Freiwillig verkauft oder abgepresst? Nazigeschichte der BND-Grundstücke in Pullach

Die kleine Kommune Pullach bei München hat eine besondere Geschichte.

Sie steht nicht nur für Reichtum und schicke Villen von Münchner Beamten. Sie ist auch seit Gründung der Bundesregierung ein Synonym für den Bundesnachrichtendienst BND. Von Pullach aus wurden im Kalten Krieg Spione in die Welt geschickt. Was nicht so bekannt ist: Das heutige BND-Gelände am Hochufer der Isar war bereits im Dritten Reich für Nazigrößen wie Martin Bormann, Vermögensverwalter von Adolf Hitler, eine beliebte Wohngegend.

Die Gebäude der Nazisiedlung stehen noch heute, teilweise auf BND-Gelände. Weil der Bundesnachrichtendienst künftig nicht mehr von Pullach, sondern von Berlin aus spionieren soll, spekuliert die Gemeinde nach dem Wegzug auf millionenschweren Baugrund und Gewerbeflächen.

Wären da nicht fünf Familien, denen die Flächen vor dem Dritten Reich gehörten und sie jetzt zurückfordern. Die Nationalsozialisten hätten ihnen in den 1930er Jahren die wertvollen Grundstücke abgepresst, ähnlich wie Raubkunst. Die heutigen Besitzer – der Freistaat Bayern, das Land Bayern, die Stadt München und die Bundesrepublik Deutschland – bestreiten das.

Bericht im Deutschlandfunkkultur Länderreport

Ja, ich habe davon gehört, das ist ja ein riesen Gelände mit einer historischen Tradition sozusagen, also wer da genaue Ansprüche hat, weiß ich nicht.

Mittags auf dem Kirchplatz in Pullach. Die Kirchuhr schlägt zwölf. Handwerker holen sich Essen beim Bäcker.

Nee, ich arbeite hier nur, ich habe sonst keine Meinung dazu.

Ein Pärchen sitzt vor einem Café in der Sonne.

Also was einmal weg ist ist weg. Also wenn es hin und her geht hat man immer einen Einspruch für alles, also ich würde sagen, es soll so bleiben wie es ist.

Mein Laden ist zwar in Pullach, aber ich lebe nicht hier. Ich glaub eh noch nicht, dass der BND auszieht.

Langsam wischt die Ladenbesitzerin draußen in der Sonne die Tische ab. Gegenüber im gläsernen Bürgerhaus stehen Blumen auf Stehtischchen.

Restitution, BND, Alteigentümer? In Pullachs Ortsmitte zuckt man mit den Schultern. Verdrängt? Oder Desinteresse?

Vom Kirchplatz geht die Heilmannstrasse ab, parallel der Isar, immer am Hochufer entlang, dass hier pittoresk zum Fluss abfällt.

Bundesnachrichtendienst auf Nazi-Gelände

Die Reichsleitung der NSDAP hat zum Zwecke der Errichtung einer Beamtensiedlung … ein 50 Tagwerk großes Gelände erworben und an die Gemeinde den Antrag gestellt, die Zufuhrstrasse (verlängerte Heilmannstrasse) zu diesem Grundstück zu erstellen…Der Gemeinderat stimmt diesem erteilten Bescheid vollkommen zu, da Pullach durch diese Siedlung nur gewinnen kann. Gemeinderatssitzung vom 21. Februar 1936

81 Jahre später arbeiten in der Heilmannstrasse, in der ehemaligen nationalsozialistischen Beamtensiedlung, genannt Heß-Siedlung die Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes BND. Ihre Horch- und Guckfunktion übernahmen sie in den 60er Jahren von der Organisation Gehlen, einem undurchsichtigen Verein von Altnazis, Verschwörungstheoretikern, Abenteurern, unterstützt von der amerikanischen Militärregierung.

Eigentlich hat weder die Gemeinde noch der Freistaat einen großen Nutzen davon, es sind zwar Arbeitsplätze, aber der BND zahlt keine Steuern, beschäftigt auch nicht besonders viele Betriebe, ist eigentlich ein Fremdkörper im Ort. Wenn diese Flächen anders entwickelt werden könnten, hätte die Gemeinde mehr davon.

Wegzug des BND als Chance? Bislang nicht.

Die Geheimdienstler gehören zu Pullach wie ein Fremdkörper, seit 70 Jahren, sagt die Grüne Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund. Und eigentlich sollten sie längst verschwunden sein. Im Mai 2006 wurde der Umzug beschlossen. Der Neubau in Berlin steht fertig da. Und die Gemeinde Pullach, rund 600 Kilometer entfernt im oberbayerischen Süden? Frohlockte. Anfangs. Investitionsfieber brach aus. Begehrlichkeiten von allen Investoren. Im Rathaus von Pullach wurde eifrig geplant. Freie Flächen in einer der begehrtesten Wohngegenden rund um München – endlich Platz für Kindergarten, Volkshochschule, warum nicht auch Begegnungszentrum oder Reha-Einrichtung:

Sprecher:

Urkunde des Notariats München XV vom 5. November 1934, UR 2185, Beteiligte: Martin Bormann, Margarete Paukner

Urkunde des Notariats München I vom 25.September 1935, beteiligt Gemeinde Pullach, Margarete Paukner

Urkunden des Notariats München V vom 10. Juni 1936 UR 2645 und vom 17. September 1936

Im Staatsarchiv München liegen Verkaufsurkunden und Akten, die nach der Ankündigung des BND-Umzuges plötzlich wieder interessant werden. Plötzlich melden sich Alteigentümerfamilien mit Ansprüchen an dem BND-Gelände.

Dass Pullach „durch diese Siedlung nur gewinnen kann“ würde heute keiner mehr so sagen.

Zitat: In den Amtsräumen des Landesentschädigungamtes in der Möhlstrasse herrschten unter dem Andrang zahlreicher Verfolgter verschiedenster Nationalitäten chaotische Zustände, die von traditionellen Beamten mit einem gewissen Ekel als „Nachgeburt des Krieges, des Zusammenbruchs, des Chaos“ bezeichnet wurden. (Constantin Goschler, Wiedergutmachung: Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus, 1992.)

1952 steht Sebastian Endres vor einem Untersuchungsausschuss. Der Vizepräsident der Wiedergutmachungsbehörde muss zu den Vorgängen im Landesentschädigungsamt aussagen. Jenem staatlichen Landesamt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung

Aufarbeitung der BND-Geschichte

Offenheit. Das neue Schlagwort beim Bundesnachrichtendienst. Aufarbeitung, sich der Geschichte stellen. Der BND beauftragte dazu Historiker, die Pullacher Archive aufzuarbeiten.

Bürger wie der Gemeinderat Schuster, die Familie Woellner und andere übergaben ihre Familienunterlagen vor allem einer Historikerin, Susanne Meinl. Ihre Schlussfolgerung:

Wer Bormann und seinem Bevollmächtigten Gotthard Färber die Grundstückstransaktion verweigerte, dem wurde mit Enteignung oder gar dem Konzentrationslager Dachau gedroht. (Pullacher Schriftenreihe Bd. 6, S. 17)

Martin Bormann hatte das Baugelände im Prinzip die ganze Zeit vor Terrassentür oder der Gartentür, denn zwischen Großhesselohe und Pullach gab es ein sehr, sehr großes Areal, was teilweise zum Verkauf stand für eine exklusive Villenbebauung. Die Preise, die Bormann bezahlte waren nicht besonders gut, sie lagen, wie man später feststellte, ungefähr ein Drittel unter dem Marktwert und zum Teil ist wohl auch erheblicher Druck ausgeübt worden.

Und die Chancen stehen gut, meinen Anwälte.

Nur einige hundert Meter Luftlinie in der Münchner Widenmayerstrasse. Mondäner Altbau, direkt an der Isar die Rechtsanwaltskanzlei Westphal, Spilker & Wastl. Sieben Anwälte sitzen hier Tür an Tür. „Klasse statt Masse“ heisst es auf der Webseite. Hier wurde schon ein Millionen-Deal des deutschen Arms der Mafiaorganisation Cosa Nostra zerschlagen, von hier aus wurden Anfang der 90er Jahre Millionen an verschwundenem SED-Vermögen der DDR-Devisenbeschaffungsfirma KoKo aufgetrieben.

Wir haben das Mandat vor zwei Jahren bereits übernommen und haben uns zwei Jahre intensiv mit dem Sachverhalt beschäftigt. Haben dort Erfahrungen gemacht ganz unterschiedlicher Natur: Behörden, die mit uns durchaus zusammengearbeitet haben, aber durchaus auch staatliche Stellen, die gemauert haben.

Ansprüche verjährt?

Ulrich Wastl prüft für die Klägerfamilie Köhler, eine der fünf betroffenen Alteigentümer, die Chancen für eine Restitution – und ist zuversichtlich:

Uns liegen Dokumente vor, die wir auch zum Gegenstand der Klage gemacht haben, die eigentlich belegen, dass auf staatlicher Seite die Tatsache, dass diese Grundstücke erpresserisch ins Eigentum von Bormann gelangten – dieser Nachweis gelingt uns.

Wir sind auch guten Mutes beziehungsweise auch im Besitz von Unterlagen, mit denen wir belegen können – unserer Auffassung nach – dass der Staat bewusst die Geltendmachung der Ansprüche über diese Jahrzehnte vereitelt hat und ich glaube, man muss nicht Jurist sein, um die Bewertung vorzunehmen, dass das ein Staat nicht darf.

Zitat:

Stadt München, Kommunalreferat, Pressesprecher: Ja, die Stadt München habe in Pullach ein Waldgrundstück vom Bund aufgekauft. Ob das Grundstück vom Bund rechtmäßig erworben worden sei, wisse man nicht.

Bayerisches Finanzministerium München, Pressesprecherin: Das Bayerische Staatsministerium sei mit dem Thema nicht befasst, daher könne Sie leider keine Stellungnahme zur Verfügung stellen. Der Bund dürfte der richtige Ansprechpartner sein.

Anfrage wird geprüft

Schliesslich die Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums: Die Bundesimmobilienanstalt BimA, derzeit Eigentümerin des BND-Geländes, würde „jede Anfrage intern prüfen und diese gegebenenfalls auch extern rechtlich würdigen lassen.“

Zitat:

Sollten berechtigte Ansprüche auf Schadensersatz oder Rückgabe bestehen, so würden diese von der BimA (Bundesimmobilienanstalt) erfüllt werden.

Sollten derartige Ansprüche nicht bestehen, so wäre die BImA haushaltsrechtlich verpflichtet, geltend gemachte Ansprüche zurückzuweisen, ohne dass ihr diesbezüglich ein Ermessen zustünde.

Im April 2016 wurden gegenüber der BImA Ansprüche auf Berichtigung der Grundbucheintragungen für mehrere Grundstücke erhoben, die heute zur Liegenschaft des BND in Pullach gehören.

Zitat:

Die BImA hat die Angelegenheit sowohl intern geprüft als auch umfänglich extern durch einen renommierten Rechtsanwalt würdigen lassen. Ergebnis dieser Prüfungen ist, dass sich in den vom Anspruchsteller vorgelegten Dokumenten kein Beleg für die Behauptung findet, dass die in Rede stehenden Grundstücksveräußerungen unter Zwang und unter Wert abgeschlossen worden sind.

Die BImA ist daher haushaltsrechtlich verpflichtet, den geltend gemachten Anspruch zurückzuweisen, ohne dass ihr diesbezüglich ein Ermessen zustünde.

ENDE