Sound der Krise. Die junge anglophone Musikszene Kameruns

Gemeinsam gegen den Bürgerkrieg.

Mary Asaba, links und Mr. Leo, rechts

Seit fünf Jahren tobt in Kamerun ein Bürgerkrieg im englischsprachigen Nordwest- und im Südwesten des Landes. Viele anglophone KünstlerInnen, MusikerInnen und SängerInnen mussten deshalb seit 2016 ihre Heimat verlassen. Statt in ihren Musikstudios in Buea, der Regionalhauptstadt des Südwestens, produzieren sie ihre Alben in Douala, der Hafenstadt Kameruns. Eine neue Generation kreativer Köpfe setzt sich mit Hilfe ihrer Songs gegen die Vertreibung und die wachsende Gewalt in den Krisengebieten ein und verschafft sich damit mittlerweile auch international Gehör.

Bericht Deutschlandfunk Corso

Der Sound der Krise: Wie Musiker in Kamerun sich gegen das System auflehnen (deutschlandfunk.de)

Der Weg zu den Lionn-Records führt durch ein hohes Metalltor an einer der holprigen Straßen von Douala. Im Hinterhof geht es in ein kleines Rückgebäude, direkt ins Aufnahmestudio.

Erst vor kurzem seien sie hierher umgezogen, sagt Leonhard Fonyuy Nsobunrika, in ganz Kamerun und Westafrika besser bekannt als Mr. Leo.

Kreuzanhänger im Ohr, Häkelmütze auf dem Kopf:

Bis vor kurzem waren wir noch in Buea, ehe wir hierher umziehen mussten. Es war einfach zu gefährlich geworden wegen der Krise in unserer Heimat. Mehr als fünf Jahre konnten wir dort Musik machen, jetzt machen wir hier weiter, nicht nur für Kamerun, für ganz Afrika.

Seit dem Überraschungserfolg „E Go Betta“ 2014 gehört Mr. Leo auf die Kopfhörer der jungen Generation. Er hat zu einem neuen Selbstbewusstsein der Jugend Kameruns beigetragen und auch dazu, dass amerikanische Popmusik immer mehr von Kameruner Sing- und Songwritern verdrängt wird.

Geprägt von der Krise in seiner Heimat Norwestkamerun, stellt sein neuestes Album „Lion of Africa“ einmal mehr die Frage nach der eigenen Identität, bewusst im vorkolonialen Dialekt gesungen, auf Videoclips zeigt sich Mr. Leo in der traditionellen Kleidung seiner Region:

Es ging mir immer darum, die aktuelle Situation in Kamerun zu beschreiben, das, was um mich herum passiert, aber in meinem neuen Album wende ich mich direkt an die Jugendlichen Afrikas… Ich will der Jugend Afrikas sagen, dass es Zeit ist, aufzuwachen, Verantwortung zu übernehmen und selbst aktiv zu werden, um voranzukommen und nicht auf andere zu warten.

Drastische Bilder, drastische Songs. Mr. Leo ist sich nicht zu schade, in die Rolle des blutüberströmten Opfers zu schlüpfen, 2019 im Song „Amen“, ein Text über die Gewaltspirale zwischen aufgeheizten Menschengruppen in den Krisengebieten, alle Opfer einer Sprachlosigkeit zwischen den Regierungstruppen und den Rebellen. Damals stand die junge anglophone Sängerin Asaba Mary noch als Backgroundsängerin hinter ihm, heute veröffentlicht sie, unter anderem im Lionn-Musikstudio, eigene Platten mit ebenfalls deutlicher Kritik am Bürgerkrieg:

Wir hatten immer Angst davor, uns zu äußern, das einzufordern, was uns gehört, unsere Meinung zu sagen, vorn zu stehen, weil wir das Gefühl hatten, dem nicht genügen zu können, nicht das Format zu haben wie eine Beyonce. Aber die junge Generation versteht, das es so nicht weitergehen kann und wir es selbst in die Hand nehmen müssen.

Mary Asaba

„Wenn Ihr sie alle getötet habt, wer wird dann Präsident, wer Minister…“ nach fast 40 Jahren Alleinherrschaft des jetzigen Präsidenten Paul Biya finden Sängerinnen wie Mary Asaba deutliche Texte. Trotz fehlender Sicherheit tritt sie in Limbe, in Südwestkamerun, direkt im Krisengebiet vor Fans auf.

Ich habe fast zehn Jahren lang Background gesungen, weil ich Angst hatte, dass ich und meine Musik oder wie ich singe nicht akzeptiert würden. Deshalb war ich regelrecht schockiert, dass ich als Sängerin so gut aufgenommen wurde, als ob das Publikum nur auf ein neues Gesicht und eine neue Stimme gewartet hätte. Unsere Angst ist es, die Afrika und Kamerun lähmt und uns immer noch daran hindert, unsere eigene Musik, Kunst und Kultur zu machen.

Wo immer es geht, erinnert Asaba ihr Publikum an die eigene Identität, die eigene Herkunft und Kultur, die auch durch die Black Lives -Matter-Bewegung auch in West- und Zentralafrika vermehrt ins Bewusstsein der jungen Leute geraten ist. Und ist dabei eine von immer mehr jungen Frauen, die sich – weit entfernt vom typischen Afropopsound – auf die Bühnen der Bars, Clubs, Hinterhöfe und Cabarets der Hauptstadt Yaoundé und Doualas stellen.

Im Gespräch mit Joyce Babatunde im Quartier Mozart, Yaoundé

Die englischsprachigen Gebiete sind im Krieg, sagen wir es doch deutlich, dort ist Krieg.

Verdeutlicht Joyce Babatunde, Soulsängerin und Spokenword-Artist aus dem Nordwesten.

Wir müssten mehr gehört werden, wir brauchen eine Stimme, eine deutliche Unterstützung für unsere englischsprachigen Menschen, der Kampf ist aus dem Ruder gelaufen und da stehen wir jetzt, fünf Jahre später.

Pokalgalerie von Salatiel

Spätestens seit Kameruns bekanntester Sänger Salatiel Livenja Bessong, kurz Salatiel, ebenfalls die Krise in den anglophonen Gebieten auf seinen Tourneen thematisiert, kennt sein Publikum im übrigen Afrika und Europa Kamerun. In seinem Label Alpha-Better-Records erscheinen die Songs des Nachwuchses. Auch Mr. Leo begann bei Salatiel seine Karriere. US-Superstar Beyonce nahm mit ihm einen Song für ihr Album „The Lion King“ auf.

Kameruns Musikszene hat das Problem, dass sie nicht so bekannt ist wie die von Coté d’Ivoire, Nigeria oder Kongo. Aber einzelne Musiker kennt man mittlerweile sehr gut auch außerhalb des Landes und daran müssen wir arbeiten.

So Salatiel in seinem Musikstudio, wo er eigene Shows und auch das neueste Album produzierte „Afrika represented“. Eine Platte gemeinsam mit Künstlern aus ganz Westafrika. Wenn die Pandemie es erlaubt, will er damit auch auf Tournee ins Ausland gehen.

ENDE