Zwischen Bedauern und Abschaltparty. Endgültiges Ende von AKW Isar II

Am 15. April ist endgültig Schluss mit der Nutzung von Kernenergie in Deutschland

Dreieinhalb Monate später als geplant geht damit auch in Bayern das letzte AKW vom Netz. Isar 2, das modernste deutsche Kernkraftwerk, lieferte bislang 1,5 Gigawatt Strom pro Jahr. 1988 ging es in Betrieb und war damals das leistungsstärkste AKW weltweit. Jetzt wird es abgeschaltet wie zuvor schon der benachbarte Block Isar 1. Das Vorgehen ist umstritten, bei der Landesregierung und der Bevölkerung, Atomkraftgegner hingegen feiern das Datum.

Noch steht die Wasserdampfwolke hoch über dem Kühlturm des Atomkraftwerks Isar II. Zwei Drittel der Normalleistung speist das Werk derzeit noch ins Stromnetz ein. In den vergangenen Wochen wurde die Produktion bereits sukzessive heruntergefahren. Am 15. April, kurz vor Mitternacht wird die Verbindung zum deutschen Stromnetz gekappt.

Naja, die Lichter werden jetzt nicht ausgehen, wenn das Kraftwerk jetzt dicht macht, wobei es natürlich schon bedenklich ist, das Ganze.

Jeden Morgen schaut Bürgermeister Josef Klaus auf dem Weg zum Rathaus von Niederaichbach Richtung Kühlturm und denkt mit gemischten Gefühlen an das Datum der endgültigen Abschaltung.

Seit er denken kann, war das Atomkraftwerk in Sichtweite, erst in den 60er Jahren ein Forschungsreaktor, dann der erste Block Isar 1 1977, dann Isar 2 ab 1988. Über 45 Jahre lang gehörte das Werk zum Ortsbild der 4000 Einwohner-Gemeinde in Niederbayern. Arbeitsplätze, Kaufkraft. Die Gemeinde lebte gut mit und von den Angestellten, es wurde Gewerbesteuer eingenommen.

Es gibt nach wie vor welche, die das kritisch sehen und sagen, das geht nicht, aber die Masse der Leute, so 95 Prozent sagen, lassen wir das doch weiterlaufen, nicht unendlich, sondern übergangsweise, drei bis fünf Jahre, so in etwa die Zeitschiene, bis wir uns anderweitig besser aufgestellt haben.

2011, nach Fukushima sei man einverstanden gewesen mit der Entscheidung, aus der Atomkraft auszusteigen, aber heute, spätestens seit Februar 2022, seit der Strompreiserhöhung, der Gaskrise, fehlendem Endlager, fehlenden Stromnetzen, hätte sich die Meinung gedreht, so der Bürgermeister. Denn die Bedingungen stimmen nicht:

Seit gut fünf Jahren sei der Umbau auf erneuerbare Energien rund um seine Gemeinde im vollen Gange, erklärt der CSU-Politiker. Im nahen Dingolfing, Standort des Energieverbrauchers Nummer 1, BMW, wurden die Fertigungshallen mit Solarmodulen belegt. Der östliche Landkreis Dingolfing lieferte bereits 2020 laut Energieatlas Bayern knapp 380 Megawattstunden Solarstrom, der Landkreis Landshut im Westen deckt 39 Prozent seines Energiebedarfs mit 472,3 Megawatt PV-Leistung durch Photovoltaik und sechs Windkraftanlagen mit 14,4, Megawatt Leistung.

Die Stromproduktion, der Umstieg auf erneuerbare Energien, alles machbar, aber es fehlen Speicherkapazitäten. Und:

Das Problem sind tatsächlich die Stromnetze, weil in diese 20kV-Stromnetze eingespeist werden muss und diese Netze sind mittlerweile voll, weil man ja in der Vergangenheit erneuerbare installiert hat auf Dächern, auf Industrieanlagen und jetzt vermehrt auf Freiflächen, wir auch das Baurecht schaffen, über Bebauungspläne, Flächennutzungsänderung usw., aber die Investoren kommen mit dem Strom nicht ins Netz rein, das ist das Problem.

Weiterbetrieb wäre sinnvoller.

Na, ich finde das nicht gut, ich würde das Ding laufen lassen bis es auseinanderfällt und der TÜV sagt, jetzt ist Schluss.

Der Mann vor dem örtlichen Supermarkt schüttelt mit dem Kopf:

Das ist ja im Grunde Geld, was man da vernichtet, das Atom ist ja sowieso da, die Reststoffe bleiben da, es würden halt mehr werden, wenn es weiter laufen würde, aber das würde sich auch rechnen. Die Kosten bleiben ja, ob das nun jetzt ist oder später. Ist eigentlich schade um die Anlage.

Ich bin aus Dingolfing, also nicht direkt vom Ort, aber ich finde es nicht gut, dass abgeschaltet wird, und dann wird der Atomstrom aus der Tschechei oder sonstwo hergeholt, lieber hätten wir es bei uns, so hätten wir die Sicherheit selbst in der Hand, meine Meinung.

Wacklige Versorgungssicherheit, volkswirtschaftlicher Schaden, fehlender Netzausbau, CO2-Bilanz, das passe momentan alles überhaupt nicht zusammen mit einem Atomausstieg, wettert Bayerns Umweltminister als Aufsichtsbehörde, gegen die Abschaltung eines der effizientesten und – wie von Betreiber Preussen Elektra immer wieder betont – mit 600 Milliarden Kilowattstunden insgesamt und in vier Jahrzehnten nur drei kleinen Störfällen der Klasse Null – eines der leistungsstärksten Kernkraftwerke der Welt. Zuletzt deckte es 13 Prozent des bayerischen Energiebedarfs.

In einem letzten Pressetermin direkt im Werk wird Glauber noch deutlicher:

Eigentlich muss man doch ganz ehrlich sagen, eine völlig irrationale Entscheidung, eine völlig irrationale Entscheidung in der Folge von Fukushima, aber ingenieurmäßig völlig irrational, völlig irrational.

Deutschland werde mit der Abkehr von der Atomkraft vom Stromexporteur zum Stromimporteur, vom Vorreiter zum Bittsteller, legt Glauber nach. Der notwendige Netzausbau, parallel zum Ausstieg, sei vom Bund komplett vernachlässigt worden. Tatsächlich wird der Ersatz für Isar 2, die Stromtrasse „Südostlink“ aus Sachsen-Anhalt voraussichtlich erst 2027 in Niederaichbach ankommen, von den notwendigen zwei Konvertern auf einem Feld unweit des Werksgeländes ist noch nichts zu sehen, außer vergilbte Protestplakate dagegen.

Betreiber Preussen Elektra hält sich mit seinen Aussagen vor Journalisten eher zurück. Im Ausland ernte man nur Kopfschütteln für die Abschaltung, sagt CEO, Guido Knott, Vorsitzender der Geschäftsführung der PreussenElektra GmbH:

Es ist schade, aber es ist wie es ist, da wir es nicht ändern können werden wir das Beste draus machen… Wir haben pro Block etwa 1,1 Milliarden Euro an Budget, also wir glauben dass wir in den Kostenrahmen zurechtkommen, für diesen Standort bedeutet das 2.2, 2.3 Milliarden Euro.

Das Beste draus machen heißt: Alle 450 Beschäftigten erhalten bis 2029 eine Beschäftigungsgarantie am Standort. Bis zum endgültigen Rückbau 2040 werde die Belegschaft halbiert. Man werde bis zu 90 Prozent des Materials wie Beton oder Stahl wiederverwenden, so der Plan. Auf dem Gelände könnte man sich nach 2040 ein Batteriezentrum vorstellen. Technische Teile der stillgelegten deutschen AKWs werde man ins Ausland verkaufen an Brasilien oder Spanien, die damit ihre neuen Kernkraftwerke bestücken, ergänzt Knott.

Die Abschaltung sei ein schwerer Schritt, gibt Carsten Müller, Standortleiter des Kernkraftwerks Isar 2 zu, auch wenn der Rückbau aus technischer Sicht durchaus interessant werde.

Das war natürlich im letzten Jahr, als es um den Weiterbetrieb ging, ein sehr starkes Hin und Her. Wir hatten uns darauf eingestellt, Rückbau geht jetzt voran, dann machen wir doch weiter, Hoffnung keimt auf, dann sind es nur drei Monate. Und jetzthaben wir uns auch damit abgefunden, jetzt ging es wieder los, geht es vielleicht doch weiter.

Seine Mitarbeiter hoffen noch auf ein Wunder, weiß der Werksleiter. Ein Weiterbetrieb sei aus seiner Sicht unproblematisch.

Noch ist der Antrag auf Rückbau vom bayerischen Umweltministerium gar nicht genehmigt, das kann Monate dauern. Der Point of no return, also der Punkt, ab wann nach einer Abschaltung ein AKW nicht wieder hochgefahren werden könnte, dürfte erst 2024 oder 2025 eintreten. Fünf Jahre dauert es, bis die Brennstäbe entfernt werden können und in einem der Castoren landen, von denen bereits jetzt schon 70 von maximal 130 auf dem Gelände stehen, im Zwischenlager namens „Bella“. Auch deren weitere Zukunft ist ungewiss, auch wenn sich Bayern nicht mehr konsequent einem Endlager verweigert.

Endlich Schluss.

Die einzigen, die am 15. April feiern wollen, laden schon jetzt zur abendlichen Abrissparty auf den Münchner Odeonsplatz ein. Mit dabei Kathi Müllerbach-Sturm als Kreisvorsitzende vom Bund Naturschutz Landshut.

Naja, man denkt, der Strom kommt immer nur von den Atomkraftwerken, aber die Atomkraftwerke machen gerade mal ein Prozent der Stromproduktion aus, die ein Prozent wird man schon ersetzen, das ist nicht der Punkt, dass wir keinen Strom mehr haben.

Seit den 80er Jahren habe er gegen Atomkraft gekämpft, freut sich Louis Herrmann, Vereinsvorsitzender vom Bürgerforum gegen Atomkraftwerke in Landshut und Umgebung, auf das Ende von Isar 2:

Wir werden sicher feiern und wir freuen uns auch schon drauf, weil wenn diese Gefahrenquelle endlich mal beseitigt ist, ist siezwar noch nicht ganz mit dem Zwischenlager, aber zumindest dass nichts Neues mehr produziert wird, das ist ein Highlight, was nicht mehr besser geht.

ENDE