Passionstheater Oberammergau schlägt hohe Wellen.

Richard Wagner „Fliegender Holländer“ auf Passionsboden. Sinn und Unsinn von Oper in Oberammergau

Der kleine oberbayerische Ort Oberammergau ist für die einen ein heiliger Wallfahrtort, für andere einfach nur sehr skurril. Bunte Lüftlmalerei, zahlreiche Jesus-Holzschnitzfiguren in Souvenirläden und ein Passionstheater, das alle zehn Jahre Schauplatz des ältesten Passionsspiels der Welt ist.

Doch was genau passiert zwischen den zehn Jahren in dem Theater, das immerhin 4500 Zuschauer fasst?

Bericht im SWR 2 Cluster am 5.7.17
Gabor Bretz als Fliegender Holländer im Passionstheater Oberammergau

Nach den letzten Passionsspielen hatte die Gemeinde beschlossen, das leerstehende Haus auch für Gastspiele vom Volkstheater München, für ein Heimatsoundfestival, für Konzerte und eigene Produktionen zu nutzen. Praktisch daran: Der Chef des Volkstheaters München, Christian Stückl ist gebürtiger Oberammergauer und leitet seit 1990 die Passionsspiele. In diesem Jahr steht zum ersten Mal kein biblisches Stück auf dem Sommerprogramm, sondern Richard Wagners Fliegender Holländer. Schon wird gemunkelt, da wächst Konkurrenz für Bayreuth heran.

So jetzt bitte alle auf Anfang, alle auf Anfang. Grüß Gott beieinand…

Endlich ist wieder etwas los im Passionstheater von Oberammergau. Regisseur Christian Stückl hält wieder mit Witz und endloser Energie die Menschenmassen auf der Bühne zusammen. Knorrige Dorfbewohner bis hoch in die 70 sind dabei. Und ganz Normale, die noch nach ihrer Arbeit in den vergangenen sechs Monaten Abends geprobt haben.

Das Theaterfieber lässt dieses Dorf nicht los. Alle zehn Jahre gut vier Monate Passion spielen, das reicht diesen Menschen schon lange nicht mehr. Das früher von Bibelkritikern belächelte Passionstheater gibt immer häufiger den Herzschlag des Ortes vor. Ein Energiepool, der die Einwohner in regelmäßigen Abständen elektrisiert. Fast scheint, es sei egal, was hier von dem Team um Christian Stückl auf die Bühne gebracht wird, Hauptsache es geht wieder los.

Also unsere Idee war ganz klar, dieses Haus zu beleben und viel Nachwuchsarbeit zu machen, das heißt wir werden immer Schauspiel und Sachen machen mit viel Musik. Aber uns hat vor zwei Jahren die Oper richtig Spass gemacht und dann haben wir gesagt: Probieren wir es einfach noch mal. Wir sind jetzt noch kein richtiger Opernort und natürlich haben wir ganz andere Voraussetzungen.

Vor zwei Jahren wollte es Stückl zum ersten Mal wissen. Funktioniert Oper auf seiner Bühne genauso wie Sprechtheater? Verdis Nabucco – thematisch noch nah am biblischen Stoff – mit einem gewaltigen Gefangenenchor begeisterte die skeptischen Kritiker. „Oper“ammergau war geboren. Als Idee vorerst. Doch der Opernvirus grassiert weiter. Eine neue Oper musste her:

Uns war klar, dass wir jetzt nach dem Erfolg vom Nabucco jetzt nicht auf Aida greifen oder so, also wir haben schon gesagt, wenn dann schon farblich was anderes.

Christian Stückl

Also Wagner, Richard Wagner, warum nicht der, habe man sich gedacht, so Stückl. Der hat für große Chöre geschrieben, das wichtigste Kriterium. Erfahrung mit dem Bayreuther Meister fehlten zwar fast völlig, aber ansonsten sind die Voraussetzungen im Oberammergauer Passionstheater dafür auf den ersten Blick beeindruckend: Eine 50 Meter breite Bühne. Doppelt so groß wie die von der Münchner Staatsoper, bei gutem Wetter open-air nutzbar. Dazu ein Zuschauerraum mit 4500 Plätzen. Und ein riesiger Laienchor, quasi immer verfügbar und neugierig auf Neues. Auch jenseits von biblischen Themen. Stückl liebt die Herausforderung – mit Augenmaß:

Ja, mal schauen, das ist für uns aber klar gewesen, wir können uns jetzt nicht an jeden Wagner wagen, wir wollten erstmal klein anfangen und mit der kleinsten seiner Opern anfangen, also die großen gehen nicht, das würden auch unsere Leute nicht durchstehen.

Einer, der mit der gewaltigen Größe des Bühne wenig Probleme hat, ist der diesjährige Star des Abends: Der ungarische Bass Gabor Bretz in der Titelrolle des Fliegenden Holländers zeigt sich fasziniert von dem Ort, von den Laiensängern, von der Atmosphäre und der Ernsthaftigkeit, mit der hier Geschichten präsentiert werden:

Das hier ist ein wunderbarer Ort für Opern. Dieser Ort mit rund 4500 Zuschauern raubt Dir nahezu den Atem. Wenn man da auf der riesigen Bühne steht, 50 Meter breit, muss man seine Rolle natürlich ganz anders darstellen. Denn das Publikum in den letzten Reihen kann wahrscheinlich nicht mehr richtig die Gesichter der Sänger sehen. Meine erste Holländerproduktion, in der ich den Daland sang, war im Gegensatz dazu in einem sehr kleinen Theater, in Klagenfurt. Aber das funktionierte auch. Man passt sich eben der Bühne an.

Gabor Bretz muss es wissen: Er sang bereits an der Mailänder Scala, am Royal Opera House in London, an der Met in New York, an der Münchner Staatsoper und kommende Saison in Hamburg in der Inszenierung von Verdis Requiem durch Calixto Bieito. Nun eben in Oberammergau, das klotzt und nicht kleckert.

Ich bin hier so unheimlich stolz auf den Chor, die Sänger sind so enthusiastisch dabei, das sind ja vor allem Laiensänger, die neben ihrer normalen Arbeit Monate lang geprobt haben, um das auf die Bühne zu bringen.

Wagner in Oberammergau, Oper in Oberammergau das funktioniert tatsächlich. Der Bombast eines Verdi oder Wagner bekommt hier Raum zum Entfalten. Sieht man von der Akustik ab. Genau das muss noch nachjustiert werden in Zukunft. Die für Sprechtheater ideale Akustik ist für Opernproduktionen eine Herausforderung. Dafür holt sich Stückl Münchner Profis, die auch die schwierig auszusteuernden Odeonsplatzkonzerte betreuen und setzt auf Mikrofone. Die Frage ist, ob tatsächlich der 180köpfige Chor und die Opernsänger verstärkt werden müssen. Ausserdem liegt der Orchestergraben zumindest in diesem Jahr sehr niedrig. Der Klang kommt Bayreuth-verdächtig aus einer unbestimmten Tiefe. Für den jungen, lettischen Dirigenten Ainars Rubikis die beste Voraussetzung, um sich auf den Grünen Hügel vorzubereiten?

Nein, nein, keine Ahnung, wir werden sehen. Ja, wir werden sehen.

Rubikis ist das beste Beispiel, dass Regisseur Christian Stückl seinem Ruf als Talentescout mittlerweile auch in der Oper alle Ehre macht. Den jungen Letten entdeckte er in Salzburg, engagierte ihn für die Nabucco-Produktion. Ab dem kommenden Jahr ist Rubikis der Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin. Der von Oberammergau infiziert wurde:

Nein, es geht gar nicht darum, ob man hier Opern spielen kann. Irgendwie ist das ein magischer Ort. So etwas findet man nirgendwo anders in Deutschland. Ob wir jetzt den Legenden und Mythen von Oberammergau glauben oder nicht oder der Geschichte dieser ungewöhnlichen Gemeinde – manchmal habe ich das Gefühl, dieser Flecken Erde ist gesegnet.

Ob gesegnet oder nicht, Oberammergau könnte sich zu einem Operndorf mausern. Nicht zu einem Opernfestival wie im ebenfalls kleinen, irischen Wexford oder im englischen Aldeburgh. Sondern mit einer großen Neuproduktion alle zwei Jahre. Bizets Carmen zum Beispiel oder auch Wagners Lohengrin.

Weniger ist hier mehr. Dirigent Rubikis wäre gern wieder dabei:

Ich hoffe sehr, dass wir die Produktion im kommenden Jahr wieder aufnehmen können. Dann eher Ende Juli, Anfang August. Bis Mitte Juli spielen wir an der Komischen Oper noch Schostakowitschs Oper „Nase“, danach muss ich unbedingt wieder her. Ich möchte das hier nicht missen.

ENDE