Street Art in Amman

Zwischen Tradition und Aufbruch

In anderen arabischen Staaten sind sie illegal, in Jordanien dagegen (fast) Normalität – Graffiti gehören in Amman zum alltäglichen Straßenbild. Keine einfachen Tags, sondern anspruchsvolle, großflächige Murals. Sie thematisieren etwa Frauenrechte, Tradition und Umweltschutz. Das Baladk-Festival feiert die Szene.

Bericht im DLF Corso

Läuft oder fährt man im quirligen Verkehr von Amman durch die Stadt fallen sie immer häufiger auf – überlebensgroße Zeichnungen und Graffiti an mehrstöckigen Häuserfassaden, direkt an einer der sechsspurigen Stadtautobahnen, mitten in Downtown, der Altstadt Ammans oder im Szeneviertel Jabal Webdeh.

Während Street Art in anderen arabischen Ländern wie Ägypten und Syrien konsequent verfolgt wird, hat das Königreich Jordanien vor einigen Jahren entschieden, urbane Kunst in gewissem Rahmen zuzulassen. Seit 2013 trifft sich die Szene jedes Jahr im Frühjahr beim Baladk-Festival. Workshops werden angeboten, Künstler aus Deutschland, Südostasien, Saudi-Arabien und Südamerika eingeladen. Über die gesamte Stadt verteilt entstehen neue “Hausbilder” mit Pinsel und Sprühdose. In diesem Jahr zum achten Mal.

Muad Isied, Chef des Baladk-Festivals, rechts und Streetartkünstler Yazan Mesmar

Das rote Geschöpf auf der hellen Mauer wirkt wie eine Mischung aus Vogel und Monster. Das übermannsgroße Graffiti in Ammans angesagtem Stadtteil Jabal Webdeh soll einen Menschen darstellen. Ist er wütend oder grinst er eher hämisch? Generell wolle man niemandem vorschreiben, was man in den Graffitis überall in der Stadt sehen soll, sagt Muad Isied. Er ist Chef des Baladk-Festivals für Streetart, in dessen Rahmen diese Arbeit entstanden ist.

Auch das nächste Wandbild: Muad Isied zeigt auf einen weißen Kraken, dessen Fangarme aussehen wie unzählige Häuserreihen. Vermutlich ist das eine Kritik an dem rasanten Wachstum der jordanischen Hauptstadt.

„Wir wollten den Streetart-Künstlern eine Plattform bieten. In den Neunziger- und Nullerjahren hatten sie nahezu keine Chance ihre Kunst zu leben. Urban Art existierte damals einfach nicht. Auch Hip-Hop tauchte hier erst ungefähr 2005 das erste Mal auf. 2013 haben wir mit diesem Experiment begonnen, es war eine unglaubliche Aufbruchsstimmung.“

Immer mehr Hausbesitzer bieten ihre Hausfassaden an

Seit dem arabischen Frühling 2011 sich Amman zu einem Hotspot der Urban-Art-Szene in der ganzen Region, angestoßen hat diese Entwicklung das Baladk-Theater. Längst ist das vom ihm initiierte Festival aus der lokalen Szene herausgewachsen. Bewerbungen für die Plätze kommen aus der ganzen Welt, erzählt Festivalchef Muath Isied. Hausbesitzer bieten immer häufiger Flächen für die Künstlerinnen und Künstler an. Und die Kritik an „diesem Vandalismus“, wie Graffitis in Jordanien noch vor 20 Jahren genannt wurden, ist Neugier gewichen. Auch, weil das Baladk-Festival allzu offensichtliche Provokationen wie ein Infragestellen der Monarchie oder des Islam meidet.

„Wir wenden uns an Menschen, die eigentlich kein Interesse an Kunst haben, Streetart kann jeden berühren. Jeder sieht etwas anderes in den Bildern. Letztlich wollen wir den Menschen und auch Künstlern eine Plattform bieten in einem geschützten Rahmen, um Themen anzusprechen, die kontrovers aufgefasst werden können.“

Festivalchef Muath Isied studierte Kulturmanagement in Berlin und Schweden, lebte in der Schweiz und kooperiert unter anderem mit Streetart-Projekten in Deutschland. Seine internationale Reputation öffnet ihm bei den Behörden so manche Tür. Auch das Königshaus unterstützt das Streetart-Fest, als Aushängeschild für eine nach außen liberale Haltung und zur Eindämmung von illegalen Graffiti.

Nach dem letztjährigen Festivalmotto zur Freiheit der Frau sollen Künstlerinnen und Künstler in diesem Jahr Arbeiten zum Thema Umweltschutz und Müllvermeidung anfertigen. Einer der Teilnehmer ist Yazan Mesmar. Er ist 26-Jahre alt, hat spanisch-philipinisch-jordanische Wurzeln und ist aufgewachsen in Saudi-Arabien.

„Wie soll man leben in einer Stadt und einem Land, das bisher das Thema Müllvermeidung und die Reduktion von Plastik vernachlässigt hat? Wir wohnen in einem Land, wo zwei Millionen Tonnen Müll pro Monat anfallen – sieben Prozent davon werden recycelt, der Rest landet auf Deponien.“

„What’s bad for your heart is good for your art“

Das Motto von Yazan Mesmar lautet „was schlecht für Dich ist, ist gut für deine Kunst“.

„Es geht nicht darum, die Menschen zu belehren, wir wollen keine Message liefern, sondern zum Nachdenken anregen und dafür sensibilisieren, weniger Müll zu produzieren. Ich bin davon überzeugt, dass Kunst, die einfach nur ein Thema aufgreift, bereits Menschen zum Nachdenken anregt und den öffentlichen Raum neu erfinden kann.“

Und so wächst die „Freiluft-Galerie“ Ammans mit jedem Graffiti, mit jedem Festivaljahr, auch dank der Arbeiten von Miramar Muhd. Die Familie der 23 Jahre alten, schmalen Künstlerin mit lockigen, schwarzen langen Haaren war empört, als sie sich den Malernzug anzog und aus dem Atelier auf die Straße ging:

„Als ich mit Streetart begonnen habe, gehörte ich zu den verrücktesten Personen der Welt. Meine Mutter sagte nur: ‚Du bist doch ein Mädchen, du musst in die Moschee gehen.‘ Ich sollte all diesen Mädchenkram mitmachen, wie studieren, Nägel lackieren und polieren, hübsche Sachen anziehen. ‚Nein‘, habe ich gesagt. Dann bin ich mit dem Maleranzug voller Farbe nach Hause gekommen, und mein Vater war sprachlos.“

Frauen und Streetart

Man muss schon etwas suchen in den verwinkelten Gassen der Altstadt von Amman, bevor man vor ihrem riesigen Mural steht. Es bedeckt die komplette Fassade eines fünfstöckigen Hauses mit Schriftzeichen und einem überlebensgroßen Frauenbild In arabischer Kalligraphie-Schrift steht der Aufruf: „Let your eyes be cast on the mountain tops – also etwa „wirf Deine Blicke? zu den Berggipfeln“. Es geht um die Forderung nach mehr Selbstbewusstsein der Frauen, erklärtKünstlerin Miramar Muhd lächelnd das überdimensionale Frauenportrait an der Hauswand:

„Das Wandbild entstand im Rahmen einer Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen. Das Motto hieß ‚reak the Silence‘, also ‚Durchbrecht das Schweigen‘.“

Miramar Muhd vor ihrem Fassadengemälde

Miramar Muhd prägt wie keine andere weibliche Künstlerin derzeit die öffentliche Kunstszene der jordanischen Hauptstadt. Sie schert sich nicht um Konventionen, um das Tragen eines Kopftuchs oder die skeptischen Blicke, die sie bekommt.

„Manchmal vergesse ich einfach, ob ich nun eine Frau oder ein Mann bin. Ich bin einfach ein Mensch, der das macht, was er liebt. Folge Deiner Leidenschaft. Es ist nicht so kompliziert‘.“

Das hat sie getan: Im Maleranzug und mit Pinsel und Spraydose in den Händen stand die junge Frau noch vor einigen Monaten tagelang auf einer Hebebühne vor dieser Hauswand. Nachbarn schauten ihr beim Sprühen zu – positiv überrascht, wie dieser Ladenbesitzer:

„Das ist sehr schön. Warum sollte man keine Hauswände bemalen. Das macht die Stadt bunter.“

Das Streetart-Festivals Baladk verändert nicht nur die Stadt, sondern vielleicht auch die Köpfe der Menschen, hofft Miramar:

„Wenn ich die Werke male, dann reflektiere ich über das Thema, ich hinterfrage mich selbst und bin offen für neue Ideen – und das geschieht auch mit der ganzen Stadt.“

ENDE