Das System muss sich im Inneren ändern, ich kann es nicht.“

Grammy-Sängerin Arooj Aftab im Gespräch vor der zweiten Grammy-Nominierung 2023

Ihr Name ist mittlerweile auch außerhalb Pakistans ein Begriff – Arooj Aftab gewann in diesem Jahr als erste Frau Pakistans den Grammy für Best Global Performance für ihren Song ‚Mohabbat‘, komponiert nach einem Gedicht aus dem Jahr 1921 des Urdu-Dichters Hafeez Hoshiarpuri. Die Musik ihrer Heimat gehöre zu ihrer DNA, sagt Arooj. Seit gut 15 Jahren lebt sie in den USA, aber die Situation der Frauen im Mittleren Osten, das Patriachat in ihrer Heimat verarbeitet sie trotzdem in ihren mittlerweile drei Alben.

Am 15. November werden die Nominierungen der Grammys 2023 bekannt gegeben. Arooj steht wieder ganz oben auf der Liste, dieses Mal mit ihrem neuen Song ‚Udhero Na‘.

Und wurde wieder nominiert.

Es muss immer alles stimmen bei Arooj Aftab. Ein perfekter Auftritt, perfekte Kleidung, perfekte Performance. Wenn deutsche Bands immer häufiger lässig nachlässig zum Interview aufkreuzen, beeindruckt Pakistans bekannteste Sängerin durch strikte Selbstdisziplin. Vielleicht ist auch das ihr Schlüssel zum Erfolg?

Musik ist der studierten Jazzmusikerin ein ernstes Anliegen. Ohre mittlerweile drei Alben sind nichts für Partiees oder Clubs. Eher für einen Raum wie die Frikirkjan von Islands Hauptstadt Reykjavik. Eine für ihre besonderen Konzerte bekannte Kirche mitten im Stadtzentrum.

Seit ihrem Grammy-Gewinn im Frühjahr dieses Jahres ist sie nur noch unterwegs: Einladungen aus Deutschland, Dänemark und jetzt sogar Island:

Das fühlt sich super an – so viele Fans in Europa, vor allem auch in Berlin. In Berlin war ich Anfang des Jahres und jetzt im Herbst wieder, sie wollten mich einfach nochmal sehen, das ist schon genial. Das Publikum scheint reifer geworden zu sein, sie erwarten mehr von einer Performance und wollen nicht nur Party machen und tanzen, das ist gut.

Ihr Grammy-Song ‚Mohabbat‘ lässt vergessen, dass sie seit 15 Jahren in den USA lebt, zuerst in Boston, jetzt in New York. Selbstverständlich singt sie in Urdu, der offiziellen Landessprache Pakistans. Verwendet Texte berühmter Sufi-Dichter, kommbiniert sie mit westlichen Jazzklängen.

Die Einladungen nach Europa empfindet sie als eine Unterstützung nicht nur ihrer Arbeit, sondern stellvertretend für alle Frauen aus dem Mittleren Osten, die ihren eigenen Weg gehen wollen, sich durchsetzen und für ein selbstbestimmtes Leben kämpfen:

Wenn Frauen andere Frauen erleben, die Erfolg haben, die etwas machen, was einfach anders ist, das gibt ihnen einen großen Schub, es auch zu versuchen. Diese Welt ist Männer dominiert, auch in der Musikindustrie, die Situation ist so unterschiedlich in New York und Berlin und in Pakistan. Frauen können da einfach nicht über sich bestimmen, das ein Horror und es wird schlimmer. Ich weiß nicht, wie ich das ändern könnte, aber ich weiß, dass meine Arbeit Frauen Mut gibt, ihre Träume zu leben und sich zu verwirklichen, mehr für sich selbst zu tun.

Arooj weiß, wie sich Unterdrückung anfühlt: Hineingeboren in eine pakistanischen Familie in Saudi-Arabien und aufgewachsen in Lahore, der zweitgrößten Stadt Pakistans, brachte sie sich das Gitarrespielen selbst bei, versuchte sich an Songs von nationalen Musikergrößen wie Begum Akhtar und westlichen Popstars wie Maria Carey und Billie Holliday. Ein selbstbewusstes junges Mädchen, das schon Anfang der 2000 Jahre selbstverständlich via Internet erste eigene Songs veröffentlichte, wie das virale verbreitete Mera Pyaar – einer der Songs, der die Indie-Szene Pakistans begründete:

Ich würde sagen, es ist ein neues Genre, was ich begründet habe. Ich habe ja Jazz studiert, erst in Boston, dann New York, da leben ich jetzt schon recht lange. Natürlich trage ich meine Herkunft immer mit mir herum, die Tradionen meiner Vorfahren, das musikalische Erbe meines Heimatlandes. Das habe ich im Ohr, in meiner DNA und dazu kommen die neuen Erfahrungen in diesem melting pot New York, wo an jeder Ecke Neues passiert, daraus ist meine Musik.

2021 listete sie der frühere US-Präsident Barack Obama auf seiner Favoritenliste auf. Dass sie nach dem Grammy 2022 jetzt sogar auch auf Anwärterin auf den nächsten Grammy 2023 sein soll, macht sie sprachlos. Das sei natürlich ein wichtiges Zeichen:

Also, ich weiß nicht, ich bin noch ganz durcheinander mit meinen Gefühlen. Wie soll man sich fühlen? Was passiert, wenn man nochmal nominiert wird? Die Academy ehrt die wichtigste und beste Musik weltweit. Das wäre iree, aber auch etwas beängstigend. Man will das natürlich, aber man will sich auch auf die eigene Arbeit konzentrieren, auf neue Songs und nicht ständig rumgereicht werden. Ja klar, am 15. November werden die Grammy-Nominierungen veröffentlicht, das ist unheimlich. Ich werde dnn in Kopenhagen sein auf Tournee, zum Glück, und sitze nicht irgendwo wartend rum.

Seit ihrem Weggang aus Pakistan ist sie nie wieder dort aufgetreten. Warum auch, meint sie. Internationale Künstler und Künstlerinnen, wozu sie sich mittlerweile zählt, werden nur vom Goethe-Institut oder dem Institut francais eingeladen oder von US-Getränkemarken gesponsort.

Zwar gebe es jetzt sogar ein Musikkonservatorium in Karachi, sagt sie, was 2004 noch undenkbar gewesen sei. Aber ihre Auftritte sieht sie vor westlichem Publikum, das sie damit mehr sensibilisieren kann für die Situation und Möglichkeiten pakistanischer Frauen:

Ich denke, es würde nicht viel bewirken, wenn ich in Pakistan sage. „Ihr dürft die Frauen nicht so behandeln, das wäre absurd. Das würde überhaupt nichts ändern. Eine Bewegung weg vom Patriarchat muss durch einen globaler push passieren. Ich glaube nicht, dass eine Person, die mal einen Grammy gewonnen hat, das schafft. Solange das ein systemisches Problem ist, kann es nicht durch eine Regierung, eine Religion geändert werden, sondern muss durch eine Änderung im grundsätzlichen Denken der Menschen passieren.

ENDE