Der Zauberberg im Mausloch.

Zum Umgang mit Thomas Mann im “notorisch wundervollen” Bayern

Für viele ist Thomas Mann, Literaturnobelpreisträger und Autor der “Buddenbrooks”, ein Hanseat, ein Lübecker Sohn. Doch Thomas Mann hat den größten Teil seines Lebens in Bayern verbracht, über 40 Jahre. Seine Mutter, die verwitwete Senatorengattin zog Ende des 19. Jahrhunderts nach München, in München lernte Thomas Mann seine spätere Frau Katia kennen, dort wurden seine Kinder geboren und ein Großteil seiner Werke entstand unter dem Eindruck bayerischer Landschaft. Dennoch erinnert heute in München nur wenig an einen der größten Schriftsteller Deutschlands.

Während in Amerika, im Thomas Mann-Haus in Pacific Palisades bei Los Angeles, das im vergangenen Jahr vom Bund gekauft wurde, ein neues Projekt im Sinne von Thomas Mann – eine Vortrags-Podcastreihe zu “Demokratie heute” initiiert wird – kommt ein für München geplantes Denkmal nicht über den Planungsstatus hinaus. Ein erst 1994 entdecktes Ferienhaus Thomas Manns am Starnberger See gerät zum Zankapfel zwischen einer Klinik, einem ehemaligen Bundeswehroffizier und einem Literaturwissenschaftler. Währenddessen profitiert ein ganz anderer Ort von dem Streit.

Deutschlandfunkkultur Länderreport 16. 1.2020

“Zweimal ruderte ich mittags auf dem See, das erste Mal gegen Tutzing bei Ostwind und leicht gekraustem Wasser. Das Rudern mit der Strömung ist lustiger, da man schneller vorwärts zu kommen scheint…”

Thomas Mann entspannt am Starnberger See, Tagebucheintrag vom 21.Mai 1920.

“Es war sehr warm, ich fuhr ohne Rock und Weste und legte auch die Hosenträger ab… Für den Kulturmenschen grenzt Natürlichkeit nahe an Wollust.”

Seit kurzem arbeitet er hier am See, in einem kleinen Haus, das er das “Villino” nennt, die kleine Villa. Einfach mal weg von der Familie in München. Hier in Feldafing hört er zum ersten Mal Musik vom Grammofon, schreibt seine Begeisterung gleich hinein in den später berühmten Roman “Der Zauberberg”:

“Die Hände gefaltet, den Kopf auf der Schulter, den Mund geöffnet”, sitzt Hans Castorp vor dem Grammophon, und lässt sich “von Wohllaut überströmen”.

Klinik-Baustelle statt Garten

Zweistöckige, graue Container säumen heute den Waldrand in Feldafing. Eng gestellte Metallzäune umgeben ein gelb getünchtes Haus. Das Villino heute.

Dutzende Baustellenfahrzeuge stehen auf dem Gelände. Ein dreistöckiger Klinikrohbau schiebt sich ins Sichtfeld. Neben dem Schild “Baustelle betreten verboten” hängt noch ein Schild, das man erst auf den zweiten Blick sieht: “Thomas Mann Haus Villino, Besichtigungstermine nach Vereinbarung”.

Doch dieses Schild ist Makulatur.

Besichtigen kann man hier nichts mehr. Seit einem Jahr ist das ehemalige kleine Thomas-Mann-Museum verrammelt. Wasser steht im Keller. Die Räume – leer.

Also hier auf der linken Seite wurde der Widerstandskämpfer gedacht und man hatte im Keller eine Tafel mit jüdischer Schrift gefunden und auf der rechten Seite sollte Thomas Mann hin. Da wurde dann ein Thomas-Mann-Gedächtnis, -Erinnerungs-Ausstellung gemacht und ab 1999 wurde es öffentlich.

Zufällige Entdeckung des Villino

Gernot Abendt, ehemaliger Kulturreferent von Tutzing und früher Museumsführer durch das Haus, steht mit einem Schreiben vor dem Gebäude. Darin heißt es von der heutigen Eigentümerin, der Artemed-Klinikgruppe, dass Deutschlandfunk Kultur der Zutritt strengstens untersagt wird. Abendt bedauert das Vorgehen. Denn dass das Haus überhaupt gefunden wurde, 1994, das sich damals auf einem Bundeswehr-Militärgelände befand, gleiche einem Wunder. Man sollte stolz auf dieses Erbe sein.

Ja, es war reiner Zufall. Also ich war Oberstleutnant hier an der Fernmeldeschule tätig und hatte an dem Wochenende Dienst. Und da wurde mir gemeldet, dass ein Literaturwissenschaftler kommt, irgendwie auf der Suche nach Thomas Mann. Da war ich eben dabei, als Dr. Heißerer da gestanden hat mit unserem Mitarbeiter und gesagt hat: Das ist es. Das ist das Villino.

Die 14 nachweisbaren Besuche hier oberhalb des Starnberger Sees hatten weitreichende Auswirkungen auf Thomas Manns Werke. Er nennt das Refugium seine “Tonio-Kröger-Einsamkeit”. Auch seine Joseph-Romane, in der Emigration 1936 geschrieben, profitieren von den Feldafinger Eindrücken.

Jetzt ist Thomas Manns kleine Villa von Wertstoffcontainern umgeben, den liebevoll beschriebenen Garten gibt es längst nicht mehr.

Im Faust heißt es: Errege nicht mein Sehnen.

Umschreibt Dirk Heißerer die jetzige Situation, der Münchner Literaturwissenschaftler, der gemeinsam mit Gernot Abendt 1994 das Villino entdeckte:

Man hat andere Vorstellungen. Erst war die Bundeswehr da, jetzt ein großes Krankenhaus. Die Nutzung als Lernort für Zeitgeschichte, Ortsgeschichte, Literaturgeschichte und sogar Musikgeschichte – das Grammophonerlebnis spielt ja eine große Rolle, das auch in den Zauberberg eingezogen ist – das alles ist ein Aspekt, den man sonst nirgendwo auf der Welt mehr findet, in keinem Thomas-Mann-Haus und das ist alles nicht mehr wichtig gewesen, weil eine Stiftung Büroräume gebraucht hat.

Die Stiftung, damit meint Heißerer die Artemed-Klinikgruppe. Ihr zufolge soll “nach der umfassenden Sanierung und – soweit möglich und sinnvoll – Zurückversetzung in den Originalzustand das langfristige Gedenken an Thomas Mann an diesem Ort gesichert und das Villino gleichzeitig einem sinnvollen Zweck zugeführt werden”. So steht es im offiziellen Konzeptpapier zur Zukunft des Hauses. Man sei sich der großen Geschichtsträchtigkeit des “Villino” vollauf bewusst. Ein Interview ist trotzdem nicht möglich.

Museum oder Wohnhaus oder Bürogebäude?

Das zuständige Landratsamt Starnberg lehnt den Rückbau und eine nochmalige Museumsnutzung indes ab. Auf dem Gelände sei nur Wohnbebauung vorgesehen, ein Museum oder Bürositz der zur Klinikgruppe gehörenden Artemed-Stiftung sei nicht möglich. Gernot Abendt kann darüber nur lachen:

Ja, ha, das ist ein Politikum. In meinen Augen ist das ein Politikum. Warum? Zur Zeit werden ja Wohnungen noch und noch gesucht. Und das Haus ist als Wohnhaus ausgewiesen und das Landratsamt sperrt sich einfach, aus einem Wohnhaus ein Museum zu machen, weil dann ja Wohnfläche verschwindet.

Besichtigen zunächst die zum Hause gehörige Bootshütte. Der See herrlich meerartig. Gingen dann ein Stück gegen Tutzing, den schönen Waldweg am See entlang…

Thomas Mann 18. Mai 1919

Bäume für die Mann-Familie in Bad Tölz

Stadtbibliothek Bad Tölz. Knapp 50 Kilometer östlich von Feldafing. Alles, was früher im Villino stand, wurde im vergangenen Jahr hierher gebracht. Kurzfristig.

Für mich hat sich gar nicht die Frage gestellt, wie es da in Feldafing mit dem Villino weitergeht, sondern eigentlich war nach der Anfrage nur die Überlegung, was können wir in Tölz tun, um dieses Debakel zu heilen.

Christof Botzenhart, Kulturreferent von Bad Tölz, setzte sich dafür ein. Der Grund: In Bad Tölz steht, von vielen unbeachtet, das ehemalige Landhaus der Familie Mann, heute in Privateigentum.

Im vergangenen Sommer weihte er den neuen Thomas Mann-Weg ein, sechs Bäume wurden am berühmten Klammerweiher gepflanzt, für Thomas und Katia, Erika und Klaus, Golo und Monika. Als die zwei jüngsten Kinder Elisabeth und Michael geboren wurden, hatte Thomas Mann das Haus bereits wieder verkauft.

Jetzt hat Bad Tölz auch ein Thomas Mann-Zimmer, in der Tölzer Stadtbibliothek:

Also ich würde sagen, das ist gar nicht versteckt, wir haben das im ersten Stock, wir haben zwei Stockwerke. Es ist das letzte Zimmer an der rechten Seite. Ich muss sagen, in der letzten Zeit sind viele Leute bei uns gewesen und waren begeistert von dem Zimmer.

Liebevoll eingerichtetes Thomas-Mann-Zimmer in Bad Tölz

Bibliotheksangestellte Magdalena Patru zeigt stolz das neue Thomas Mann-Zimmer. Patru setzt sich hinter den dunklen, herrschaftlichen Schreibtisch, ein Nachbau für den Film “Die Manns”. Über ihr schwebt der originale Kronleuchter aus der Poschi, der Münchner Mann-Villa, der 1933 von den Nationalsozialisten versteigert wurde und vor zwei Jahren im fränkischen Ansbach wieder auftauchte. In der Ecke natürlich – das Grammophon.

Das ist natürlich fürs Thomas-Mann-Forum sehr schade, dass das Villino nicht mehr zur Verfügung steht, aber man muss halt sagen, die Besitzverhältnisse sind jetzt so, dass das Villino jetzt jemandem gehört, der einen anderen Zweck damit verfolgt, das muss man akzeptieren, auch wenn es schmerzhaft ist.

Eckard Zimmermann, Verlagsangestellter in München, kennt sich aus mit der Ambivalenzzu zu Thomas Mann in Oberbayern. In seinem Heimatort Polling, 50 Kilometer westlich von Bad Tölz, sollte auch ein Thomas Mann-Haus entstehen. 2010. Polling ist das “Pfeiffering” aus Manns Roman Dr. Faustus. Hier lebte die Mutter des Schriftstellers und sein Bruder. Doch der Gemeinderat beschloß, das Mann-Haus zu verkaufen.

Ja, Thomas Mann würde das wahrscheinlich als eine bedenkliche Trübung bezeichnen.

“Hier lebt man ein recht zuträgliches Leben, und der Flügel klingt großartig in dem großen Prunk-Bauernzimmer, das wir als Wohnzimmer haben. Es gibt einen schattigen Garten, sehr gute Radlwege, solides Essen, Mistgeruch usw.” (Thomas Mann, 17.7.1903)

Die Räumlichkeiten, in denen Thomas Mann über seinen Manuskripten saß, werden von den heutigen Bewohnern, einem Künstlerehepaar, gern hergezeigt.

Eckard Zimmermann, in Kürze Pensionär, will das Erbe Thomas Manns hochhalten im bayerischen Oberland, solange es geht. Er hat Kontakte zur Thomas Mann-Gesellschaft in Lübeck, tauscht sich mit dem Thomas-Mann-Archiv in Zürich aus. Nur mit München sei es schwierig, meint er.

Die einzige Statue Thomas Manns in Bayern steht übrigens in Gmund. Durch diesen Ort fuhr Familie Mann Richtung Sommerfrische nach Wildbad Kreuth.

Das Denkmal – nichts intellektuell Anspruchsvolles. Nur ein alter Mann mit Hund.

Ein leichter Umgang mit dem anspruchsvollen Erbe.

ENDE