Isländischer Frauen-Rap. Zehn Jahre Daughters of Reykjavik

Während die Machos der Hip Hop-Clubs gern unter der Gürtellinie austeilen und politisch fragwürdige Thesen raushauen, klingt das bei weiblichen Rapperinnen durchdachter und weniger martialisch. Sich in der Szene länger zu behaupten, dazu gehört viel Durchhaltevermögen und vielleicht auch Trotz. Genau deswegen können die „Töchter von Reykjavik“ 2023 ihr zehnjähriges Jubiläum feiern. Eine Band, die eigentlich nie eine Band sein wollte.

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Um in Islands Musikszene aufzufallen, muss man schon etwas ganz Besonderes bieten. Jenseits der übermächtigen, melancholischen Postrocker von Sigur Rós und der exzentrischen Björk. Was bleibt? Einfach komplett das Gegenteil machen und damit im besten Falle überall anecken. Was passt da besser als Rap und HipHop, dachten sich ein paar Frauen 2013 in Islands Hauptstadt Reyjkavik und luden alle „Töchter von Reykjavik“ zum Rappen ein:

Als wir mit dem Rappen anfingen war das das größte Musikgenre, aber ohne Frauen. In der Situation haben wir angefangen und gesagt, okay…

Meint Steiney. Und Salka, die mit 17 Jahren dazu kam, heute 27, ergänzt:

Es war echt interessant wie auch unsere eigene Musikindustrie darauf reagiert hat. Isländische Musik wird im Ausland oft ganz anders bewertet als hier bei uns, aber damals wurde ein Rapper auch hier viel mehr promotet mit all den sexistischen Sprüchen.

Salka heißt eigentlich Salka Valsdóttir, studierte Tontechnikerin, arbeitete vor der Pandemie einige Jahre an der Berliner Volksbühne. Steineys voller Name ist Steiney Skúladóttir, professionelle Sängerin und Musikmanagerin, andere der acht Frauen zwischen 27 und 35 sind Designerinnen, Autorinnen, Künstlerinnen oder gerade im Mutterschaftsurlaub. Die beiden Frontfrauen sind fast von Anfang an mit dabei, bei der noch immer ungewöhnlichsten Band der isländischen Musikszene, deren Videos bei youtube schonmal auf dem Index landen:

Also, unsere Mission war, in dieses Genre einzubrechen, dort einen Raum für Frauen zu schaffen, uns etwas drastischer Gehör zu verschaffen, auch mit Blick auf die Musikindustrie, um auf die Absurdität hinzuweisen, dass es keine Rapperinnen gibt auf Island.

Wir starteten als eine Art open-door Kollektiv. Jede konnte der Band beitreten und wieder gehen, wie sie wollte. Heute sind wir acht Sängerinnen, damals waren wir bis zu 21, aber meistens so 14 bis 16 Frauen.

Dass es am Anfang nicht ganz einfach sein würde, war den rappenden „Töchtern von Reykjavik“, auf isländisch Reykjavikurdaetur, klar, dass sie teilweise angefeindet wurden nicht. Sie luden alle isländischen Frauen dazu ein, es mal ausprobieren, sich auf eine Bühne zu stellen und loszurappen, gegen den Frust, für die Lust, einfach alles rauzuschreien und dabei vor allem Spaß zu haben:

Wir lieben es einfach zu performen, auf die Bühne zu gehen, kreativ zu werden, gemeinsam etwas zu unternehmen.

Meint Salka.

Das schafft eine wunderbare Gemeinschaft und ist die beste Schule, wie man in einer Gruppe arbeitet, wie man diskutiert, wie man Kompromisse schließt.

Die immer gleichen Fragen nach Feminismus und Gleichberechtigung langweilen sie mittlerweile. Nach zehn Jahren sollte das kein Thema mehr sein, sondern selbstverständlich, wundert sich Steiney:

Natürlich sind wir Feministinnen, aber darum geht es doch nicht, es geht um Gleichberechtigung für jeden. Wir hören so oft die Frage: Seid Ihr Feministinnen? Dann antworten wir: Warum? Seid Ihr es nicht? Man würde doch eine Gruppe schwarzer Rapper auch nicht fragen: Steht Ihr da auf der Bühne als Antirassisten? Warum ist es so komisch, als Frauen in einer Band zu singen?

Genauso die Frage nach Zickenkrieg in der Band, wie denn so viele Frauen miteinander klarkommen: Wie sexistisch ist das eigentlich! Wenn viele kreative Menschen in einer Gruppe zusammenarbeiten, gibt es natürlich immer unterschiedliche Meinungen und Diskussionen, aber das hat doch nichts mit dem Geschlecht zu tun! Das ist echt ermüdend.

Als es um Auftritte im Ausland ging, die Einladungen zu Festivals immer mehr wurden, musste das Konzept umgestellt werden: Keine open-mic-sessions mehr mit über 20 Frauen, das wäre logistisch, finanziell ein Alptraum geworden, bedauern Salka und Steiney heute. Weshalb die Band seit fünf Jahren in gleicher Besetzung mit acht Mitgliedern auftritt – in Holland, Dänemark, Norwegen und Deutschland. Oft in schrillen Outfits und anzüglichen Posen, noch immer exotisch. Männer wirken in den Musikvideos oft wie Staffage. Selbstbewusstsein? Nichts Besonderes.

Im März soll die neue Single erscheinen, das Album wahrscheinlich im Herbst 2023. Worum es gehen wird?

Es geht uns nicht um politische Statements, dass wir uns zu allem äußern. Wir wollen eher dahin schauen: Was hilft den Menschen, womit können wir ihnen etwas Gutes tun, die ähnliche Erfahrungen wie wir machen. Wir haben gemerkt, dass wir beim Publikum den größten Eindruck machen mit dem Spaß, den wir auf der Bühne haben. Acht weibliche Freunde, die komplett frei, komplett eigenständig und voller Energie ihren Spaß haben. Zuhörer aller Geschlechter kommen oft danach zu uns und sagen: Wie elektrisierend Ihr da auftretet. Darauf wollen wir uns auch bei unserem neuen Album konzentrieren. Das könnte man als politisch bezeichnend.

Im Jubiläumsjahr geht es zum ersten Mal auf USA-Tournee, vielleicht auch nach Deutschland, das steht noch nicht fest. Fest steht: Auch nach zehn Jahren und der überstandenen Pandemie wollen die acht Frauen wieder durchstarten und die Outlaws der isländischen Musikszene bleiben.

ENDE

Musik:

Reykjavíkurdætur – Ekkert drama ft. Svala

Reykjavíkurdætur – BOSSY ft. Balcony Boyz

Reykjavíkurdætur – Hvað er málið

Reykjavíkurdætur – Fiesta

Reykjavíkurdætur – D.R.U.S.L.A ft. Ásdís María

Feministisch, natürlich: Das isländische Rap Collective Reykjavikurdaetur (blonde.de)