Mehr oder weniger? – Zur Zukunft der alpinen Skigebiete

Der erste Schnee ist gefallen in Deutschland, aber Studien sagen, die Winter werden immer häufiger grün bleiben. Der Deutsche Alpenverein berät deutsche Skiorte, wie sie wirtschaftlich in die Zukunft gehen sollten. Der Verband deutscher Seilbahnen schaut mit Sorge in die Zukunft zumindest des Winterbetriebs und stellt sich um. Dass es möglich ist, Skigebiete stillzulegen, zeigen Beispiele am Taubenstein bei Miesbach, im Chiemgau und im Allgäu. Der Trend geht hin zu weniger Skigebieten. (Deutschlandfunk Kultur ZEITFRAGEN)

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Ende der 1940er Jahre stand die erste Liftanlage im heutigen Skigebiet Spitzingsee zwischen Tegernsee und Schliersee, südlich von München. Ein kleiner Sessellift. 1953 folgte eine Doppelsesselbahn, 1954 dann ein weiterer Skilift – Kosten 40 000 DM. Das Skifahren boomte, die ersten Gäste kamen im November, gewedelt wurde bis April. Die überschaubaren Investitionskosten amortisierten sich umgehend.

Geschäftsführer Peter Lorenz am Stümpfling/Spitzingsee

Heute, fast siebzig Jahre später, schneit es auch noch im November, aber der Schnee bleibt nicht mehr liegen. Steigende Temperaturen bedrohen die Zukunft der Skigebiete. Um die Weihnachtszeit 2021 taute es fast eine Woche lang. Ohne Schneekanonen geht es nicht mehr. 2,5 Millionen Euro wurden in den vergangenen Jahre in modernisierte Anlagen investiert, im benachbarten Skigebiet Sudelfeld waren es insgesamt sogar 23 Millionen Euro.

Jetzt kommen noch die steigenden Energiekosten dazu, wenn auch erst ab Januar, denn bis dahin gelten noch die alten Verträge.

Peter Lorenz, Geschäftsführer der Alpenbahnen Spitzingsee GmbH:

Sicher, wir haben die ganze Firma ist auf Energieeffizienz durchleuchtet worden und das haben wir auch schon immer gemacht, das ist ja unser eigener Geldbeutel. Das müssen wir jetzt umso mehr machen. Wir werden schon nochmal den ganzen Betrieb durchleuchten und schaut, dass man nicht überall das Licht einschaltet, dass man bei der Beschneiung effizient arbeitet, dass man nur bei den Minusgraden, wo es wirklich gut, geht beschneit.

42,4 Gigawattstunden Strom brauchen die deutschen Skigebiete pro Saison für Beschneiung und Liftbetrieb laut VDS, dem Verband deutscher Seilbahnen und Schlepplifte. Zur Einordnung: Damit ließen sichrund 10.000 Haushalte ein Jahr lang mit Strom versorgen. Eine Pistenraupe für die Präparierung braucht bis zu 30 Liter Diesel pro Stunde, deshalb auch dort neue Technik, erklärt Lorenz:

Wir haben heuer nochmal umgerüstet, wir haben alle Pistenraupen mit einem Schneemesssystem ausgerüstet, dass man immer weiß, wo viel Schnee ist, wo wenig Schnee, damit man nicht blind rumfährt und den Schnee von einer Seite zur anderen schiebt. Man weiß wirklich wie man schiebt und kann dann die Zeiten, die man präpariert effektiv einsetzen.

Man fühle sich den Skifahrern verpflichtet, die in diesem Jahr gut 13 Prozent mehr für Tagesskipass und Saisonkarte hinlegen müssen, sagt Skigebietschef Lorenz, gleichzeitig auch Geschäftsführer der Brauneck- und Wallbergbahnen GmbH am Tegernsee und bei Bad Tölz und damit verantwortlich für 81 Pistenkilometer und 38 Skilifte. Auch das ein Trend: die deutschen und österreichischen Skigebiete fusionieren zu großen Marketingverbünden wie Ski Amadé im Salzburger Land mit gleich 20 Skigebieten oder AlpenPlus im bayerischen Oberland, was die teils hunderte beworbenen Pistenkilometer erklärt:

Verbund: Das ist halt auch gut für unsere Gäste aus München, die können sich einen Saisonpass kaufen und damit in allen vier Gebieten Ski fahren und braucht nicht weit fahren nach Österreich oder Italien, gerade die Anfahrt ist ja teuer, wir sind innerhalb von einer Stunde von München erreichbar. Das gibt es nicht nur bei uns, sondern auch in Österreich gibt’s ja die Tirol-card. Mit Personalaustausch geht es nicht, aber der Gedankenaustausch, wie macht ihr das und voneinander lernt, der ist ganz wichtig und uns nicht als harte Konkurrenten sehen.

Die Schneesaison unterhalb von 2.000 Metern hat sich im Alpenraum je nach Höhenlage und Region um bis zu 34 Tage verkürzt-verglichen mit 1971. Das hat eine Langzeitstudie vom Südtiroler Institut Eurac Research in Bozen ergeben.. Eine Studie des Deutschen Alpenvereins war bereits 2013 zu dem Ergebnis gekommen, dass langfristig nur drei Skigebiete in den deutschen Alpen überleben werden: Auf der Zugspitze, am Fellhorn und am Nebelhorn im Allgäu. Alle anderen Skigebiete müssten rund ein Drittel mehr Kunstschnee produzieren, längerfristig die Produktion sogar verdreifachen, um die Skigebiete nicht schließen zu müssen, erklärt Tobias Hipp, Umweltexperte vom Deutschen Alpenverein:

Wir sehen vor allem im bayerischen Alpenraum einen klaren Wandel im Tourismus. Vom Winter eine kürzere Saison zu einem längeren Sommer und das ist das klare Signal, dass zum Beispiel die Wandersaison im Herbst Standard wird, Oktober-November ist eine top Wandersaison, auch Klettersaison.

Das Achental im Chiemgau hat sich schon vor der Pandemie entschieden, eher in den Ausbau von Winterwanderwegen, Rodelbahnen, Langlaufloipen und Themenführungen zu investieren statt in Beschneiungs- oder neue Seilbahnanlagen, sagt Elisabeth Keihl, Vorstand vom Achental Tourismus. Es gebe nur einen in die Jahre gekommenen Zweiersessellift und einen Kinderskilift: Pistenkilometer ? Ein halber.

Wir haben keine großen Hotels, wir haben kleine Hotels, da haben auch die Ortschaften immer darauf geachtet. Wir haben viele schöne Ferienwohnungen. Wir haben eben schon immer gesagt, wir sprechen eher die Individualtouristen an, die eher Ruhe suchen und eben nicht auf Events gehen und Halligalli machen wollen.

Eine Bürgerinitiative hatte den Ausbau des klassischen Skigebietes verhindert, der Betrieb rentierte sich danach nicht mehr, die Pisten verwaisten. Ein Trend in den Alpen, hat Christoph Schuck, Politologe von der Technischen Universität Dortmund erforscht. So mussten in den vergangenen Jahren zum Beispiel in den schweizer Alpen rund 230 von 550 Skigebieten schließen:

Ein relativ spektakulärer Befund ist der, bis jetzt ist es nicht der Schneemangel gewesen, was ja oft die Meinung ist… Wir haben eine Vollerhebung gemacht in der Schweiz und da hat es sich ergeben, dass andere Faktoren wichtig sind: Die Größe. Groß schlägt klein, dann sind solche gefährdet, die keine technische Beschneiung haben.

Im angrenzenden Österreich geht deshalb die Aufrüstung am Berg im Wettlauf mit Klimawandel und steigenden Energiekosten weiter: Kleine Skigebiete schließen, große schließen sich zu noch größeren zusammen und investieren Millionen:

Im Skicircus Saalbach-Hinterglemm – in eine neue Achtersesselbahn mit einer Beförderungsleistung von 3700 Personen stündlich. Am Axamer Lizum bei Innsbruck in eine neue Zehnergondelbahn. Am Pitztaler Gletscher wartet der ganz neue, sogenannte „Gletscher-Express” für rund 1620 Personen pro Stunde.

Uwe Roth, Deutschlandchef der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA:

Für die Skigebiete, die es jetzt gibt, ist es eine Art Investitionsspirale. Sie haben investiert, sie haben eine gewisse Amortisationszeit und der Klimawandel setzt sie immer weiter unter Druck und bringt diese Amortisationszeit in Gefahr, und deshalb müssen eben wieder neue Investitionen geschaffen werden, um da nochmal mehr rauszuholen. Es ist im Grunde ein Teufelskreis.

Marketingverbund Alpen Plus

Größer, höher, weiter – das steht nicht mehr überall ganz oben auf den Prospekten der alpinen Skigebiete. Stattdessen Nachhaltigkeitsziele, Ökobilanz und Marketingideen für Skitourengeher, für Schneeschuhtouren mit Einkehr beim Bergbauern, abseits der Pisten.

Weniger, dafür größere, intensiv beschneite Hightec-Alpinskigebiete. Mehr Qualität statt Quantität. Dass heißt auch, mehr naturnahe Wintersportorte, wo Pistenkilometer unwichtig werden. Ohne Beschneiungsanlagen und Zehnerlift. Wo Schneeschuhe, Tourenski und Schlitten angeboten werden. Und Wanderschuhe, wenn der Schnee ausbleibt.

ENDE