsgelände zum schwierigen Erbe der NS-Zeit in Nürnberg. Mehrmals wurde versucht, die Geschichte der 1930er Jahre aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufzuarbeiten.

Zuletzt vor zwanzig Jahren mit der Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums 2001. Für 100 000 Besucher gedacht zählte das Haus zuletzt über 300 000 Besucher, 50 Prozent davon kommen aus dem Ausland.

Zwanzig Jahre nach Eröffnung des NS-Dokuzentrums gilt die Dauerausstellung als veraltet. Deshalb ist das Haus seit gestern, (3. Januar) bis 2023 geschlossen. Drei Jahre lang soll der Umbau dauern. Das Gelände kann man trotzdem besuchen. Ebenso soll ab Februar eine Interimsausstellung einen Vorgeschmack auf den geplanten, neuen Blickwinkel geben.

Im Winter wirkt der kahle Luitpoldhain noch bedrückender als sonst.

Zwanzig Jahre lang war der auffällige, vom Grazer Architekten Günther Domenig gestaltete Pfahleingang zum Dokuzentrum, seitlich der massigen NS-Kongresshalle, ein gelungenes Sinnbild für den Umgang der Nürnberger mit dem gern verdrängten Reichsparteitagsgelände, jetzt wird umgebaut: der Haupteingang geht nicht mehr über die steile Treppe, sondern durch das Erdgeschoss, ein größerer Eingangbereich empfängt die Besucher, ein neuer Saal für Filmvorführungen ist geplant, mehr Arbeitsplätze für Mitarbeiter, ein einladendes Café für flanierende Parkbesucher. In dem ausladenden Collosseumsrund der NS-Kongresshalle sollen Künstler, Ateliers und Galerien einziehen, erklärt der Leiter des NS-Dokuzentrums Florian Dierl:

Tatsächlich darf man ja nicht vergessen, dass dieser Ort auch heutzutage nach über 80 Jahren, auch ein Ort ist, der der heutigen Nürnberger Stadtgesellschaft gehört, das heißt, es geht hier nicht um das Thema der Pietät, wie man an einem solchen Ort auftritt, sondern es geht eher darum, wie wir heute einen solchen Ort für die heutige Gesellschaft vereinnahmen und selber aneignen können.

Was oft vergessen wird

Das Reichsparteitagsgelände war früher – bis es die NSDAP 1927 für sich entdeckte – ein ganz normaler Volkspark, betont Dierl. Mit Sängerfesten, politischen Treffen, Sportveranstaltungen. Und das sollte er wieder werden. Ein Stück Normalität für den seit fast 90 Jahren kontaminierten Täterort.

Mit Schließung der Dauerausstellung wird das bisherige Bild vom Reichsparteitagsgelände in den nächsten drei Jahre erstmal grundlegend überarbeitet, erklärt Dierl und klingt dabei nicht unbedingt traurig:

In der Tat haben sich trotz allem Sehgewohnheiten verändert, ist die Forschung in den letzten zwanzig Jahren weiter vorangeschritten, und wir versuchen von daher gesehen dem Haus einen Evolutionsschritt zu verpassen, indem wir versuchen, diese neuen Erkenntnisse in einer zeitgemäßen Form einzuarbeiten.

Das Reichsparteitagsgelände polarisiert in Nürnberg. Noch immer. Erst recht nach der gescheiterten Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt 2025.

Seien es Regenbogenfarben, die erst kürzlich von Unbekannten an die Nazi-Zeppelintribüne gesprüht wurden, sei es die kontroverse Diskussion um kontrollierten Verfall oder millionenteure Sanierung des Zeppelinfeldes, wo zwischen 1933 und 1938 Millionen Deutsche ihrem Idol Hitler zujubelten. Oder der aktuelle Vorschlag des Architekten Thomas Glöckner, die Zeppelintribüne mit einem Glaskubus zu verkleiden, um die Dimension zu relativieren.

Die riesigen leeren Geschossflächen der Kongresshalle, jahrelang unangetastete Bauruine, sollen vielleicht auch ein Ersatz für das gescheiterte Konzertsaalprojekt werden, wird von der Stadt überlegt. Aufbruch auf dem Reichsparteitagsgelände und für das Dokuzentrum:

Inhaltlich werden wir neue Schwerpunkte setzen, neue Akzente setzen, dahingehend, dass vor zwanzig Jahren noch die Aussage common sense gewesen ist, dass die Deutschen durch die geschickte Propaganda der Nazis seinerzeit verführt oder zumindest manipuliert worden seien. Heute werden wir sehr viel stärker den Akzent darauf setzen, dass die Deutschen die Botschaften, die die Nazis unters Volk bringen wollten, durchaus mit Begeisterung wahrgenommen haben.

Reflektionspunkte und Öffnung des Zeppelinfeldes

Das NS-Dokuzentrum für einen kompletten Neuanfang auf dem gesamten Gelände zu überarbeiten erscheint da nur konsequent. Mit Hilfe von sogenannten Reflexionspunkten will Dierl auf dem 1100 Hektar großen Gebiet Gegenakzente zu den NS-Bauten setzen. Wie fühlt man sich zum Beispiel auf der Zeppelintribüne, wo Hitler wild gestikulierend auf stramm stehende SS-Anhänger herab schaute und heute Jugendliche Faxen machen? Wie schon in den 80er Jahren sollen der sogenannte Goldene Saal der Zeppelintribüne sowie das Zeppelinfeld künftig stärker in die geplante Dauerausstellung und den Rundgang über das Gelände einbezogen werden.

Martina Christmeier hilft derzeit als Kuratorin beim Aufbau der Interimsausstellung. Bis zur Wiedereröffnung des NS-Dokuzentrums 2023 soll ab Mitte Februar die Geschichte des Luitpoldhains, der zum Reichsparteitagsgelände wurde, neu gezeigt werden, so die Kuratorin.

Interimsausstellung ab Februar 2021

Der Eingang geht symbolhaft durch die Hintertür des Hauses, dort wo bislang die Archive und Lagerräume waren. Backstage unterwegs in der NS-Zeit:

Also natürlich gab es immer auch private Knipserfotos. Wir haben aber jetzt extra für die Interimsausstellung auch nochmal über 100 Archive angeschrieben. Was wir gesucht haben waren weniger Knipserfotos, sondern wir haben Erfahrungsbericht von Zeitgenossen oder Zeitzeugen vom Reichsparteitag gesucht, was schrieben sie denn kurz nach dem Besuch, was haben sie auf eine Postkarte geschrieben, was sagen sie zu dem Nürnberg-Erlebnis, wie wir es jetzt nennen.

Auf den verklärten NS-Aufmarsch-, Camping- und Versammlungsplätzen des Reichsparteitagsgeländes entstanden bereits 1939 die ersten Zwangsarbeiterlager. Kein nationaler Pomp mehr, sondern zynischer Pragmatismus. Auch das soll in den kommenden Jahren wieder stärker in das Bewusstsein der Besucher rücken, hat sich das Team des NS-Dokuzentrums vorgenommen.

ENDE