Illegale Fischerei und Piraterie im Golf von Guinea

Limbe downtown beach

Illegale Fischerei und Piraterie im Golf von Guinea | MO | 09 05 2022 | 18:25 – oe1.ORF.at

Somalia und das Horn von Afrika galten vor gut zehn Jahren als Hotspot für Piratenangriffe. Heute, zehn Jahre später gibt es einen neuen Hotspot – den Golf von Guinea in Westzentralafrika. Russische und dänische Militärboote patrouillieren vor den Küsten. Einer der Gründe für die Überfälle: Immer mehr Fischtrawler aus Europa und Asien fangen in einem der letzten fischreichen Gebiete der Welt den Einheimischen ihre Lebensgrundlage weg, meist illegal und bei Nacht, wie die Fischer in der Hafenstadt Limbe in Südwestkamerun beobachten.

Die Sonne kämpft sich durch den frühmorgendlichen Dunstschleier über der Bucht von Limbe. Links ragt eine Landzunge in den graublau schimmernden Atlantik, der hier Golf von Guinea heißt. xxIn der Ferne kann man zwei kleine Inseln erkennen, dahinter etliche Seemeilen entfernt, die Insel Malabo. Ein paar Holzboote dümpeln vor sich hin auf dem ruhigen Wasser, an Land liegen dutzende weitere Kähne, die meisten leck, das Holz vom Salzwasser verwittert.

Sieben Uhr morgens wirken dieschiefen Wellblechhütten der Fischer verschlafen. Dicht an dicht stehen die Behausungen der Fischerfamilien, vor jedem ein großer Stapel zersägter Baumstämme für die Räucheröfen. xxDie rötlichen Sandwege dazwischen lassen die Lehmhütten noch ein wenig staubiger aussehen,

Die sonst allgegenwärtigen Mopeds, der Lärm der erwachenden Stadt – noch ist es ruhig an diesem Morgen am Meer im Süden von Kamerun, dem Land zwischen Nigeria und Gabun, direkt am Knick zwischen West- und Zentralafrika.

Als ich in den sechziger Jahren herkam, gab es noch nicht so viele Boote hier in Limbe am Strand.

Neben einem der Kähne sitzt ein älterer Mann in der aufgehenden Sonne, das Gesicht von der Salzluft gegerbt. Er sei 64 Jahre alt, sagt er, sieht aber älter aus. Neben ihm stehen ausgetretene Ledersandalen, die nackten Füße im Sand vergraben. Er denkt oft an früher: :

Wir konnten soviel Fisch fangen wie wir wollten, die Netze waren immer voll mit unterschiedlichen Arten. Bonga, Umber, Sardinen, Makrelen, Meerbrassen, die gab es alle. Aber heute gibt es so viele Boote. Und jeder will etwas fangen. Dabei ist der Fischbestand dramatisch zurückgegangen.

Er wischt sich über die Stirn, schaut in die Ferne. Die Ursache für den fehlenden Fisch ist für ihn klar: internationale Trawler aus Asien, die keinerlei Gesetze beachten.

Langsam kommt Bewegung in die Fischerhäuser.

Als erstes erscheinen die Frauen mit großen bunten Plastikschüsseln auf dem Kopf am Strand, setzen sich in den Sand, an die umgedrehten Holzkähne, schauen auf das Wasser. Kinder laufen in Schuluniformen über den Strand zu den Schulen in der Stadt. Noch herrscht Ebbe.

Ja, ich warte hier auf die Boote, um Fisch zu kaufen. Danach gehe ich wieder nach Hause, um sie zu räuchern und weiterzuverkaufen. Sie fragen mich was. Es ist schwer geworden. Die Fische werden immer kleiner.

Die Fischerfrau klatscht die Hände zusammen, schüttelt mit dem Kopf, schaut aufs Meer.

Langsam kommen auch die Männer von den kleinen Holzhütten herunter zum Strand. 45 Fischerfamilien sind hier offiziell in„downtown-beach Limbe“ registriert, besitzen eine Fanglizenz, um auf traditionelle Weise, mit den schmalen, länglichen Booten voller Netze, hinauszufahren aufs Meer.

Es gibt hier Probleme mit dem Fisch. Die Chinesen haben draußen auf dem Meer riesige Trawler, die unseren Fisch wegfangen.

Wettert dieser Fischer. Er ist an diesem Morgen an Land geblieben. Es würde sich nicht mehr lohnen, meint er. Das hängt nicht nur von der Jahreszeit ab, auch der Stand des Mondes beeinflusst die Fische. Und:

Einige unserer Fischer sind heute Nacht rausgefahren, aber die Trawler kommen immer ein Stückchen näher heran und töten viele Fische. Letztes Jahr ging es noch besser.

Wie alle hier schaut er lange aufs Meer hinaus. Wahrscheinlich wird es heute neun oder halb zehn, eher die Boote zurückkehren, meint er.

Im Hintergrund arbeiten andere Fischer an ihren Booten, reparieren Netze und undichte Stellen, streichen das Holz gegen Fäulnis und in den typischen bunten Farben und Mustern. Am Bug der schmalen Kähne haben die Besitzer auffällige Sprüche aufgemalt: „Gott schütze uns“, „Jesus hilft uns“ oder „Gott ist groß“.

Sieben bis acht Stunden draußen auf dem Meer – keine Seltenheit mehr für die Männer in den Fischerbooten, beobachten die Teams von Greenpeace Afrika im gesamten Golf von Guinea. Das Berufsrisiko ist enorm gestiegen, die Auswirkungen auf einen ganzen Berufszweig – gefährlich, sagt Aliou Ba:

Momentan ist es so, dass die Fischfangzeiten immer länger werden und der Fang immer weniger. Außerdem fahren die Fischer immer weiter hinaus aufs Meer, so dass auch immer mehr Boote einfach verschwinden und nicht mehr zurückkommen. Das Risiko für Leib und Leben ist auf Hoher See natürlich sehr viel größer.

Der Greenpeace-Aktivist beobachtet die gut 6000 Kilometer lange Küstenlinie vom Senegal bis Angola. Beobachtet die Schiffsbewegungen vom Monitor aus. Rund 1500 Hochseeschiffe zählt das Tracking-System täglich, per App kann man die Schiffe online verfolgen. Viele der Fischtrawler aber nicht. Sie schalten das Tracking-System zeitweise aus, fahren nachts ohne Positionslichter:

Tatsächlich sieht man diese Trawler einfach nicht, sie zerstören die Fischerboote oder die Netze, es gibt ganz oft diese Konflikte auf See.

Genau das kennen auch die Fischer in Limbe.

Langsam tuckern die ersten Mopeds über den Strand , die die Menschen laufen in Plastiklatschen oder barfuss runter zum Wasser. Jeder Morgen ist hier der Höhepunkt des Tages, wenn die Fischer vom Nachtfang zurückkommen.

Sie sind heute um zwei Uhr rausgefahren mit den Booten, normalerweise fahren sie erstmal vier, fünf Stunden aufs Meer hinaus, ehe sie die Netze auswerfen. Wenn man einen guten Tag hat, dann ist das Netz voll mit Fisch, aber es wird immer weniger.

Jeden Morgen müssen sich die daheim gebliebenen Frauen und Männer überraschen lassen, was diese Nacht in den Netzen hängen blieb. Und das ist immer weniger. Einige Fischer haben den Beruf aufgeben, sind arbeitslos, sitzen am Strand. Warten.

Laut Nichtregierungsorganisationen wie Seashepherd,Greenpeace oder WWF verlieren die west- und zentralafrikanischen Küstenstaaten wie Nigeria, Kamerun, Gabun oder Ghana jährlich rund 2 Milliarden Euro durch illegale Fischfangflotten vor der Küste von Westafrika. Zwei Milliarden, die die sowieso armen Länder dringend gebrauchen könnten, betont der aus dem Senegal gebürtige Meeresschützer Aliou BaAber es fehlt an allem:

Sie könnten natürlich ihre Hoheitsgewässer kontrollieren. Dazu müssten sie mehr in ihre Kontrollmechanismen investieren. Wenn man nicht kontrolliert, geht viel Geld verloren pro Jahr, das man genau da wieder verwenden könnte.

Gegen neun Uhr dreißig endlich die ersten Rückkehrer. Ein buntbemaltes Boot mit fünfzehn jungen Männern. Einer springt ins Wasser, ein anderer wirft ihm die Ankerleine zu. Nacheinander heben sie die weißen Plastikeimer aus dem Boot.

Wir müssen immer weiter rausfahren, weil der Fisch verschwunden ist.

Wir fahren bis nach Malabo raus mit unseren kleinen Booten, das ist sehr weit, mitten im Atlantik.

Mit der Flut treffen nacheinander weitere Boote ein. Der Strand füllt sich mit Menschen. Die Nacht war nicht gut für die durchtrainierten, jungen Fischer. Sie sind alle zwischen 16 und 25 Jahren alt und wütend auf die riesigen Fischtrawler, die draußen auf dem Meer alles wegfangen mit kleinmaschigen Netzen, die eigentlich verboten sind.

Das ist alles, nur kleine Fische. Wir sind drei Stunden rausgefahren, haben die Netze ausgeworfen, da war nichts, dann sind wir weitergefahren. Das ist das Ergebnis. Vielleicht bekommen wir 9000 Franc, also 13 Euro dafür, vielleicht auch 20 Euro, also 15 000 Franc.

Um zwei Uhr seien sie los aufs Meer, sagen die jungen Männer, fast acht Stunden später bringen sie zwei Eimer Fisch mit, der Fang der Nacht. Sobald sie ausgeladen haben, werden sie wieder hinausfahren ein Stück weiter Richtung Westen nach Idenau, Richtung Nigeria, sagt der Kapitän desillusioniert. Und deutet damit an, dass sie wahrscheinlich ihrerseits illegal in fremden Gewässern fischen müssen, um ihre Familien ernähren zu können:

Wir müssen jetzt gleich wieder los, werden wohl nach Idenau fahren mit den Booten und dort nach Fisch schauen. Heute Nacht haben wir viel zu wenig gefangen. Die ganze Woche war das schon so, nicht nur heute.

Die Fischer hier können nicht genug fangen aufgrund dieser Trawler. Wir hatten schon Zeiten, wo sie zwei Wochen lang ohne jeden Fisch zurückkamen. Die Trawler zerstören nämlich manchmal ihre Netze, also müssen ohne sie zurückfahren.

Noch ein Problem: Die Fischer verlieren nicht nur die Netze, für die sie oftmals Kredite aufnehmen müssen. Die verlorenen Netze treiben außerdem monatelang als „Geisternetze“ im Wasser vor der Küste, eine Falle für alle Meerestiere, nicht nur Fische, sondern auch Gambas, Muscheln, Thunfisch und Haie.

Die lokale Vereinigung der traditionellen Fischer, die Union des pêcheurs artisanals maritimes, UNIPARM verurteilt seit Jahren das Vorgehen der schwimmenden Fischfabriken in den internationalen Gewässern vor Kamerun. Sie weisen darauf hin, dass die illegalen Schiffe vor allem nachts in die Hoheitsgewässer eindringen, ohne Positionslichter :

Man sieht diese Trawler nicht, sie schalten die Lichter aus, man kann den Namen nicht erkennen, um sie zu melden. Und es sind viele, die tagsüber wieder in internationale Gewässer verschwinden. Sie schalten das Ortungssystem aus. Sie schalten die Lichter aus, keine Signale, nichts.

Viele der Familien in Limbe stammen aus Ghana, Benin und Nigeria. Seit Generationen werden sie in Kameruns Küstenorten geduldet, es herrscht ein reger Austausch zwischen den Fischern am Golf von Guinea, man hilft sich trotz der unterschiedlichen Sprachen und konnte bislang gut vom Meer leben, sagt der Chef des Gewerkschaftsverbandes Falowi Tata Jeme und schüttelt den Kopf:

Wir schicken gemeinsam mit dem Ministeriumsbüro hier am Hafen jeden Monat einen Bericht nach Yaoundé in die Hauptstadt, wer wie viel gefangen hat, die kennen die Situation, aber sie helfen uns nicht. .

Die Familien von Limbe haben aus ihren Herkunftsländern im westlichen Teil vom Golf von Guinea von diesem Vorgehen aus ihren Ländern gehört, jetzt ist auch Kamerun betroffen, weil die Trawlerflotten immer weiter vom Senegal in Westafrika Richtung Zentralafrika weiterziehen, dem Fisch hinterher. Und weil die anderen Staaten in Westafrika teilweise genauer hinschauen, stärker kontrollieren.

Zum Beispiel mit Hilfe der West Africa Task Force WATF, 2015 im Rahmen des Projektes Trygg Mat Racking TMT der Norwegischen Entwicklungshilfe NORAD gegründet. Die Task Force betrifft aber nur Benin, die Elfenbeinküste, Ghana, Liberia, Nigeria und Togo. Auch das internationale Fischereikommittee für den zentralwestlichen Golf von Guinea FCWC endet an der Ostgrenze von Nigeria. Kamerun gehört nicht dazu.

Wir können das nur weitergeben an die nächsthöhere Behörde, die wieder geben es weiter an ihre Vorgesetzten, mehr nicht.

Adolf Mokolo ist als Chef der Hafenpolizei zuständig für die Überwachung der südwestkameruner Küste. Eigentlich. Viel unternehmen könne er aber nicht. Er weist auf die Boote im Wasser und bestätigt genau das, was NGOs und Meeresforscher scharf kritisieren: Weit und breit kein Polizeiboot zu sehen. Nein, sie hätten noch nicht einmal eigene Boote für die Küstenwache, nur das Militär fahre raus. Und das nicht regelmäßig.

Ich weiß, woanders kontrolliert man das Hoheitsgebiet, hier ist das eben anders.

Nicht nur in Kamerun fehlt es an engmaschigen Kontrollmechanismen, auch beim Nachbarn Nigeria, in Benin und Ghana. Das Problem ist seit Jahren bekannt, unternommen wird dagegen praktisch nichts.

Bereits vor fast zehn Jahren, 2013 unterzeichneten die Anrainerstaaten vom Golf von Guinea den sogenannten Yaoundé-Vertrag in Kameruns Hauptstadt. Ein Abkommen zur Einrichtung eines engmaschigen System von Kontrollzentren für die Seegebiete.

Sogenannte MMCC, Multinationale, maritime Koordinationszentren gibt es von Praia, der Hauptstadt der Kap Verden über Accra, Hauptstadt von Ghana bis hin nach Cotonou im Benin, Douala in Kamerun bis nach Luanda in Angola, unterstützt von weiteren, lokalen MOCs, den National maritime Operation centres.

Die übergeordnete Golf von Guinea-Kommission wird getragen von den beiden verantwortlichen Wirtschaftsverbänden ECCAS für die zentralafrikanischen Staaten und ECOWAS für die westafrikanischen Mitgliedsländer. Das Hauptquartier dieser Organisation, das Interregionale Koordinationszentrum ICC, steht in Kameruns Hauptstadt Yaoundé.

Auf dem Papier ein beeindruckendes System, meint Meeresschützer Aliou Ba:

Es gibt eigentlich gute Gesetze in den Anrainerstaaten vom Golf von Guinea, wie Senegal, Gambia oder Kamerun. Aber das Problem ist die Umsetzung dieser Gesetze. Schauen Sie sich die Vielzahl von regionalen Projekten gegen Überfischung an, die Verträge, Übereinkommen gegen illegale Fischerei und Programme zur Nachhaltigkeit . Theoretisch ist das alles geregelt, aber es gibt einen großen Unterschied zu dem, was gesetzlich festgeschrieben ist und was tatsächlich draußen auf See passiert.

An Land, vor dem Lokal-Büro des Fischereiministeriums in Limbe weht die Kameruner Fahne.

Mit einem freundlichen Lächeln erscheint Nadege MathaSie ist als Ministeriumsangestellte verantwortlich für die Kontrolle und Überwachung der Fischfangquote. Jeden Monat schreibt sie einen Bericht an ihre Vorgesetzten in der Hauptstadt. Beschreibt die Situation der örtlichen Fischerfamilien, wer wie viel gefangen hat. Oft sind ihre Berichte nicht sehr umfangreich. Sie kennt die Situation draußen auf hoher See, kennt die Kritik der NGOs.

Sie versucht es diplomatisch zu umschreiben, wie das System in Kamerun funktioniert:

Die Chinesen haben tatsächlich in den überwiegenden Fällen die Verträge, die hier nach Kameruner Recht vorgeschrieben sind. Wenn man hier industriell fischen will, braucht man eine Fischfanglizenz, die nie an Ausländer, sondern nur an Einheimische vergeben wird. Die ausländischen Firmen bezahlen also einen Kameruner Strohmann, damit sie die Lizenzen bekommen. Dieser Strohmann muss kein Fischer sein oder sich noch nicht einmal in der Fischwirtschaft auskennen. Eine Fischereifirma kann jeder Kameruner gründen. Das ist das große Problem. Die Kameruner Firma steht im Vertrag, erhält die Lizenz, aber die ausländische Firma nutzt unsere Fischbestände. Unsere Ressourcen werden von den ausländischen Fischereibetrieben ausgebeutet und wir haben nichts davon.

Die Lizenzen würden rund 2000 bis 5000 US-Dollar kosten – pro Jahr. Ein Kilo der begehrten Gambas bringt an Land bereits 16 US-Dollar, rund 10 000 lokale CFA Franc.

Also, um hier professionell zu fischen braucht man die Fischerlizenz vom Fischereiministerium. Man braucht aber danach auch noch eine Bestätigung, dass man sich in den Gewässern auskennt und ein Schiff führen darf. Das beantragt man beim Transportministerium.

Zwei Ministerien, mindestens zwei Beamte, die viel zu wenig verdienen. Überall herrscht Korruption in Kamerun. Das Land steht im Korruptionsindex von Transparency international auf Platz 144 von 180 Ländern. Mit genug Geld erhält man die Papiere problemlos. Ein Teufelskreis.

Ein weiterer Grund für die Nachlässigkeit:

Der Anteil der Fischerei an der Wirtschaft Kameruns beträgt offiziell nur drei Prozent. Deshalb das Verhältnis zu China und anderen Staaten aufs Spiel setzen? Das lohne nicht, zumindest nicht für die Behörden.

An die Fischerfamilien, man schätzt rund drei Millionen Menschen von 28 Millionen Einwohnern in Kamerun, denke dabei keiner, sagt Ifesinachi Okafor-Yarwood, Expertin für maritime Sicherheit im Golf von Guinea an der University of St. Andrews, Schottland.

In ganz Afrika seien zehn Millionen Menschen vom Fischfang abhängig, hat sie errechnet. Die drei Prozent, der Anteil der Fischereiindustrie in Kamerun an der Wirtschaft des Landes, seien ja nur der Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Dass die Wertschöpfungskette vom Boot bis zum Teller viel größer sei, werde komplett unterschätzt. Lieber kümmerten sich die Regierungen um den Kampf gegen Piratenüberfälle:

Die illegale Fischerei hat aber weitaus gravierendere Folgen für die Ökonomie der Länder und ihreBevölkerung als die Piraterie, diese Leute sind bereits sehr arm, sie leiden bereits unter dem Klimawandel, die Verantwortlichen für die illegale Fischerei sind alles ausländische Trawler, dieselben, die von den Piraten gejagt werden. Der Kampf gegen Piraterie könnte doch ein Anreiz sein auch gegen die illegale Fischtrawler vorzugehen. Denn: Piraterie ist ja nur ein Symptom, nicht die Ursache für die Unsicherheit auf See.

Die Küstenbewohner würden geradezu dazu gedrängt, sich andere Geldquellen zu suchen, ihrerseits in illegale Geschäfte einzusteigen, warnt die Forscherin. Und der Lokalaugenschein gibt ihr recht:

In einigen der Boote im Hafen von Limbe liegen riesige, blaue Plastikfässer dicht an dicht. Die Boote sind größer, nicht bemalt und mit einem kräftigen Motor ausgestattet. Ein offenes Geheimnis, dass damit Benzin, Erdöl und wahrscheinlich andere, illegale Dinge von Nigeria nach Kamerun und zurück transportiert werden – besser gesagt – geschmuggelt. Drogen, Waffen. Eine andere, oft einträglichere Möglichkeit für die Fischerfamilien, sich über Wasser zu halten.

Ministeriumsmitarbeiterin Matha sieht das pragmatisch:

Sie transportieren Erdöl von Nigeria hierher nach Kamerun und bringen Waren von Kamerun nach Nigeria, wie Kleidung oder Gemüse, alles mögliche, was man dort verkaufen kann. Diese großen Boote sind deshalb nur für den Warentransport und nicht für den Fischfang.

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO geht davon aus, dass die Staaten am Golf von Guinea jährlich Milliarden durch die ausländischen „Dunkelflotten“ verlieren. Dagegen vorgegangen wird wenig. Stattdessen halten die Staaten West- und Zentralafrikas jedes Jahr im Frühjahr unter Führung der USA einen sogenannten Obangame Express ab – Militärübungen im Golf von Guinea gegen Piratenüberfälle. Diebstahl, Raub, Mord und Geiselnahme, um Geld zu erpressen – an den Methoden und Zielen von Piraten hat sich bis heute wenig geändert.

Die Hochseefrachter schützen sich gegen die vermummten, bewaffneten Angreifer , indem sie Hunde und Waffen an Bord haben, weiß Matha, aber auch indem sie das vorgeschriebene, internationaleOrtungssystem AIS ausschalten, um nicht gefunden zu werden.

Während die Überfälle von Piraten 2021 zurückgingen, aufgrund der Pandemie, stieg aus demselben Grund die Zahl der illegalen Fischfänge. Die Firmen machten sich zunutze, dass die Kontrollen der Behörden coronabedingt nahezu auf null heruntergefahren wurden, nicht nur in afrikanischen Gewässern, sondern weltweit. Auch in Kamerun kontrollieren immer weniger der gesetzlich vorgeschriebenen Inspektoren die Fischtrawler auf See. Und das nicht nur coronabedingt, sagt Ministeriumsmitarbeiterin Matha:

Die Kontrollen auf hoher See sind nicht einfach. Man muss dafür ausgebildet sein, die riesigen Schiffe hochzuklettern, einen Bericht zu schreiben, die Fischer richtig anzusprechen. Viele von ihnen haben keinen Respekt vor den Behörden. Kommt man den Schiffen näher, dann drehen sie ab und fahren einfach davon. Ein Katz-und Maus-Spiel. Sie kooperieren nicht mit uns. Und einige haben Hunde an Bord, die sie auf die Inspektoren hetzen, wir hatten da schon etliche Unfälle an Bord, das ist wirklich gefährlich für uns.

Für uns ist es so viel schwerer geworden. Die chinesischen Schiffe fangen alles weg. Sie kommen so gegen 4, 5 Uhr, meist zu zweit, manchmal überfahren sie die Netze und Boote unserer Leute. Alles passiert in der Nacht.

Der 73jährige David Butame kam vor 48 Jahren aus dem Benin nach Kamerun, er besitzt vier Boote. Aufs Meer fährt er nur noch, um die ausländischen Trawler zu beobachten und sofort zu melden.

Die Häfen von Kamerun setzen seit einiger Zeit verstärkt auf die pensionierten Fischer. Diese fahren nicht zum Fischen aufs Meer hinaus, sondern um die illegalen Schiffe zu dokumentieren. Gegen sie mit Waffen und Schnellbooten kämpfen wie die Piraten aus dem benachbarten Nigeria könnten sie nicht, meint er. In Limbe kenne er niemanden, der Schiffe überfallen hätte, auch wenn das immer häufiger vorkommt:

Wir wollen ja Fischer bleiben. Was sollen wir anderes arbeiten? Bei uns geht es immer um Fisch und das Fischen. Man kann natürlich etwas anderes essen, aber das ist unser Beruf.

Die Folge: weniger Fisch bedeutet auch höhere Preise für die einheimische Bevölkerung. Viele Fischerfrauen, die morgens mit den großen Plastikschüsseln zum Hafen kommen, kaufen den jungen Männern den Fang direkt vom Boot ab. Die größeren Fische verkaufen sie gegrillt auf dem Frischmarkt, die kleineren, wie z.B. Sardinen werden geräuchert und dann weiterverkauft:

Der Preis ist gestiegen, ja, wir müssen uns eben irgendwie anders organisieren, um davon leben zu können, denn wir haben nichts anderes, wir leben ja davon, also müssen wir uns anders organisieren, das ist das Einzige, was wir machen können.

Diese Mutter von vier Kindern steht in ihrer Hütte, neben sich eine riesige Feuerstelle, darüber ein Drahtgestell, auf der die Fische räuchern, drei Tage lang. Ihre Kinder sitzen zwischen den Fischen, im Rauch. Noch kann diese Fischersfrau ihre Kinder ernähren, den höheren Preis gibt sie weiter an die Marktfrauen, die sich ihrerseits beschweren.

Die Preise sind hoch. Letztes Jahr kostete der Fisch viel weniger. Es lohnt sich nicht mehr für mich, das auf unserem Markt in Buea zu verkaufen, der Fisch ist zu teuer, ich mache keinen Profit mehr.

Der bis in die Hauptstadt Yaoundé berühmte Räucherfisch aus Limbe – mittlerweile ein teurer Luxus, so diese Aufkäuferin in einer der Räucherhallen, die fast täglich von der Regionalhauptstadt Buea am Fuße von Kameruns höchstem Berg, dem Vulkan Mount Kamerun, runter zum Hafen fährt:

Der Golf von Guinea ist eine strategisch äußerst wichtige Region. Für den Abtransport von Bodenschätzen, für die Fischerei, dort gibt es sehr viele Interessen. Es gibt zum Beispiel noch viel Tunfisch und Shrimps. Sie kennen den hohen Preis von Shrimps im europäischen Supermarkt, das lohnt sich richtig, dort zu fischen.

Maurice Beseng, Meeresforscher an der Universität Sheffield und gebürtig aus Kamerun, beobachtet die Situation im Golf von Guinea seit einigen Jahren. Sein jüngster Bericht vom Dezember 2021 kommt zu ernüchternden Ergebnissen.

Es gehe nicht nur um chinesische Trawler in den Hoheitsgewässern der Staaten Westzentralafrikas, wie viele Einheimische glauben.

Auch europäische Firmen seien verstärkt illegal unterwegs, nutzen die Korruption in den Anliegerstaaten aus, um frischen Atlantikfisch auf den deutschen, französischen oder spanischen Tisch zu bringen:

Manche Leuten meinen, illegale Fischerei bedeutet wenig Risiko und hohen Profit. Zwar ist das Fischen auf hoher See nicht unbedingt einfach, aber man muss nicht viel investieren, um richtig viel Geld zu verdienen. Wenig Risiko, hoher Gewinn, das lockt immer mehr Kriminelle an.

Das bestätigt auch Sandra Schöttner, Teamleiterin in der Greenpeace-Zentrale Hamburg. Die EU-Flotten, vor allem aus Spanien, Italien, Portugal und Frankreich nutzen jede Möglichkeit, um die reichen Fischbestände in den Gewässern Westafrikas für die europäische Kundschaft abzuschöpfen.

Ein Trend sei die Umflaggung, so dass die eigentliche Herkunft der Schiffe nicht ersichtlich wird. Und gleichzeitig die Fischfangquoten der EU umgangen werden können:

Das Flag of convenience-Problem kennen wir seit Jahrzehnten, dass Schiffe einfach umgeflaggt werden, wie es gerade passt, um Gelder zu sparen, um Richtlinien zu umgehen, um irgendwelchen Strafen zu entkommen,

Bei den europäischen Flotten gehe außerdem nicht mehr nur um Fisch für den Teller, so Schöttner, sondern um einen weiteren wachsenden Industriezweig am Golf von Guinea, unterstützt von ausländischen Investoren: Besonders kleine Fische und Fischarten, die bisher keine wesentliche Rolle spielten, dienen der Herstellung von Fischmehl und Fischöl, erklärt die Greenpeace-Vertreterin.

Also dieses Fischöl und Fischmehl geht direkt also als Fischfutter verlässt es das Land in Afrika und geht zum Beispiel direkt nach Dänemark in die Fischfarmen und man hat dieses Fischmehl und Fischöl auch schon in Mastbetrieben bei der Schweinemast schon nachgewiesen, also es geht nicht mehr nur um Aquakultur, sondern es geht auch schon um Mastbetriebe hier in Europa für Fleisch.

In Kameruner Gewässer sind Schiffe aus China unterwegs, aus Korea, aus Griechenland, ja, aus Europa. Und sie sind dort unterwegs, wo es gar nicht so viel Fisch gibt, und auch keine staatlichen Kontrollen, man kann sich vorstellen, welchen Einfluss das auf die Meeresökologie hat. Und die einheimischen Fischer haben nicht genug Einkommen – ein großer Konflikt.

Ein noch größeres Problem sieht Beseng im Einsatz von Chemikalien auf den ausländischen Hochseeschiffen: Um den illegalen Fang zu kleiner Fische zu vertuschen, werde der Beifang oft mit Flüssigkeiten besprüht, bevor er wieder über Bord gekippt wird, so Beseng:

Es gibt Regularien, die die Größe der gefangenen Fische begrenzen. In den illegal eingesetzten engmaschigen Netzen finden sich aber oft ganz kleine Fische. Wenn diese ins Meer zurückgekippt werden, bleiben sie oft an der Oberfläche und damit sie schneller absinken, werden sie vorher mit Chemikalien besprüht.

Gegen die chinesischen „Dunkelflotten“ kann Kamerun nicht vorgehen, denn das Land steckt in einem Dilemma: China investiert Millionen in Infrastrukturprojekte, baut momentan einen strategisch wichtigen Tiefseehafen, den größten in Zentralafrika, in dem früher beschaulichen Erholungsort Kribi. China besitzt weiters Konzessionen für Tropenholz aus dem Regenwald im Kongobecken, an Kakao- und Kautschukplantagen. Aber auch gegen die europäischen Flotten könnten die Staaten West- und Zentralafrikas nicht viel unternehmen, sagt die Dozentin für maritime Sicherheit im Golf von Guinea an der University of St. Andrews, Schottland, Ifesinachi Okafor-Yarwood. Selbst wenn die Regierungen sich wehren wollten gegen die Überfischung ihrer Gewässer:

Diese Unabhängigkeit existiert doch nur auf dem Papier. Wenn Sie sich die Situation vor Ort anschauen und einen Einblick in die politischen Vorgänge erhalten, bemerken Sie, diese Länder sind noch immer nicht wirklich unabhängig. Die alten postkolonialen Strukturen existieren immer noch. Wenn Du mich unterstützt, unterstütze ich Dich auch. Die normalen Leute leiden darunter, das ist die bittere Realität. Das macht das Problem so komplex.

Da hinein passt auch, dass Kamerun kürzlich eine gelbe Karte der EU bekommen habe, wegen fehlender Bekämpfung illegaler Fischerei in den eigenen Hoheitsgewässern.

Die Situation könne daher nur geändert werden, wenn die Staaten der Europäischen Union ihre Fischereipolitik vor den Küsten Westafrikas ändern, pflichtet ihr Greenpeace-Expertin Sandra Schöttner bei:

Wenn die Weichenstellung in diesen Ländern nicht passiert, werden die afrikanischen Länder sehr wenig Möglichkeiten haben, sich gegen diese Ausbeutung zu wehren, sie können letztlich nur versuchen, die Lizenzverträge, die Fischereiabkommen, die auf bilateralem Wege zustande kommen, zum Beispiel zwischen der EU und einzelnen afrikanischen Ländern, besser, das heißt strikter und auch lukrativer zu verhandeln und das Geld dann in den Aufbau eines eigenen Systems zu investieren, das hilft Fischereikontrollen durchzuführen.

Kamerun hat laut Regierungsangaben einen Bedarf an Fisch von rund 400.000 Tonnen. Um diesen Bedarf zu decken, muss der Staat rund 280 000 Tonnen Fisch importieren.

Unter anderem von chinesischen Firmen.

ENDE