Was geht uns das an? Verfilmte Kolonialgeschichte.

Kameruner Dokfilmprojekt « Patrimoine et histoire coloniale 2021 »

Teilnehmer des Dokfilmprojektes

Die Black Lives Matter-Bewegung aus den USA gab den Ausschlag: Rund sechzig Jahre nach der Unabhängigkeit vieler afrikanischer Staaten diskutieren afrikanische Künstler, Journalisten und Wissenschaftler heute wieder verstärkt über die Folgen des Kolonialismus für ihre Länder. Während in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren nahezu ausschließlich die negativen Auswirkungen für die afrikanischen Gesellschaften betont wurden, flossen in die Diskussion der neunziger Jahre auch Überlegungen über mögliche positive Folgen ein. Heute sieht eine neue Generation die Debatte mit anderen Augen, ist auf der Suche nach einer präkolonialen Identität. Wie groß das Interesse daran ist, zeigten die Bewerbungen für ein Dokumentarfilmprojekt in Kamerun, in dem die Teilnehmer nicht nur die neuesten Videotechniken kennenlernen, sondern sich mit der deutschen Kolonialzeit Kameruns beschäftigen sollten. Drei Monate lang wurde diskutiert, geschrieben, gedreht und im Land herumgereist (Links zu den Filmen siehe unten).

Der Leiter des Projektes: Jean-Marie Teno, einer der bekanntesten Regisseure Kameruns, der seit den 70er Jahren in Paris arbeitet und die Oscar-Academy in Hollywood berät. Tenó gehört neben Jean Riene Bekólo zu den wichtigsten Regisseuren Kameruns.

https://srv.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.3265.de.html?mdm:audio_id=dira_DLF_6e84c6c7

Man sieht sie noch, die alten Wege der Kolonialzeit, die über die Berge führen, Richtung Niger und Tschad. Wo die Kolonialtruppen entlangfuhren, Einheimische rekrutierten – dort knattern jetzt die Motorräder der Jugendlichen vorbei, laufen Frauen zu den Baumwollfeldern. Der Norden Kameruns sei bis heute geprägt von der kolonialen Infrastruktur, ist Jungregisseur Fernand Mazidar erstaunt. Und nicht nur das:

In der präkolonialen Zeit wurde Nordkamerun islamisiert, dann kamen die Deutschen, Franzosen und Briten, dominierten die örtlichen Volksstämme, weil die Passagen Richtung Tschad und Nigeria hier im Norden so wichtig waren.

Doch das ist nur wenigen Menschen in Kamerun bekannt. Mazidar, Student an der Universität von Maroua/ Nordkamerun hat deshalb in Les routes des montagnes, „Die Wege der Berge“ die alten Grenz-Routen der Kolonialzeit befahren und hinterfragt, warum es heute in seiner Heimat diesen Kampf der Religionen und Islamisten von Boko Haram gibt – ein Erbe der Kolonialzeit:

Dieses Projekt bietet mir die Möglichkeit, endlich einmal praktisch einen Film zu drehen, an der Uni geht es viel um Theorie, hier mit Jean-Marie Teno herrscht eine super professionelle Stimmung, das ist eine große Chance für mich.

Kolonialgeschichte, koloniales Erbe, immer mehr junge Kameruner wollen wissen, warum sie französisch oder englisch reden und nicht eine der rund 250 traditionellen Sprachen des Landes. Warum das Volk der Tpuri in zwei Ländern lebt aufgrund der kolonialen Grenzen. Zwischen Kamerun und dem heutigen Tschad existierte einmal das Königreich Toupouri,, bis die Kolonialgrenze das Reich in zwei Teile zerschnitt.

Was genau macht das über 100 Jahre später mit der Bevölkerung, fragt der Dokumentarfilm Au delà des frontières – Zwischen den Grenzen von Jessica Ferring Zimigna, selbst aufgewachsen in Nordkamerun, Studium im Tschad.

Die Menschen hier sind es nicht gewohnt, ihre Umgebung zu hinterfragen.

Sagt Kameruns Vorzeigeregisseur Jean Marie Teno. Seit 2017 lädt er, der in Frankreich lebt, schon mal für den Auslandsoscar nominiert war und regelmäßig in Afrika lehrt, jährlich drei Monate lang zu einem Filmworkshop in Kameruns Hauptstadt Yaoundé. An dessen Ende stehen fünf Dokumentarfilme von jungen Regisseuren. Das Thema: die Auswirkungen der Kolonialzeit:

Deshalb habe ich vor einigen Jahren begonnen, junge Menschen zu Dokumentarfilmern auszubilden, damit sie ihr kulturelles Erbe hinterfragen, die Landschaften zeigen, die Erinnerungen, die Geschichten der Menschen.

Im Gespräch mit Jean-Marie Teno

Nachdenklich betrachtet schließlich Regisseurin Stella Tchuisse alte, deutsche Behördengebäude, filmt skeptisch die riesigen Einheitsmonumente.

In ihrem 30minütigen Dokumentarfilm zeigt sie die Situation in Südwest- und Nordwest-Kamerun, ebenfalls eine Krisenregion; seit fünf Jahren im Konflikt mit der Staatsregierung – tausende Tote, hunderttausende Binnenflüchtlinge. Sie fragt Jugendliche, was sie von der Kolonialzeit wissen. Nicht viel.

Ich komme eigentlich aus dem Westen, lebe jetzt hier aufgrund der Krise in Zentralkamerun. Mein Film ist ein historischer Rundgang durch die Brille der heutigen Jugend, was sich ja sehr unterscheidet, je nachdem ob sie in einem englischsprachigen oder französischsprachigen Landesteil leben. So wird zum Beispiel die Konferenz von Foumban, auf der man die Vereinigung der beiden Kolonien beschloss, ganz unterschiedlich gesehen.

Sich der eigenen Geschichte bewusstwerden, Zusammenhänge erkennen.

Nicht nur für Kameruner sind die fünf Dokumentarfilme deshalb unbedingt sehenswert. Projektleiter Jean Marie Teno ist überzeug: Die Kolonialzeit dauert noch immer an.

Die offiziellen Kameruner Geschichts-Schulbücher werden zum Beispiel von einem französischen Autor geschriebenen und in Frankreich gedruckt, dem ehemaligen Kolonialreich. Das muss sich ändern, meint zum Schluss Projektteilnehmer Jean Marc Mimbala Zang nach dem Dreh über die – mit Hilfe von Einheimischen in Zwangsarbeit erbaute – deutsche Eisenbahnlinie: 

Das ist für unsere Generation so wichtig, sich damit zu beschäftigen, viele wissen davon überhaupt nichts. Aber wir müssen doch unsere Geschichte hinterfragen, das ist doch unsere Vergangenheit, um zu wissen, wer wir sind. Wir haben die alten Sprachen vergessen, die Traditionen, dabei ist das unser Erbe und wirklich wichtig. 

ENDE

Siegerfilme on vimeo:

Au delà des frontières – Zwischen den Grenzen Wang Dore, au delà des frontieres on Vimeo

Les routes des montagnes – Die Wege der Berge La Route Des Montagnes on Vimeo

Les Fantômes de SA’A Les Fantomes de SA’A on Vimeo

1961 – Unabhängigkeit 1961 on Vimeo

ZOKOK, la punition collective ZOKOK la punition collective on Vimeo