Wer einmal lügt. Das zweite Leben des Wolfgang Beltracchi.

Deutsche Galerien weigern sich, seine jetzt unter eigenem Namen laufenden Bilder auszustellen. In Italien ist man da weniger zimperlich: Sein aktuelles Projekt „Kairos“, initiiert von einem deutschen Mäzen, sorgte im Herbst für Aufregung in Venedig in der Bibliotheca Nazionale Marciana am Markusplatz.

Beltracchi-Ausstellung am Markusplatz Venedig
Bericht im ORF Ö1 Kulturjournal

Was ein Claas Relotius und seine fast 60 gefälschten Reportagen für den Journalismus bedeuten, sind die Gemälde von Wolfgang Beltracchi für die Kunst.

Seit den 1970er Jahren hat der deutsche Maler mit heutigem Wohnsitz in der Schweiz rund 300 Gemälde unter falschem Namen auf den Kunstmarkt gebracht, keine Kopien, sondern Werke im Stile berühmter Künstler. 2010 wurden er und seine Frau Helene Beltracchi wegen Urkundenfälschung zu Gefängnisstrafen verurteilt. Während der Haft begann für den 1951 als Wolfgang Fischer geborenen Maler nach eigenen Angaben sein „zweites Leben“.

Beltracchis Vermeer-Projekt

Vom Saulus zum Paulus? Ein Phänomen oder Hochstapler?

Herr Beltracchi, können Sie die Bezeichnung Fälscher eigentlich noch hören?

Da sitzt er also, ziemlich gelassen auf einem Samtsofa, einen braunen Hut auf den grauen, schulterlangen Haaren. Der Blick offen, die Antworten mal launisch, mal nachdenklich.

Wolfgang Beltracchi – für die einen die persona non grata, Aufschneider, Hochstapler, Fälscher. Ein gewiefter Geschäftsmann, der den Namen seiner Frau aus Berechnung annahm, lieber den pittoresken Namen „Wolfgang Beltracchi“ als den banalen „Wolfgang Fischer“ trage. Ein Mann, der mit seiner Biografie jongliert und in den unzähligen Interviews seit seiner Haftentlassung zuallererst von seinem Vater erzählt, einem Kirchenmaler, der ihn zum Nachahmen aufforderte:

Ja, das erste was ich für meine Vater gemalt habe war ein Picasso …

Erziehung des Achill, nach Römische Kunst des 2. Jahrhunderts n. Chr.

Beltracchis Kindheit: Kann man damit kokettieren, auf einem winzigen Weiher in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen zu sein, ohne Auto, ohne Kontakt zu anderen Kindern, die ihn regelrecht mieden, weil er fast jede Nacht schlafwandelte? Da war die liebevolle Mutter, die ältere Schwester, der Bruder und ein immer abwesender Vater, der ihm die Techniken eines Restaurators beibrachte. Dass man für eisige Farben zum Beispiel gemahlenes, blaues Glas verwenden muss:

Ich denke, es war einfach von ihm ein Versuch…

Ein Leben wie aus einem Roman. Viel zu passend als wahr zu sein. Ein kleiner Junge, der aus Langeweile, Verlassen- oder Verlorensein Gemälde von berühmten Malern nachmalt. Nicht kopiert, das sei ihm von Anfang an zu einfach gewesen, sondern den Stil verinnerlicht, besser als sein Vater, Bruder und andere pinselnde Familienmitglieder:

Ich war absolut konkurrenzlos, das war sogar peinlich für mich…

Beltracchi erzählt davon so unbefangen, dass man skeptisch wird. Ist es wie mit seinen Bildern? Zwar nicht kopiert, aber doch im Stile von anderen erfunden? Ein begnadeter Handwerker im Atelier ohne eigene Sprache? In den 70er Jahren hingen seine wirklich eigenen Werke sogar im Münchner Haus der Kunst, er bekam bis zu 10 000 D-Mark dafür, viel für einen unbekannten Wolfgang Fischer. Aber was ist das schon, eine eigene Handschrift als Maler? Keine Herausforderung:

Es ist ja am Kunstmarkt gefordert, dass man so eine Art Label malt…

Über vierzig Jahre lang ahnte niemand, dass dieser Wolfgang Fischer bis zu seiner Heirat mit Helene Beltracchi 1993 hunderte von Expressionisten, Impressionisten, Renaissance- und Barockgemälde auf den Kunstmark warf. Unerkannt. Von Experten anerkannt. Bestätigt als Originale, was sie ja auch sind, nur eben nicht von den Malern, deren Unterschrift er darunter setzte.

Mäzen Christian Zott mit W. Beltracchi vor “Gruppenbild Blaue Reiter”

Bei welchen Künstlern würden Sie sagen, da lasse ich lieber die Finger davon?

Beltracchi – für die einen ein Betrüger, für die anderen ein Genie. Magazine wie Forbes, die Süddeutsche, die ZEIT, die Neue Zürcher Zeitung, der Playboy, Vanity Fair oder das Times Magazine – sie alle waren schon bei ihm, versuchten den Menschen Beltracchi zu beschreiben.

Je länger man mit ihm redet, umso mehr überwiegt das Gefühl, dieser Mann, jetzt fast 68 Jahre alt, hat die Kunstgeschichte derart verinnerlicht und sie für die derzeit in Hamburg und dann in Wien laufende Ausstellung, Zitat„abgepingelt“, dass er genau das ist: ein nicht greifbares Phänomen.

Es gibt sicherlich einige Bilder, wo ich sagen würde, das ist hundert Prozent Beltracchi…

ENDE