Keine Besuche, Ausgangssperre, geschlossene Restaurants – was in Europa gerade Realität ist, gehört auf Bali zu einer jahrhundertealten Tradition. Jedes Jahr im März am Silence Day dürfen die Menschen die Häuser nicht verlassen, nicht kochen, nicht arbeiten. Der Silence Day gehört zum balinesischen Neujahrsfest, das über mehrere Tage gefeiert wird.
Langsam ziehen die Menschen die Dorfstraße entlang.
Weißgekleidete Männer mit dem traditionellen Tuch um den Kopf, Frauen in Spitzenbluse, Sarong und Gürteltuch. In den Händen oder auf dem Kopf tragen sie goldfarbene Bastkörbe, gefüllt mit Räucherstäbchen, Blumen, und Blättern Richtung Tempel.
Der feierliche Zug kommt vom nahen Fluss, wo die wichtigsten Tempelgegenstände zeremoniell gereinigt wurden und nun wieder zurückgetragen werden.
Drei Tage Vorbereitung
Mit “Melasti”, dem Tag der Reinigung, beginnen in dem kleinen balinesischen Ort Lodtunduh bei Ubud im Bezirk Gianyar, wie überall auf Bali, die Rituale zum wichtigsten Ereignis des Jahre, dem “Nyepi”, dem Tag der Stille. Drei Tage vor dem balinesischen Neujahr, das in diesem Jahr nach dem traditionellen Kalender das Jahr 1942 zählt, bereiten sich die Menschen auf einen Neuanfang durch Verzicht vor.
Auf der Stirn der Gläubigen vor dem Tempel Pura Pasek Dalem von Lotdunduh kleben einige weiße Punkte:
Das ist Reis, damit werden wir gesegnet während der Tempelzeremonie.
Erklärt eine Frau, die aus dem Tempel kommt.
Hinter ihrem Ohr klemmen weiße Blütenblätter, wie bei allen Gläubigen als Zeichen der Segnung. In den Händen trägt sie, wie alle Frauen, die goldfarbene Bastschüssel mit den Opfergaben, die ebenfalls gesegnet wurden und nun nach Hause getragen werden. Am Abend treffen sich die Bewohner des Bahjar, wie die einzelnen Dorfbezirke auf Bali heißen, noch einmal zur Zeremonie, trotz der Warnungen vor Corona:
Wir verstehen die derzeitige Situation natürlich. Das ist alles schrecklich. Deshalb bitten wir doppelt um die Segnung, wir haben hier auch einige Fälle, aber ich hoffe, es wird bald besser. Wir gehen trotzdem zur Zeremonie. Wir warten noch auf Nachricht von der Regierung, wie es weitergeht, einige Umzüge wurden bereits abgesagt, weil sie ja traditionell von Dorf zu Dorf ziehen.
Beten, Tempelzeremonien, Tänze.
Knapp einen Kilometer weiter, in dem großen Tempel von Alas Arum treffen sich die Dorfbewohner und ihre Kinder zum Gebet, zur Meditation, zur Vorbereitung auf den großen Tag des Nyepi. Essensstände bieten gebratenen Reis an, Männergruppen sitzen im Kreis und spielen Karten.
Monatelang haben die sieben bis zwölfjährigen Jungen und Mädchen Tänze einstudiert. Darauf verzichten will keiner. Denn die Zeit vor Nyepi gehört dem Kampf gegen böse Geister und Dämonen. Wann wenn nicht jetzt meint diese Frau aus dem Nachbarort:
Es geht ja um die Vertreibung der schlechten Geister, das gehört zur heiligen Zeremonie. Mit den Ogoh-Ogohs ziehen die Menschen einen Tag vor Nyepi über die Dörfer, um die Dämonen zu vertreiben, denn danach beginnt ja der Neujahrstag mit dem Tag der Stille.
Bevor es komplett still wird auf Bali basteln überall im Land junge Männer bei ohrenbetäubender Musik an ihren Ogoh-Ogohs, riesigen Figuren, die teuflische Gestalten darstellen sollen, teils hinter Stoffplanen und in Hinterhöfen versteckt, weil jeder Ort mit seinen Riesenmonstern zum sogenannten “Bhuta Yajna”- Ritual überraschen will – ein wenig wie beim rheinischen Karneval. Für die Kinder werden Böller und Feuerwerk abgeschossen.
Die Monsterfiguren, meist Teufel und Mensch im Kampf gegeneinander, werden dann lautstark und feuchtfröhlich am Vorabend von Nyepi verbrannt.
Dass es die Vorbereitung ist für einen Tag, an dem das Leben komplett stillstehen wird, finden diese jungen Männer gut:
Das gehört einfach zu unserer Kultur, An Nyepi gehst du einfach nicht raus, das Licht darf nicht angeschaltet werden, man darf nicht arbeiten. Das ist schon eine Herausforderung.
In den Touristenzentren Balis wurden die Ogoh-Ogoh-Umzüge wegen des Coronoavirus bereits abgesagt, auf den Dörfern entscheidet jedes Banjar für sich. Und die Tradition ist meist stärker. Gerade in diesem Jahr gibt es einen besonders guten Grund für die Geisteraustreibung.
Stille.
Ab sechs Uhr früh bis zum nächsten Tag um sechs Uhr verlässt niemand auf Bali das Haus. Wer seine Familie besuchen will, fährt einen Tag früher hin. In vielen Orten wird der Strom abgestellt.
Ausländer, wie dieser Amerikaner, laden vorab alle mobilen, elektrischen Geräte auf wie Handys und Powerbanks. Da das Internet von der Regierung abgeschaltet wird, kann man damit dann wenigstens Hörbücher hören oder heruntergeladene Bücher:
Man hat kein Internet, kein Fernsehen. Auch Radio wird abgestellt. Es gibt keinerlei Sendungen oder Übertragungen. Es könnte sein, dass sie in den Touristenzentren das Internet nicht abstellen, damit die Touristen nicht verückt werden, aber das ist doch eine wunderbare Tradition: Man kann wieder der Natur zuhören, das ist so selten geworden in unserer Zeit, dass man da nur noch sagen kann, wow. Ich finde das gut.
Die traditionellen Regeln Amati Geni, Amati Karya, Amati Lelunganan und Amati Lelanguan bedeuten: kein Licht, kein Strom, nicht arbeiten, kein Ausgang, keine Vergnügungen oder Treffen.
Tage der Stille weltweit. Pandemiebedingt
Der traditionelle, balinesische Tag der Stille bekommt in diesem Jahr eine ganz neue Bedeutung, meint diese Balinesin. Nicht nur, weil die Dämonenaustreibung einen sehr realen Hintergrund hat, sondern weil plötzlich nicht nur in Bali die Menschen zu Hause bleiben und nicht einkaufen sollen, sich wieder auf den Sinn des Daseins besinnen müssen, nicht nur an einem Tag:
Das ist wirklich gut. An diesem einen Tag denkt man einfach mal an etwas anderes oder an nichts. Man muss nirgendwohin gehen, man isst auch nichts, kocht nicht, liest einfach nur, relaxt. Man kann natürlich im Haus herumgehen, aber eben nicht raus.
Frösche quaken leise in ihrem Hausteich, Grillen zirpen, Geckos melden sich lautstark. Wenn es dämmert werden Kerzen angezündet, denn Licht ist verboten. Musik auch. Und das wird kontrolliert. Kein Problem für die Einheimischen oder Zugezogenen:
Auf den Strassen sind in schwarz-weiße Sarongs gekleidete Pecalang unterwegs, lokale Polizeibehörden, die normalerweise den Verkehr regeln. Wenn sie jemanden auf der Straße sehen, schicken sie jeden wieder hinein. Also bleibt man einfach still zu Hause, macht keine Geräusche. Ich hoffe, Sie haben ein Buch dabei. Das hilft. (lacht)
Einen Tag später ist alles vorbei. Das Leben geht weiter. Im besten Falle gereinigt und ohne Dämonen.
Verzichten will auf Bali keiner darauf.
ENDE