Die Alpenvereine kümmern sich um den Betrieb von nahezu 600 Hütten. Fast 400 werden dabei zumindest zeitweise von Hüttenwirten bewirtschaftet, das heißt von Mai bis Oktober, je nach Höhenlage. Derzeit beobachtet der Deutsche Alpenverein DAV einen Generationenwechsel am Berg. Langjährige Pächter hören auf.
Neue zu finden ist gar nicht so einfach.
Wanderparkplatz Pürzlbach. Die Stiefel sind geschnürt, der Rucksack gepackt. Zwei Wasserflaschen, eine Brotzeit. Das Ziel: Das Ingolstädter Haus auf 2132 Metern Höhe im Steinernen Meer. Laufzeit 5 bis sechs Stunden, zirka 1200 Höhenmeter. Der Forstweg schlängelt sich in Serpentinen die ersten Höhenmeter empor.
Kühe liegen kauend auf dem Weg, schnuppern neugierig an den Wanderern.
Auf halber 1200 Metern Höhe kommt die Kallbrunner Alm – Ausflugsziel für Familien, Firmenevents, Wanderer. Bewirtschaftet seit 1386. Und die größte Almhochfläche der Berchtesgadener Alpen. Auf die Frage, wo hier Netz, also Handyempfang sei, die freundliche Ansage: An dem nächsten Wegweiser mit den gelben Schildern, da gäbe es oft Empfang. Ein Balken leuchtet. Später gibt es auch das nicht mehr.
Eine Stunde später, nachdem es am Dießbacher Stausee richtig nach oben ging und die Bäume nur noch geduckt am Hang stehen, wird das Wasserrauschen abgelöst vom Warnruf der Gämsen. Eine Materialseilbahn überbrückt die letzten Höhenmeter, Mitfahrt verboten.
Die letzten 400 Höhenmeter bis zur Hütte ziehen sich, Orientierung bieten nur noch weiß-rote Holzstecken zwischen riesigen Felsblöcken. Dazwischen blöken Schafe vom benachbarten Bergbauern. 400 sollen es sein.
Servus.
Nach sechs Stunden der erste Schritt auf die Sonnenterasse vom Ingolstädter Haus. Rundum nur Felsblöcke, schroffe Berge, eine weite Steinfläche. Und Michael Millinger, seit einigen Monaten der neue Hüttenwirt.
Die meisten haben es gar nicht geglaubt, als ich gesagt habe, ich mache jetzt mal eine Auszeit und das habe ich auch gebraucht. Hinterher hat mir jeder gesagt: Gott sei Dank hast Du es gemacht, weil wenn man den Kopf so voll hat, hier oben ist ganz egal, was es da unten für Probleme gibt. Wenn wir kein Internet hätten, wir würden gar nicht mitkriegen, was da unten schief läuft in der Welt, das ist was Schönes und Beruhigendes.
Seit März macht der 27jährige, der vorher als Bauleiter gearbeitet, diesen Job, hier oben inmitten von Geröllfeldern, jenseits der Baumgrenze. Der jüngste Hüttenwirt des Deutschen Alpenvereins. Ein sportlicher Typ mit Lachfalten an den Augen, kräftigen Händen, fancy Sonnenbrille. Von Juni bis Oktober hier oben der Chef:
Also wenn ich jetzt ins Tal muss, dann laufe ich ganz normal runter wie jeder andere auch. Nur dass mein Auto halt bei der Seilbahn steht und das ist zirka eine Stunde Wegzeit. Und dann fährst mit dem Auto heim und bist in zwei Stunden zu Hause, aber bis man wieder hier oben ist, das dauert dann.
Michael Millinger war früher Führungskraft in einer Hochbaufirma, ein lukrativer Job. Unten im Tal. Bis er diese Ausschreibung sah von der Alpenvereinssektion Ingolstadt. Das bisherige Wirtsehepaar hatte nach 13 Jahren aufgehört hier oben, auf einer Höhe, wo nur Materialseilbahn und Helikopter die Sachen transportieren. Vom Klopapier und Reinigungsmittel bis zum Bier, Mehl und Kartoffeln. Das Trinkwasser kommt in Flaschen hochgefahren. Der eine noch verbliebene kleine Gletscher wird für das Brauchwasser genutzt.
Der Helikopter ist ganz am Anfang und in der Mitte der Saison, alles, was zu schwer ist für die Seilbahn. Das Aggregat braucht genauso Rapsöl oder Brennholz fürs Einheizen, für die Küche, für den Herd, das mache ich schon mit dem Helikopter, weil alles andere wäre zu viel Aufwand. In die Seilbahn gehen 150 Kilo rein, ich glaub, das leuchtet jedem ein, dass dann ein Hubschrauber hermuss, aber ich bekomme dreimal die Woche Lieferung und das alles mit der Seilbahn.
Michael Millinger gehört zu den jüngsten Hüttenwirten beim Alpenverein. Und regelt alles allein. Sechs Mitarbeiter, darunter viele Freunde, helfen ihm. Und wenn es mal hakt, zieht auch die Familie mit. Bei seiner Hausbank besorgte er sich 100 000 Euro als Startkapital. Denn alles muss im Voraus gezahlt werden. Ob dann tatsächlich so viele Gäste kommen, dass sich das Auf und Ab lohnt, weiß niemand.
Der junge Almwirt hat eine neue sunset-Terrasse gebaut, einen neuen Waschraum, eine neue Speisekarte entworfen, ein originelles, abstraktes Logo entworfen. Frischer Wind auf 2.132 Metern:
Ich habe einfach letztes Jahr gemerkt, dass so viele da waren, die vegan essen wollten, aber der Vorpächter hat gesagt: Das ist immer noch eine Berghütte, Leute. Es gibt das, was es gibt. Dann dachte ich, die Diskussionen mit dem Essen möchte ich mir gar nicht antun, jetzt mache ich lauter Hüttenklassiker und nehme noch so einen Linseneintopf mit und ein Veggiegröstl und dann gibt’s gleich etliche Diskussionen mit den Gästen weniger.
Zwischen Mitte Juni und Anfang Oktober, je nach Wetter, richtet er die sechs-bis zwanzig- Bettenzimmer für rund 100 Übernachtungen pro Tag her. In der Hochsaison sind die drei Gaststuben gut gefüllt, abends wird aufgespielt. Warum macht er das alles hier oben?
Ganz genau kann ich es gar nicht sagen, aber ich habe letztes Jahr gesagt, ich nehme eine Ausziert und die Wirte hier oben sagten, sie machen es nicht mehr. Dann haben ich drei Monate nur daran gedacht, dass ich es selber machen möchte und habe mich dann beworben und gedacht, die nehmen mich sowieso nicht als Einzelperson, das geht ja gar nicht, und dann ist es zum Ausschlussverfahren gekommen und da waren wir nur noch drei Personen. Und dann haben sie mich genommen. Und auf einmal war ich Hüttenwirt. (lacht)
Er brauchte diese Auszeit, sagt der junge Hüttenwirt.
Auf seiner neuen Sunset-Terrasse auf über 2000 Metern sieht man abends die Sonne über dem Steinernen Meer untergehen. Danach ziehen unzählige Sterne auf.
Hier oben sei das da unten ganz weit weg.
Die Leute haben ganz andere Probleme, da redet keiner mehr über Ukraine oder so, hier oben ist deer Schuh kaputt oder der Stock ist abgebrochen, das sind die Probleme hier. Ich helfe dann gern, aber hier oben ist alles mit Ruhe und da muss man halt auch mal warten. Es muss nicht immer alles auf Schnelligkeit gehen. Und das muss auch nicht sein auf 2000 Metern.
Wenn es wieder runter geht, sollte es ebenfalls bedacht zugehen. Der Abstieg am nächsten Vormittag dauert wieder fünf Stunden, wieder über die Schotterpiste, vorbei an der Materialseilbahn, dem Stausee und den Kühen auf der Alm. Der Weg des Hüttenteams.
Fast jeden Tag.