Musik aus dem Nirgendwo. Zu Besuch im nördlichsten Musikstudio Islands – Floki

Das nördlichste Studio Islands: Reportage aus den Floki Studios

Mit moderner Tontechnik und Musiksoftware kann heute fast jeder ein eigenes Homestudio aufbauen, zu niedrigen Kosten und auch gleich selbst produzieren. Professionelle Studios müssen sich etwas einfallen lassen, wie sie trotzdem attraktiv sein können. In den letzten Jahren, unterbrochen von der Pandemie, wurden zahlreiche neue Musikstudios gebaut oder reaktiviert an spektakulären Orten: Im Regenwald von Brasilien das Sonasterio der Miloco Studios, auf einer Insel in Norwegen das Ocean Sound, in der Provence die Miraval Studios, in Südspanien die Space Mountain Studios, im englischen Exmoor die Devon Analogue Studios und seit knapp einem Jahr in Nordisland das Floki Studio, das nördlichste professionelle Musikstudio der Welt.

Fünf Stunden Fahrt, immer Richtung Norden, das ist der Weg zu den Floki Studios von Haganes. Zum Sonnenaufgang um 11 Uhr geht es entlang an den pittoresken rotglühenden Felsen bei Reykjavik, durch den Atlantiktunnel Hvalfjardargöng über die lange Brücke des fast zugefrorenen Fjords von Borgarnes auf die Hochebenen des Nordurland vestra, des Nordwestlands.

In der Nacht hat es geschneit, die geduckten Zwergtannen und Moosfelder sind von Raureif überzogen, halbgefrorene, glasklare Flüsse und ihre Wasserfälle funkeln lila in der niedrigstehenden Wintersonne. Waren die Straßen anfangs noch geräumt sind sie nach drei Stunden Fahrt zum Sonnenuntergang durchgehend weiß. Hier oben sollte man nur mit Allradfahrzeugen fahren, heißt der Tipp von Isländern. Irgendwann nach fünf Stunden funkelt der Vollmond über der ständig wechselnden Landschaft. Nordlichter tanzen hier fast täglich über den Winterhimmel.

Das Treffen mit Studiomanager Wade Koeman ist für 11 Uhr zum Sonnenaufgang angesetzt. Dicke Schneeflocken verhindern die Sicht auf die umliegenden Berge. Die zwei weißen Gebäude – in Europa würde man sie Baracken nennen – mitten auf einer Landzunge im Atlantik ducken sich vor dem arktischen Wetter:

Wir sind hier schon wirklich weit im Norden, der Polarkreis ist da drüben einige Meilen von hier, es ist also schon sehr nördlich.

Im Hintergrund am Strand die zwei Gebäude des Floki

Die Atlantikwellen brechen sich direkt vor den Studiofenstern, in der Ferne auf dem Nachbarhof stehen zahlreiche Islandpferde auf der Koppel und trotzen dem eisigen Wind.

Also, das Haus hier wurde 1919 gebaut und war ursprünglich der Dorfladen für Haganes und ein paar Ferienhäuser. Früher ging hier die Dorfstraße vorbei, das ist jetzt nur noch ein Fußweg, wo man langlaufen kann. Das andere Gebäude daneben war das örtliche Schlachthaus für die Region. Die Gebäude gibt es also schon sehr lange.

2016 entdeckte die US-amerikanische Eventfirma Eleven Experience den Ort für sich, baute eine Farm in den Bergen zu einer Lodge aus und nutzte die zwei Gebäude zum Catering für Touristen und für die Unterbringung von Kajaks, Surfbrettern und Neoprenanzüge. Irgendwann kam die Idee von einem Musikfestival auf, wie es eines in den Westfjorden gibt, die aber schnell verworfen wurde, dann die Idee von einem Musikstudio. Im Nirgendwo. Weit weg von Menschen, nur umgeben von Schafen, Pferden, Nordlichtern und im Sommer Dauersonne.

Ja, genau, das ist das Studio. Das ist es. Aber wir müssen natürlich reingehen, ich zeige Ihnen jetzt das Innere. Wir haben innen ein voll ausgestattetes Musikstudio, auch wenn das von außen nicht so aussieht. Die Idee ist, einer Band, die das erste Mal hier ist, etwas ungewöhnliches zu bieten, eine familiäre Atmosphäre, das gilt natürlich auch für isländische Bands, das man einfach gern hier eine Woche oder einen Monat sich nur um sein Album kümmert, komplett weg von der Welt.

Gleich am Eingang empfängt einen der flackernde Kamin, darüber ein Hirschkopf, Ledersessel. Keine Spur von nüchternem, funktionalem Aufnahmestudio, Gemütlichkeit ist das Studiokonzept. Über der gut aufgeräumten Bar hängen 80er Jahre Retroprints. In dem großen Aufnahmestudio neben drei Silentboxen und dem etwas kleineren Studio hängen Diffuser vom örtlichen Schreiner an den Wänden, an der Decke Akustikmodule, verkleidet mit isländischen Schafwolldecken. Das arktische Wetter draußen ist sofort vergessen.

Ja, das hier sind die Diffuser und die Idee dahinter ist, verschiedene Studioatmosphären mit unterschiedlichen Klängen zu schaffen. Das ist alles handgemacht von einem holländischen Schreiner, der hier wohnt, der hat alles für uns gemacht. Dasselbe gibt es auch in dem anderen Raum.

Gang zur Sauna

Im hinteren Teil des Gebäudes hängen Bademäntel an Holzhaken, Handtücher in Regalen, gleich neben großen Tonbandboxen. Wenn es mal nicht läuft mit der Inspiration, dann wird draußen die Sauna angeheizt. Der kleine zugefrorene See daneben sorgt für Abkühlung, lacht Studiomanager Wade:

Hier kann man rausgehen und sich erholen nach einem langen Aufnahmetag, wenn man will. Das ist der hot pot und die Sauna. Hier haben wir ein paar Stufen runter zum See gebaut. Das ist schon cool.

Irgendwo in den Westfjorden gab es schon einmal ein Musikstudio, aber die Logistik, die weite Entfernung von der Hauptstadt, das Wetter – mangels Nachfrage schloss es wieder. Jetzt ist die Situation eine andere: vor allem ausländische Bands und Labels suchen nach entlegenen Orten, exotischen Musikstudios. Bei der Vielzahl der eigenen Homestudios müssen Kosten für externe Aufnahmeorte gerechtfertigt werden, das weiß auch Islands Regierung und hat ein internationales Förderprogramm aufgelegt: 25 Prozent der Gesamtkosten werden nach Erscheinen des Albums erstattet. In erster Linie für Künstlerinnen und Künstler, aber indirekt natürlich auch eine Förderung ungewöhnlicher Studios, wie das Floki, sagt der Studiomanager:

Das ist ziemlich wichtig. Die isländische Regierung ist echt fantastisch. Wir haben einen hervorragenden Kontakt zum nationalen Musikbüro Iceland Music und den Record in IcelandProgrammkoordinatoren. Auch die isländischen Parlamentsmitglieder kümmern sich um uns, sie wollen einfach ausländische Musikerinnen und Musiker ins Land holen, genauso wie Filmregisseure und andere Kreative.

Seit der Eröffnung im November 2021 hat sich das Floki Studio bereits rumgesprochen, vor allem in den USA, aber auch in Taiwan und in England. Portugal. The Man waren da. The New Mastersounds auch. Die Sängerin Joanna Wang aus Taiwan.

Die meisten Musiker und Musikerinnen wollten vor allem die exotische Gegend kennenlernen, die abgeschiedene Lage. Er hätte schon früher davon gehört, dass es ein Musikstudio in Nordisland geben sollte, sagt der amerikanische Musiker Alan Evans. Jetzt war er da mit seiner Band – und?

Meine erste Reaktion war: Warum soll ich jetzt in einem Studio in Nordisland aufnehmen? Und das im Dezember? Aber alle anderen waren davon begeistert. Das Problem war, dass wir schon in Zeitverzug waren mit unserem Album und es fertig werden sollte, wir also sehr intensiv arbeiten mussten. Klar hätten wir auch woanders aufnehmen können. Jetzt bin ich unglaublich froh, dass wir dort waren. Es ist ein wunderbares Studio mit einer schönen Umgebung und es hat einen speziellen Charakter.

Ist ist unglaublich, schöne Räume, super Instrumente, hier lebe ich in Colorado auch in den Bergen, das mag ich sowieso, deshalb war ich davon sehr begeistert, man kann die Nordlichter sehen, ich war noch nie an einem ähnlichen Ort, das hat schon was sehr spezielles.

Ergänzt die amerikanische Musikerin Celestine, die im April ihr Debütalbum im Floki-Studio aufnahm. Sie war von ihrem Label gefragt worden, ob sie sich nicht die Aufnahmen in Nordisland vorstellen könne:

Hier in meiner Heimat gibt es zuallererst einmal kein Meer, keinen Atlantik. Wenn du hier ins Studio gehst, wirst du ständig abgelenkt, immer sind Leute um dich herum, dort ist einfach – nichts. Du schaust aus dem Fenster und ein Schaf läuft vorbei. Da ist man isoliert im positiven Sinne und fern jeglicher Ablenkung.

Floki studios – benannt nach dem ersten Siedler Islands, Flóki Vilgerðarson, auch Hrafna-Flóki, zu deutsch Raben-Flóki

Von Instrumenten über einen Techniker bis hin zur nahegelegenen Unterkunft ist alles bei der Buchung inklusive, verspricht das Management. Ob nun klassische Musik, Indieband oder Hartrocker – man lasse mit sich verhandeln über die Konditionen.

Am Ende soll ein gutes Album stehen, darum geht es, sagt Studiochef Christopher Funk aus Colorado, der regelmäßig den Direktflug zwische Island und den USA nimmt. Ein spektakulärer Ort, meint er, auch wenn er anfangs skeptisch war:

Also ich habe das ja nicht entschieden, hier ein Musikstudio aufzubauen, denn es gibt schon sehr viele Herausforderungen im Vergleich zu normalen Studios. Es gibt keinen Musikladen, wenn dir mal eine Gitarrensaite reißt, aber genau diese Einschränkungen sind ja das Faszinierende an so abgelegenen Orten, inspirierenden Locations. Es gibt wirklich viele Studios in Reykjavik, wir kennen sie alle und sind befreundet, genauso gibt es viele Studios in New York, England und Los Angeles. Warum nicht in Nordisland mal etwas ganz anderes, mit spektakulärem Ausblick, nur Natur drum rum und der ganzen isländischen Kultur, wenn man an Elfen und Trolle glaubt.

Gutbestückte Bar

Beim Rausgehen zum Abschied erzählt Musikmanager Wade tatsächlich von Elfen und Trollen. Dass kürzlich ein Techniker von Problemen gesprochen hätte, die er sich nicht erklären könne und die Aufnahmen nicht vorangegangen wären:

Wir denken, da ist was dran, wir müssen diese Wesen respektieren. Deshalb haben wir überlegt, ob wir den Elfen nicht irgendwie etwas hinstellen sollten. Ob das helfen würde. Und wären wir darüber diskutiert haben, ist einfach etwas heruntergefallen, keine Ahnung, warum, das war echt spooky, also haben wir den Elfen etwas vor die Tür gestellt. Als wir wieder reinkamen sagte der Techniker: Alles geht wieder. Es ist unglaublich. Deshalb stellen wir jetzt regelmäßig etwas raus für die Elfen, um sicher zu sein, eine erfolgreichen Aufenthalt zu haben. (lacht)

ENDE