Ein NS-Dokumentationszentrum für Bayreuth

Richard Wagner und die NS-Zeit – die Verstrickung des Komponisten in die Ideologie der Nationalsozialisten füllt Bände. Wagner selbst hat mit seiner Schrift „Das Judenthum in der Musik“ von 1850 zur Salonfähigkeit des Antisemitismus beigetragen, das ist unbestritten. Dass rund um sein Haus Wahnfried nach seinem Tod viele Förderer der völkischen Rassenideologie zusammenfanden, will künftig ein Dokumentationszentrum zur NS-Ideologiegeschichte in Bayreuth zeigen. Dabei geht es nicht vorrangig um Wagner.

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Darf man heute noch von einem Führer singen in Wagners beliebter Oper Lohengrin, eine Menschenmenge den Führer mit „Heil Dir“ begrüßen? Oder sollte man es ersetzen durch „Hi, dem Schützer“, wie es in diesem Sommer bei den Bayreuther Festspielen diskutiert wurde?

Bayreuth, der Grüne Hügel, das Haus Wahnfried und der sogenannte Bayreuther Kreis haben aus der fränkischen Provinz heraus maßgeblich zur NS-Ideologie beigetragen, wie genau, das soll das neue NS-Dokumentationszentrum zeigen, sagt der städtische Kulturreferent Benedikt Stegmayer:

Ohne Wagner hätte es auch in Wien, München, Nürnberg, Berlin, wo auch immer sein können, aber Wagner hat eben mit den Bayreuther Festspielen diesen Ort Bayreuth gesetzt und er ist eben deshalb zum Symbolort geworden.

Die Aufarbeitung der Bayreuther NS-Ideologiegeschichte, die eng mit ihrer Familiengeschichte verbunden ist, hat sich Festspielleiterin Katharina Wagner seit einigen Jahren offensiv auf die Fahnen geschrieben. Die Stadt Bayreuth zieht jetzt nach. Man fühle sich nicht unter Druck gesetzt von außen, betont Stegmayer, die Diskussion über eine solche Einrichtung gehe schon seit einigen Jahren und sei eine Chance für die Stadt:

Also nicht als: Wir müssen das tun, sondern haben die Chance, mit diesem Dokumentationszentrum unsere eigene Geschichte, die Festspielgeschichte zu bearbeiten und zu zeigen und hier nach außen hin zu präsentieren. Ich denke, dass das für die Stadt Bayreuth auch mit mit viel Potenzial verbunden ist.

Das neue Dokumentationszentrum zur NS-Ideologiegeschichte will Richard Wagner mit einbeziehen, der Schwerpunkt soll jedoch auf einer ganz anderen Figur liegen, die heute fast vergessen ist: Houston Stewart Chamberlain, ein fanatischer Verehrer und gleichzeitig Schwiegersohn des Komponisten.

Sein aus den 1880er Jahre stammende Wohnhaus steht direkt neben Haus Wahnfried. Sein Nachlass, wie die große Gelehrtenbibliothek, befindet sich noch immer in Bayreuth. Chamberlain lieferte mit seinem folgenschweren, reichweitenstarken Buch „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ die Blaupause für den Nationalsozialismus, traf Hitler 1923 persönlich in Bayreuth und stand im Mittelpunkt des Bayreuther Kreises aus zahlreichen Gelehrten, der die scheinbar wissenschaftlich fundierten, wichtigsten Grundlagen lieferte für das Dritte Reich, erklärt Sven Friedrich, Leiter des Richard-Wagner-Museums.

Hier laufen eben viele ideengeschichtliche Fäden zusammen und das wollen wir eben hier zeigen. Da geht es nicht so sehr um Aufarbeitung, sondern wir wollen eben einfach zeigen, wie Ideologietransfer funktioniert. Und das ist ein sehr aktuelles Thema.

Besser spät als nie, freut sich Museumsleiter Friedrich, über die Einrichtung des neuen NS-Dokuzentrums in seiner Nachbarschaft. Noch ist in dem Chamberlain-Haus das Museum des Humanisten und von den Nazis bespöttelten Dichter Jean Paul untergebracht – eine bewusste Entscheidung der Stadt aus den 80er Jahren, die damit das ideologische Zentrum des Dritten Reiches überformen wollte, obwohl unweit das Wohn- und Sterbehaus Jean-Pauls erhalten ist. Dorthin soll das Museum nun umziehen und das frühere Wohnhaus Chamberlains Mittelpunkt des Dokuzentrums werden.

Die Bundesrepublik hat eine Kofinanzierung bereits in Aussicht gestellt, mit dem Freistaat wird noch verhandelt.

Das neue Bayreuther NS-Dokuzentrum soll die Mechanismen von Ideologien, egal ob rechts oder links, hinterfragen und einen aktuellen Bezug zur Gegenwart herstellen – dafür sensibilisieren, warum auch nach Chamberlain und Hitlers erstem Besuch in Bayreuth 1923 dieselben politischen Prozesse noch heute ablaufen könnten wie vor 100 Jahren.