Unterwegs in Kamerun: Zwischen Aufbruch und Bürgerkrieg.

Zerreißprobe 60 Jahre nach Gründung der Föderalen Republik Kamerun. Ein Feature.

Demonstration im englischsprachigen Südwesten gegen die Zentralregierung

Am 1. Oktober 1961 einigten sich die englischsprachigen Gebiete Kameruns auf einen Zusammenschluss mit den französischsprachigen Gebieten. Der Vertrag von Foumban sollte das Land nach fast 80 Jahren Fremdherrschaft einigen und die Folgen der Kolonialzeit beseitigen. Sechzig Jahre später zeigt sich: Die Föderation ist gescheitert, seit fünf Jahren herrscht Bürgerkrieg in den südwestlichen und nordwestlichen Gebieten.

Doch während Rebellen in den anglophonen Gebieten um eine Unabhängigkeit ihres „Ambazonien“ kämpfen, gründet die junge Generation start-ups, feiert eine aufstrebende Musikszene in der Hauptstadt und der Hafenstadt Douala Erfolge. Junge Politiker aus allen zehn Landesteilen bereiten sich auf einen Regierungswechsel vor. Oppositionspolitiker in Nordkamerun proben den Widerstand.

ORF Ö1 19.10.2021 Panorama-Journal

Der Empfang war eindeutig – und eindeutig unfreundlich: Schüsse auf Premierminister Joseph Dion Ngute in Bamenda, eine Stadt im Nordwesten Kameruns, Hochburg der Separatisten seit fünf Jahren. Die Menschen fliehen die Strassen entlang in den Wald. Die Schüsse kommen aus dem Nirgendwo. Die Security packt den Politiker und schiebt ihn hinter die Autos. Der Premier und sein Gefolge fliehen in großen schwarzen SUVs über die löchrigen Sandstraßen der Stadt.

Der Spontanbesuch am 5. Oktober 2021, nur wenige Tage nach dem 60. Jahrestag der Unabhängigkeit des zentralafrikanischen Landes, sollte einmal wieder eine Annäherung herbeiführen, die Separatisten von der Notwendigkeit von Verhandlungen überzeugen. 2019 hatte es einen ersten wichtigen Dialog gegeben, auf dem Vereinbarungen getroffen wurden für mehr Autonomie für die englischsprachigen Gebiete.

Das Gegenteil trat ein. Der Sprecher der selbsternannten ARF, Ambazonia Restoration Forces äußert sich eindeutig zum Besuch des Premierministers:

Er ist in unserem nationalen Territorium nicht willkommen. Man kann unsere Kämpfer hören, die das terroristische Militär bekämpfen. Wo ist er jetzt? Diesen Kriminellen können wir nicht erlauben, uns zu besuchen und mit uns zu reden, wenn sie unsere Leute töten. Das ist die Wahrheit. Der Krieg geht weiter, wir gewinnen die Verhandlungen.

Fünf Jahre nach dem ersten, damals noch friedlichen Protest von Anwälten 2016 gegen eine Reform des Strafgesetzbuches in Kamerun, haben sich die Fronten massiv verhärtet. Damals wurde beschlossen, neue Texte nicht mehr ins Englische zu übersetzen. Gerichtsverfahren nur noch auf französisch abzuhalten. Anwälte und Richter protestierten dagegen, friedlich. Die Polizei griff massiv durch. Roben wurden beschlagnahmt. Die Order von ganz oben: Nicht nachgeben. Bis heute.

Präsident Paul Biya hat mich hergeschickt, damit wir unsere Gebiete wieder zurückholen. Viel ist getan worden. Deshalb ist es an der Zeit, unser Territorium wieder zurückzugewinnen. Wir müssen unsere Würde wieder zurückgewinnen.

Der französischsprachige Premier Ngute ringt bei seinem Besuch in Bamenda, direkt im Rebellengebiet, nach den richtigen englischen Worten. Er gehört nicht zu den Hardlinern in der Regierung, er ist bekannt für seine Dialogbereitschaft und in den eigenen Reihen deshalb angreifbar. Nicht nur die Rebellen sind zerstritten, die Regierung ist es auch.

Samuel Ikome Sako, wettert zum Jahrestag der Unabhängigkeit Kameruns in der BBC gegen das brutal vorgehende Militär.

Wir sind keine Terroristen, so nennen uns diejenigen, die uns unterdrücken. Unser Ziel ist: Unser Land wiederherzustellen, dessen Existenz vor mehr als 60 Jahren durch die Vereinten Nationen bestätigt wurde.

Der Interimspräsident der selbsternannten Regierung der 2017 gegründeten Separatistenregion Ambazonia agiert seit Jahren aus dem US-Exil heraus. Von Norwegen aus werden die Rebellen der Ambazonias Defence Forces AFD, einer weiteren Separatisten-Organisation, von Ayaba Cho gesteuert.

Sakos Vorgänger, der 56jährige Sesiko Ayuk Tabe, der erste Präsident des selbsternannten „Ambazoniens“, sitzt, wie viele Oppositionelle, im Gefängnis.

Sako betont:

Wir erfinden hier nichts neu oder besetzen ein fremdes Land, wir sind nicht die Terroristen, sie sind es.

Die Stimmung ist explosiv.

Die so hoffnungsvoll gegründete Föderative Republik von 1961, mit weitreichenden Autonomierechten für die föderalen Gebiete, sie wurde bereits 1972 durch ein erneutes Referendum beendet, in dessen Folge ein Einheitsstaat entstand, die Vereinigte Republik Kamerun. Der gesetzlich garantierte Autonomiestatus der englischsprachigen Gebiete? Annulliert.

Seitdem schwelt der Konflikt. Und wird nun von beiden Seiten weiter angeheizt:

In den Dörfern von Südwest- und Nordwest-Kamerun üben Kinder in selbst genähten bunten Uniformen den Krieg. Die Erwachsenen unter langen Zelten schauen ihnen während des Essens begeistert zu. Die Kinder zeigen stolz, dass sie die inoffizielle Ambazonia-Hymne auswendig singen können.

Seit fünf Jahren haben die meisten der Kinder keine Schule mehr besucht, Lehrkräfte werden getötet. Die Zentralregierung beschuldigt die Separatisten, die Schulen zu überfallen, die Separatisten beschuldigen die Regierung, Kinder auf dem Schulweg zu töten. In den sozialen Netzwerken werden Schulgebäude gezeigt, die von Regierungstruppen angeblich als Militärbasen genutzt werden.

Beide Seiten bezichtigen einander des Terrors. In den sozialen Medien kursieren Fotos von Leichen, die regelmäßig morgens vor Supermärkten gefunden werden. Die Hintergründe bleiben oft im Dunkeln:

Ich komme aus dem Nordwesten, ich bin dort bis 2015 in die Schule gegangen. Als wir 2016 wieder in den Unterricht zurückkehren wollten, hatten die Kämpfe bereits begonnen. Am Anfang waren es einfach nur friedliche Proteste, die hat die Regierung niedergeschossen, danach begann der Aufstand.

Leonhard gießt morgens sorgfältig die Tomaten- und Salatpflanzen, reinigt den Pool, kontrolliert den ph-Wert des Wassers und harkt den Rasen in dem großen Garten eines ausländischen Diplomaten in Kameruns Hauptstadt Yaoundé. Der 18jährige gehört zu den hunderttausenden Binnenflüchtlingen, die aus den Konfliktgebieten in die Zentralregion rund um die Hauptstadt geflohen sind. Die Krise, die im Herbst 2016 begann, hat längst mehr als 3.000 Todesopfer gefordert. Nach Schätzung des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) wurden rund 680 000 Menschen in den Regionen Nordwest und Südwest intern vertrieben. Weitere fast 60 000 sind als Flüchtlinge im Nachbarland Nigeria registriert.

Ich hatte keine andere Wahl, als meine Heimat zu verlassen und nach Yaoundé zu gehen.

Leonhard redet offen über seine Situation. Er stellt die Gießkanne ab und überlegt. Er würde gern seinen Schulabschluss nachholen, danach studieren. Die Schulen wurden anfangs von den Rebellen und den Eltern boykottiert, weil im Unterricht nur französisch gesprochen werden sollte. Irgendwann hätte das Militär Einheiten für die Schulen geschickt – ein Teufelskreis.

Leonhard hofft, dass der Konflikt in seiner Heimat endlich beendet wird.

Meine Mutter ist eine arme Bäuerin, also muss ich hier meine Zukunft aufbauen. Ja, ich musste die Schule verlassen, sie wurde boykottiert, weil nur französischsprachiger Unterricht angeboten wurde. Deshalb bin ich jetzt hier und musste diesen Job annehmen.

Die Dynamik des Konflikts hat rasant zugenommen. Mittlerweile warnt die Polizei vor Übergriffen in den großen Städten, in der Hafenstadt Douala und in der Hauptstadt Yaoundé. Im Mittelpunkt des Konflikts steht Staatschef Paul Biya, 88, der im kommenden Jahr seit 40 Jahren ununterbrochen das Land führt.

Seit dem 6. November 1982, dem Rücktritt des ersten Staatspräsidenten, dem diktatorisch regierenden Ahmadou Ahidjo, ist Biya der starke Mann in Kamerun, als erst zweiter Präsident seit der Unabhängigkeit vor 60 Jahren.

2025 sind die nächsten Wahlen geplant, dann soll sein Sohn Franck Biya die Geschäfte übernehmen. Im März 2021 gründete sich dazu die “Bürgerbewegung der Franckisten für Frieden und Einheit Kameruns” (MCFP), noch eine der unzähligen Splitterparteien. Franck Biya selbst ist lieber in Frankreich und der Schweiz unterwegs.

Die aktuelle Situation in Kamerun ist besorgniserregend, weil wir vor vielen Krisen stehen, die das Staatsgebilde zerstören, das politische Umfeld und das Verhältnis innerhalb der Bevölkerung.

Sosthène Médard Lipot gehört zum Beraterkreis um den bekanntesten Oppositionspolitiker und Präsidentschaftskandidaten Kameruns, Maurice Kamto. Er stand ihm zur Seite, als Kamto 2018 für die Präsidentschaftswahlen antrat. Berät ihn noch immer. Beide erhofften sich vor drei Jahren eine große Mehrheit. Dann der Einbruch. Dass die Wahl gefälscht wurde, steht für Lipot und den Herausforderer Kamto fest.

Diese Krise in den anglophonen Gebieten existiert nur, weil wir einen autistischen Machtapparat in der Exekutive haben. Sie hören überhaupt nicht hin, wenn die Bevölkerung aus den Krisengebieten Forderungen stellt.

So Politikberater Lipot. Die Partei „Bewegung für eine Erneuerung Kameruns“ MRC von Maurice Kamto ist derzeit die größte Oppositionspartei Kameruns, gefolgt von der Front Social Démocrate, SDF, den Sozialdemokraten, gegründet in der anglophonen Südwest- und Nordwestregion.

Der Jurist und Universitätsprofessor Kamto, auch schon 67 Jahre alt, stellte sich im Oktober 2018 zur Wahl. Nur etwas mehr als 14 Prozent erhielt er damals, gut 71 Prozent der Stimmen gingen offiziell an den langjährigen Präsidenten Biya und seine Einheitspartei RDPC, die „Demokratische Versammlung des kamerunischen Volkes“. Die Wahlbeteiligung lag bei nur knapp 54 Prozent.

Atmo Workshop Jungpolitiker

An diesem Septembermorgen sitzen gut 30 Jungpolitiker und -politikerinnen aus allen zehn Regionen Kameruns an langen Tischen im Obergeschoss der Villa der Friedrich-Ebert-Stiftung in Yaoundé. In einem Dreitages-Workshop sollen sie die Grundlagen für erfolgreiche politische Arbeit lernen. Auf dem Plan: Konzepte und Techniken der politischen Kommunikation, Strukturierung des Diskurses, die richtige Reaktion auf Einwürfe und das Verfassen einer Deklaration.

Ich arbeite bei einer Gewerkschaft und muss häufig mit den Behörden diskutieren. Über Bildung und Verträge, das ist oft schwierig, deshalb nehme ich an diesem Workshop teil. Ich merke schon, dass ich besser argumentieren kann und dass man hier eine gute Perspektive bekommt, auf einem höheren Niveau mit den Behörden zu verhandeln.

Der junge Gewerkschafter stammt aus Nordkamerun, aus Ngaoundéré in der Region Adamaoua. Rund 800 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Le Grand Nord, wie das Gebiet auch genannt wird, das im Norden an den Tschad und im Osten an die Zentralafrikanische Republik angrenzt, ist vorwiegend muslimisch geprägt, dünn besiedelt und leidet unter der Terrorgruppe Boko Haram, bedingt durch die Westgrenze nach Nigeria.

Naja, es ist nicht wirklich einfach, zum Beispiel eine Deklaration richtig zu formulieren, aber uns wird hier eine große Palette an unterschiedlichen Herangehensweisen geboten, die wir im Austausch mit den Regierungsbehörden nutzen können.

Die Atmosphäre in dem Schulungsraum wirkt erwartungsvoll, die JungpolitikerInnen, in Anzug oder in der bunten Kleidung ihrer Region, nehmen gespannt jedes Wort auf, diskutieren mit dem Nachbarn, der Nachbarin. Vorn am Flipchart und mit Hilfe einer Powerpoint-Präsentation erfahren sie, wie man a besten seine politischen Ziele umsetzen kann, wie man Zuhörer für sich einnimmt, wie man die richtigen Worte findet, wenn sich ein Diskurs zuspitzt.

Hinterher geht es hinaus auf die Terrasse und in den großen Garten, wo beim Mittagessen weiter diskutiert wird. Fast alle Parteien Kameruns sind hier vertreten, der Austausch unterschiedlicher politischer Ansichten ist Teil des Programms:

Für mich ist es wirklich interessant, weil ich von hier so viel mitnehmen kann. Es geht nicht nur um Politik, sondern auch um soziale Aspekte. Jetzt haben wir gerade darüber geredet, wie man gut intervenieren kann, wie man auf sich aufmerksam macht. Wir bekommen verschiedene Werkzeuge an die Hand, das finde ich sehr wichtig. Oft muss man sich ja zu etwas äußern, zum Beispiel jetzt hier im Interview, da ist es gut, wenn man entsprechend reagieren kann.

Die junge Frau in ihrem dekorativen, maßgeschneiderten Kleid spricht selbstbewusst und sehr reflektiert über ihr Land. Sie sitzt unter einem der aufgespannten Zelte an einer Bierbank, isst von den frittierten Bananen.

Sie hat keine Probleme, sich zu den Fragen zu äußern, die teils regierungskritisch sind. Auch das stellt man in Kamerun fest: Die Menschen haben eine dezidierte Meinung zur Zukunft ihres Landes. Sie äußern sich detailliert, sind interessiert, wie die Krise gelöst werden könnte, oft mit sehr konkreten Ideen:

Das größte Problem, das wir in Kamerun haben, ist, dass die Demokratie nicht respektiert wird, verstehen Sie? Man redet zwar von Gesetzen und von Demokratie, aber alles erinnert mehr an eine Monarchie. Um hier etwas zu verändern, müssen wir erstmal wieder demokratische Verhältnisse herstellen.

Man kann bei Gericht und bei den Behörden nicht die englische Sprache verbieten, man kann jemanden nicht in einer Sprache verurteilen, die er nicht versteht. Die Lehrer wollen einfach nur eine Harmonisierung der Bildung. Es ist einfach alles eskaliert durch die Abspaltungsforderungen. Es hat mit friedlichem Protest begonnen, jetzt nutzen bereits Jugendliche hochmoderne Waffen.

Die großgewachsene Frau, ebenfalls in einem beeindruckenden bunt gemusterten Kleid, antwortet bedächtig, überlegt sich jedes Wort. Yvonne Muma Bih stammt aus den englischsprachigen Gebieten. Sie ist prominentes Mitglied der SDF, der Sozialdemokratischen Front, einer der großen Oppositionsparteien Kameruns:

Ich denke, das wäre alles zu verhindern, wenn man die Hauptursachen des Konflikts und aller Vorfälle auf den Tisch legt und diskutiert. Als jemand, der sich seit 30 Jahren mit Politik in Kamerun befasst, sehe ich, dass die Leute einen Föderalismus wollen. Wenn ich an der Macht wäre, würde ich erstmal ein Referendum abhalten darüber, was die Menschen wirklich wollen. Doch der politische Wille dazu ist derzeit nicht vorhanden.

Gerade die Frauen melden sich in Kamerun immer häufiger deutlich zu Wort. Vor allem sie leiden unter der Krise in den anglophonen Gebieten, die hunderttausende Binnenflüchtlinge hervorgerufen hat und das Land lähmt. Meist bleiben die Frauen in den Dörfern allein zurück, betrauern die toten Männer. Und twittern.

Eine Fraueninitiative aus den anglophonen Gebieten, SW-NW-Womans Task Force ist seit Juni 2018 öffentlich in den sozialen Medien präsent. Mit Erfolg.

Im Juli 2021 trafen sich rund 1500 Frauen aus ganz Kamerun zur ersten Frauenfriedenskonvention in der Geschichte des Landes. Aus allen Regionen und Gesellschaftsschichten – von der Hausfrau bis zur Polizistin – tauschten sie drei Tage lang ihre Erfahrungen aus und riefen gemeinsam zum Frieden auf.

Treffen der Woman-Convention/Frauenorganisationen in Limbe/Südwestkamerun

Das Ergebnis: Die Forderung eines sofortigen Waffenstillstands, eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Regierung und Separatisten, ein Platz für Frauen am Verhandlungstisch. Und jetzt, zehn Wochen später?

Der „Appell der Frauen für den Frieden“ wurde an die Kameruner Regierung, vertreten durch die Ministerin für Frauen und Familie, übergeben und in den sozialen Netzwerken geteilt.

Vor kurzem, am 6. Oktober trafen sich Vertreterinnen dieser First National Women’s Convention for Peace in Berlin mit der Beauftragten für zivile Krisenprävention & Stabilisierung beim Auswärtigen Amt in Deutschland.

Die Krise in Kamerun ist tatsächlich eine der am meisten vergessenen der Welt. Das wurde auch letztes Jahr durch die Ausstellung vom Norwegian Refugee Council bestätigt, d.h. es gibt eigentlich wenig politische Aufmerksamkeit oder auch den politischen Willen, die Konflikte zu lösen.

Nina Netzer leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kameruns Hauptstadt Yaoundé. Sie hält Kontakt sowohl zur Regierung als auch zu den Oppositionsparteien. Und zu den Separatisten. Die zweistöckige Villa mit ihrem großen Garten im Diplomatenviertel Bastos bietet immer wieder Platz zum Dialog, der sonst fehlt:

Es gab letztes Jahr inoffizielle Verhandlungen zwischen Regierung und separatistischen Truppen, die offiziell niemals bestätigt wurden, aber das ist natürlich eindeutig zu wenig. Es müsste irgendwie eine Form von verfestigter Dialogplattform, Verhandlungen geben, irgendein Forum, wo sich wirklich Akteure austauschen können, dass auch wirklich Akteure, die legitimiert sind und auch verschiedene Gruppen repräsentieren. Das hat es so in der Form bisher nie gegeben.

Dass sich etwas bewegt, ist jedoch unübersehbar: Erst vor kurzem haben sich sieben Oppositionsparteien zusammengeschlossen, um ein neues Wahlrecht zu entwickeln und ins Parlament einzubringen. Dass das Wahlrecht umgesetzt wird – ein aussichtsloses Unterfangen, aber ein erster Schritt, dass sich die Opposition nicht wie bisher zersplittert in über 300 Kleinstparteien, sondern einheitlicher präsentiert.

Ich denke, in Kamerun werden wir nie an einen Punkt kommen, wo es eine nationale Identität gibt, aber das brauchen wir vielleicht auch gar nicht, sondern viele verschiedene Identitäten… hier gibt es ja neben den gewählten Vertretern auch noch die traditionellen Herrscher, die auch eine wichtige Rolle spielen in den Gemeinden.

Fest in Ostkamerun

Samstag Vormittag, Mitte September, in Ekoadjom, einem Dorf rund 70 Kilometer westlich der Hauptstadt. Jugendliche sitzen unter den Bäumen im Schatten, unter riesigen weißen Zelten sind lange Reihen von Stühlen aufgebaut. Die Sonne zeigt sich – trotz Regenzeit.

In der Ferne ragen riesige Palmenwälder auf. Neben ärmlichen Hütten aus dem typisch roten Lehmboden stehen auch moderne neue Häuser aus Stein. Riesige schwarze SUVs parken an der sandigen, ungeteerten Dorfstrasse. Die Frauen tragen raffiniert geschneiderte buntgemusterte Kleider. Man begrüßt sich leise.

Im Hintergrund probt der Chor. Hochrangige Priester und der Bischof schreiten langsam über die Wiese in Richtung der reichgeschmückten Laubhütte, wo der Sarg eines hochrangigen Dorfbewohners aufgebahrt liegt.

Drei Tage lang wurde bereits getrauert, einige Dorfbewohner haben noch kleine Augen von der nächtlichen Totenwache. Angehörige, Freunde und Bekannte treffen sich zur letzten Trauerfeier. Der große Kirchenchor ist extra aus der Hauptstadt gekommen, unter riesigen, weißen Zelten steht ein ausladendes Buffet bereit.

Gut vier Stunden dauert der Abschied. Der Bischof zelebriert die Messe. Sa majesté, das traditionelle Dorfoberhaupt, sitzt würdevoll ganz vorn in der ersten Reihe, in einem langen, weißen Gewand, um den Hals die weiße Beinkette.

Er antwortet erst auf Bassa, der örtlichen Sprache, dann auf französisch und auch englisch:

Was uns am meisten beschäftigt hier ist die Armut und die Gesundheit unserer Dorfbewohner. Und auch finanzielle Hilfe. Denn zuallererst brauchen wir hier Bildung und das kostet.

Das Dorf Hikoadjom, das Sa Majesté Bienvenu Nwind, als traditionelles Oberhaupt leitet, liegt mitten im Regenwald in Zentralkamerun, eine Anbindung an die nächstgrößere Stadt Ngoumou, wo die Eisenbahnstation liegt, gibt es nur über eine holprige, unbefestigte Sandpiste.

Interview mit Sa Majesté von Hikoadjom

Der Unterricht an der örtlichen Schule sei nur unregelmäßig, die Zahl der Lehrkräfte nicht ausreichend, kritisiert der Dorfälteste. Die Landflucht sei enorm, alle wollten nur in den Städten leben, die Zahl der Schülerinnen und Schüler habe dramatisch abgenommen.

Für uns ist die örtliche Regierung zuständig. Die meisten Lehrkräfte wollen nur in den Städten arbeiten, also leidet darunter die Bildung auf dem Land. Die Dörfer werden immer leerer und die Schulen auch.

Wie viele Gemeinden in Kamerun hat auch Hikoadjom auf Palmölplantagen gesetzt, um die Kommune zu finanzieren. Der Wald wurde abgeholzt. Die graugrünlich schimmernden, riesigen Palmen prägen das Dorf. Sie bringen aber nicht mehr das Geld, das erwartet worden war. Der Preis für das Palmöl ist massiv gesunken:

Wir haben hier viele Palmen, sie bringen Geld, aber es ist viel Arbeit und viele Leute machen das nicht mehr, weil es ihnen zu viel ist. Ich denke, dass das Kultivieren der Ölpalmen für den ländlichen Raum hier keine großen Vorteile mehr bringt. Die Palmen benötigen sehr viel Platz und der Ertrag ist niedrig. Ich habe selbst 15 Hektar Palmen, das müsste theoretisch viel Geld bringen, ist aber nicht so. Der Verkauf des Öls lohnt sich nicht mehr, der Preis ist extrem gefallen.

Also setzen die Bauern jetzt auf den Anbau von Gemüse und Obst, das in der Hauptstadt verkauft wird. Melonen, Tomaten, Gurken.

So entfernt sein kleiner Ort auch von den Städten Kameruns ist – an diesem Nachmittag zur Trauerfeier für einen der wichtigsten Dorfbewohner, der im Versicherungswesen sehr viel Geld, auch außerhalb Kameruns, gemacht hat, sind zahlreiche Familienmitglieder angereist, die seit Jahren im Ausland arbeiten – in Deutschland, in der Schweiz oder in Großbritannien, und dort gutes Geld verdienen. Sie beobachten sehr genau, was in ihrem Geburtsland Kamerun und ihrem kleinen Dorf mitten im afrikanischen Regenwald passiert:

Die Gesellschaft ist so jung und es fehlt an Struktur. Es gibt nicht so viele Leute, die sich auskennen, in allen Bereichen brauchen wir Leute… Es ist nicht wie in Deutschland, wo du sagst, ich gehe zur Bank und bekomme einen Kredit. Nein, hier musst du dein eigenes Geld haben. Es fehlt an Struktur.

Henry wohnt mit seiner Familie in Freiburg im Breisgau, seine Frau, auch gebürtig aus Kamerun arbeitet als Ingenieurin, er bei einer schweizer Telekomfirma. In den 90er Jahren verließ er sein Dorf, jetzt überlegt er, in sein Land zu investieren, in Fischzucht oder Papaya-Anbau:

Ich kenne beide Seiten, ich bin hier aufgewachsen, lebe seit 23 Jahren in Deutschland. Ich habe ein Sprichwort, das heißt: Das Leben ist wie ein Staffellauf, d.h. du lebst dein Teil und gibst die Staffel dann weiter.

Meine Hilfe für das Dorf ist ganz konkret.

Sagt Ismail, der bei der Schweizerischen Nationalbank in Zürich arbeitet und in der fernen Schweiz eine Familie gegründet hat:

Ich finanziere hier seit drei Jahren die Impfungen für die Kleinkinder, also die Erstimpfungen für die Babys. Außerdem helfe ich finanziell auch der Kirche und unterstütze sie. Ich habe vorab mit den Ärzten gesprochen, ob ich helfen kann und sie sagten, es gäbe viele Mütter, die den Impfstoff für ihre Babys nicht zahlen könnten. Das kostet 300 Franc, also 50 Cent, aber einige haben das Geld nicht. Deshalb zahle ich den Impfstoff für sie.

Eine Rückkehr in sein Geburtsland Kamerun kommt für ihn nicht in Frage. Nur durch seine Arbeit bei der Schweizer Bank könne er sein Dorf unterstützen.

Hilfe aus dem Ausland – Kamerun will darauf nicht verzichten, kann darauf noch nicht verzichten, auch wenn die Rufe danach von der jungen Generation lauter werden. Mit der Black-Live-Matters-Bewegung, die aus den USA auch nach Afrika herüberschwappt, ist ein neues, frisches Selbstbewusstsein entstanden bei einer Generation von jungen Kamerunern, die sich durchbeißen in der Schule und an der wachsenden Zahl an Universitäten studieren. Das merken auch die NGOs, die in Kamerun Entwicklungshilfe leisten, noch immer. Teilweise seit dreißig Jahren. Und sich fragen lassen müssen, ob sie die Bevölkerung nicht unterschätzen oder bevormunden mit ihrer Hilfe:

Nein, ich glaube nicht, dass sie raus müssen aus den Ländern. Jeder der hier etwas macht, muss sich überlegen, was passiert, wenn ich nicht mehr da bin, er muss einen Austrittsplan haben, bevor er anfängt, das ist entscheidend.

Mitten im Regenwald wohnt Werner Mathys mit seiner Frau. Jeden Tag spricht er ausgiebig mit den Nachbarn, redet mit Landwirten und Behörden, begutachtet Brunnen, die die Versorgung der umliegenden Dörfer garantieren sollen. Der frühere Mitarbeiter der Credit Suisse beschäftigt rund 80 einheimische Fachkräfte im Bereich Trinkwasserversorgung. Importiert die benötigten Bauteile aus Indien. Die NGO gilt als einer der großen Arbeitgeber rund um den Ort Otélé, westlich der Hauptstadt. Laut WHO muss die Bevölkerung innerhalb von 15 Gehminuten frisches Trinkwasser erreichen können, die staatliche Versorgung hakt noch immer an allen Ecken. Auch wenn es besser geworden sei, beobachtet Mathys:

Ja, im kleinen Bereich läuft sehr vieles in die richtige Richtung. Also startups, kleinere Firmen, auch im IT-Bereich, da läuft vieles in die richtige Richtung. Was sicher noch fehlt ist das Vertrauen von internationalen Investoren, weil einfach Korruption immer noch vorherrscht.

Die Ausbildung zu Handwerkern an den staatlichen Schulen sei sehr theoretisch, neue Mitarbeiter müssten trotz Zertifikat erst angelernt werden. Aber in Kürze will die Schweizer Stiftung, die als Financier dahintersteht, die Wartung der Trinkwasseranlagen in einheimische Hände übergeben, die Verantwortung an die junge Generation übergeben. Nach 30 Jahren:

Wir haben sicherlich etwas zu lange gewartet, um uns zu überlegen, was machen wir, wenn wir nicht mehr mit unserer eigenen Unterhaltsequippe hier sind, das sind vier Mitarbeiter mit Fahrzeugen, mit Kompressoren, top ausgerüstet natürlich und wie kann die lokale Bevölkerung, der einheimische Handwerker mit einfachen Mitteln, dafür sorgen, dass der Brunnen bei einem Defekt repariert werden kann.

Eine große Hilfe sei die Digitalisierung, die auch in Kamerun vorangetrieben wird, sagt Mathys. Behördengänge, Behördenunterlagen, alles soll künftig papierlos, per Internet möglich sein. Noch ist keine flächendeckende Breitbandversorgung gesichert für das ganze Land. Aber im Regenwald rund um Otélé funktioniert das Netz gut. Die Jugend ist informiert über die westliche Welt. Was fehlt, ist eine neue, junge Politik.

Villa des créateurs: Mode-Designschule von Yaoundé ccmc

Ortswechsel:

An der Designschule von Yaoundé herrscht Aufbruchstimmung. In der kleinen Villa inmitten eines ärmlichen Stadtviertels wird gezeichnet und diskutiert. 12 junge Modedesigner und Designerinnen aus ganz Kamerun haben sich am CCMC, dem Zentrum der Kreativen Modedesigner Kameruns, beworben für eine achtmonatige Masterclass-Ausbildung. Sie träumen den Traum von den Laufstegen dieser Welt. So wie ihr Vorbild, der Kameruner Modeschöpfer, Imane Ayissi, der in Paris arbeitet.

Hallo, ich bin Julie, ich arbeite seit zwei Jahren als Stylistin, habe die Modeschule besucht und arbeite jetzt seit einem Jahr als Designerin.

Die junge, schmale Frau steht diskutierend vor einem Laptop. Gemeinsam mit anderen jungen Designern versucht sie die BWL-Grundlagen für ein erfolgreiches Modeunternehmen zu verstehen. In langen excel-Tabellen stehen Zahlenkolonnen, die ihr den effektiven Aufbau eines eigenen Labels ermöglichen sollen.

Ja, klar, die Chancen sind da, das ist wirklich möglich. Dadurch können wir uns besser präsentieren, unsere Labels, unsere Fähigkeiten ausbauen und sichtbarer werden. Wenn über unser Land gesprochen wird, oder generell über Afrika, hilft das enorm. Warum sollte man dann nicht auch in einem anderen Land Erfolg haben.

Vielleicht auch in Paris?

Ja, zum Beispiel, das wäre natürlich wunderbar (lacht).

Ihre Entwürfe für die derzeit laufende Meisterklasse: lange Kleider, Cocktailkleider und Oberteile, eine Mischung aus strengen, geraden Konturen, gepaart mit den kraftvollen blauen, roten oder gelben Farben und typischen Mustern Kameruns. Genau diese Verbindung mache den Erfolg aus, ist die junge Designerin überzeugt:

Wir haben in der Modebranche in Kamerun eine enorme Qualität. Um mein Business gleich von Anfang an gut aufzustellen, habe ich mich hier beworben. Es ist gar nicht so einfach, richtig durchzustarten. Gemeinsam mit den anderen Teilnehmern können wir Ideen umsetzen. Warum also nicht auch für die Laufstege der Welt. Wir haben das Potential.

Machia Djam Muhammad will sich auf Herrendesign spezialisieren. Auf seinem Smartphone zeigt er einige Entwürfe, für Uniformen und teils gewagte Oberteile, für afrikanische Männer kein Problem.

Anders als sein Vorbild, der Kameruner Modeschöpfer Imane Ayissi, will der selbstbewusste junge Mann im schwarzen Outfit nicht ins Ausland gehen, nach Paris oder New York, sondern von Kamerun aus sein Label aufbauen:

Ich möchte von hier arbeiten. Ich habe bereits in Belgien und der Türkei studiert, konnte viel herumreisen und mir Boston und Harvard, auch Deutschland anschauen. Ich möchte hierbleiben und Investoren nach Kamerun holen. Mit den richtigen Leuten kann man hier viel bewegen.

Mode Made in Kamerun, das heißt für die jungen Leute auch, Mode Made aus einheimischen Stoffen. Seit viele Textilfabriken aufgrund der Billigware aus China schließen mussten, mussten auch viele Bauern im Norden Kameruns wegen fehlenden Absatzes ihre Baumwollfelder aufgeben. Das soll sich jetzt ändern, auch mit Hilfe Deutschlands: Der Anbau von Baumwolle in Bioqualität wird logistisch und finanziell direkt vor Ort durch Mitarbeiter der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ unterstützt. Ein Beitrag, um der Bevölkerung im Norden Kameruns wieder eine Perspektive zu geben, damit sie nicht nach Europa flüchten oder sich den Terrorgruppen von Boko Haram anschließen.

In dem kleinen Raum direkt an einer der staubigen Straßen von Ngaoundéré im Norden Kameruns sitzt ein Dutzend junge Männer und Frauen um einen Tisch herum, es wird gelacht, diskutiert, überlegt. Ein Huhn verirrt sich zwischen den Beinen. Die jungen Kameruner gehören der Jugendorganisation JERESCAM an, der „Jeunesse Responsable et Solidaire du Cameroun“. Die rasant wachsende Jugend Kameruns ist erstaunlich gut organisiert. Rund 42,4 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 15 Jahre:

Wir fragen uns hier immer, warum so wenig für die jungen Leute getan wird. Weil die Jugendlichen sich in Politik nicht auskennen. Allein schon zu wissen, wie und warum man wählt, wäre schon wichtig. Und die Wahl ist ja nur das Ende eines Entscheidungsprozesses. Unsere Jugend muss sich für Politik interessieren und nicht sagen, warum soll ich denn wählen gehen. Wenn sich die Jungen für Politik interessieren, dann klärt sich auch alles andere.

Hamassambo Bello und seine Mitstreiter kämpfen in einer Region um Aufmerksamkeit, in der die Terrorgruppe Boko Haram aus dem benachbarten Nigeria und Kriminelle aus der Zentralafrikanischen Republik längst in der Stadt sind, benachteiligte Jugendliche rekrutieren und darauf zu warten scheinen, dass – etwa durch den Tod des 88jährigen Präsidenten Biya – ein Machtvakuum entsteht, das sie für sich nutzen könnten

Journalisten wie Francis Eboa von der großen Regionalzeitung “L’oeil du sahel” wissen um die Gefahr:

Ja, natürlich, das ist schon eine Industrie geworden. Hier sind wir noch nicht so betroffen, aber die Rebellen aus der Zentralafrikanischen Republik und aus dem Tschad sind ja Flüchtlinge, die selbst in ihrer Heimat bedroht werden. Die versuchen jetzt hier zu überleben.

Perspektive sollen sogenannte Multifunktionale Zentren zur Förderung der Jugendlichen bieten, geführt vom nationalen Jugend- und Bildungsministerium, es gibt sie in jeder Kommune Kameruns. Doch ohne ausländische Hilfe und externe Bildungsexperten läuft nichts. Jobs in der Solarindustrie, in der Landwirtschaft, in der Logistikbranche oder im E-Commerce zu finden, das unterstützt ein Projekt für 18 bis 35 Jahre, gefördert vom deutschen Außenministerium:

Einerseits ist es in Afrika allgemein eine riesige Herausforderung, dass genügend Jobs da sind für Jugendliche und junge Erwachsene, diese Herausforderung haben wir hier nochmal stärker im Norden Kameruns.

Andreas Kahler arbeitete bereits in Deutschland mit benachteiligten Jugendlichen, seine Erfahrungen helfen jetzt Jugendlichen wie Bibiane Chakdang, ein eigenes kleines Business aufzuziehen, etwa eine Hühnerfarm:

Wir sind sehr stolz auf die Ausbildung …

Sagt Bibiane auf deutsch. Als Frau fällt es in Nordkamerun, mehrheitlich islamisch geprägt, schwer, eine Arbeit zu finden. Eine eigene kleine Firma aufzubauen umso mehr.

Hélène Sanda ist deshalb ein Vorbild für andere Frauen. Nach ihrer Ausbildung zur Elektrikerin durch das Projekt für benachteiligte junge Erwachsene fand die zweifache, alleinstehende Mutter eine Anstellung in einer Privatklinik der Stadt. Wenn der Strom ausfällt oder die Kabel locker sind, kümmert sich die junge Frau darum:

Die Situation der Jugendlichen ist hier wie in ganz Kamerun.

Bürgermeister Abana Idrissou lädt in seinen Empfangsraum ein. Durch die Fenster kann man die langgestreckten Hügel rund um Ngaoundéré sehen. Er gehört der Oppositionspartei UNDP an, der Nationalen Union für Demokratie und Fortschritt. Auch er ist der Meinung, dass die Zentralregierung in Kameruns Hauptstadt Yaoundé längst den Kontakt zu den Menschen in den Regionen verloren habe:

Wir sind eine Region der Opposition, der UNDP, in der Hauptstadt regiert die Einheitspartei RDPC, die Zentralisierung hilft uns hier überhaupt nicht. Wir müssen uns hier selbst um unsere Entwicklung kümmern. Präsident Biya weiß nicht, was hier los ist. Wir kümmern uns selbst um die Straßen, um die Schulen, um die Verwaltung.

Nicht nur von den Oppositionsparteien kommt der Vorschlag, Kamerun wieder eine föderale Verfassung zu geben. Auch die Bevölkerung würde das als Option sehen, um die Konflikte im Norden und auch in den anglophonen Gebieten zu beenden. Und um der jungen Generation den Freiraum zu bieten, die vielen Ideen umsetzen zu können.

Ich bin aus dem Südwesten. Ich bin nicht für die Abspaltung. Wenn Sie mich nach meiner Meinung fragen, nach meiner persönlichen Meinung: Warum denkt die Regierung nicht über einen Staat mit zehn föderalen Regionen nach, die ihre Ressourcen selbst verwalten und nutzen können, geführt von einer gewählten Regionalregierung, nicht bestimmt durch eine Zentralregierung.

Das Mandat für eine Konfliktlösung liegt bei der Schweiz. Der Erfolg der eidgenössischen Initiative seit Juni 2019 ist auch drei Jahre später noch sehr überschaubar. Die Schweiz beobachte „mit großer Sorge die zunehmende Gewalt im Nordwesten und Südwesten Kameruns“, heißt es aus dem Außenministerium in Bern. Die Schweiz sei „der festen Überzeugung, dass es keine militärische Lösung des Konflikts gibt, sondern dass Dialog und Verhandlungen notwendig sind, um die Gewalt zu beenden und einen nachhaltigen Frieden zu erreichen“.

Auch eine Entschließung des EU-Parlaments von 2019 und eine Resolution des US-Senats vom Januar 2021 über eine Fortführung der Dezentralisierung und eine Debatte über Kamerun auf internationaler Ebene, etwa im UN-Sicherheitsrat, oder der Afrikanischen Union haben bisher wenig gebracht.

All die vielen Resolutionen, Anfragen und Entschließungen geben ein gutes Gefühl, bringen aber nichts. Man diskutiert und verabschiedet etwas, aber letztlich bringt es keine Ergebnisse. Die Lösung muss in Kamerun selbst liegen.

Sagt Tibor Nagy, lange Jahre Botschafter in Afrika und bis vor kurzem Stellvertretender Staatssekretär für Afrika der US-Regierung in Washington.

Sehen Sie, bei uns steht der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ganz weit oben auf der Agenda. Deshalb ist die Situation schwierig für uns. Auf der einen Seite brauchen wir die Biya-Regierung im Norden Kameruns gegen Boko Haram und die Extremisten in der Sahelzone, aber gleichzeitig sollen wir die Menschenrechte in Südkamerun einfordern.

Ein Einsatz von UN-Truppen sei ausgeschlossen. Laut Außenpolitiker Nagy wird sich die US-Regierung nicht in Kamerun einmischen. Auch von Seiten der EU herrscht Zurückhaltung. Die Bevölkerung fühlt sich allein gelassen. Die Forderung der Separatisten an das Ausland, endlich zu vermitteln, verhallen. Also geht der Kampf weiter.

ENDE