Aluminium für Amerika

Das umstrittene Karahnjukar-Wasserkraftwerk auf Island

(Hinweis: Das WKW wurde trotz des beschriebenen Protests gebaut)

Island gilt als das sauberste Land Europas. Keine Atomkraftwerke, endlose Schneefelder und Gletscher, geothermische Quellen und Wasserkraftwerke. Islands Energie stammt überwiegend aus Wasserkraftwerken, Geothermie und aus einem noch verschwindend geringen Anteil Windkraft. Nun wird auf Island ein neuer Staudamm gebaut und nicht nur die Naturschützer fragen sich wofür.

Offiziell für noch eine neue Aluminiumhütte, die grösste weltweit. Seit der Vertragsunterzeichnung im Jahr 2003 durch die amerikanische Firma Alcoa, die isländische Regierung, die umstrittene italienische Baufirma Impregilo und den staatlichen Energiekonzern Landvirkjun reißen die Proteste nicht ab, sogar die Mutter der berühmtesten Isländerin, der Sängerin Björk trat in den Hungerstreik. Nun wird doch gebaut in einem Gebiet nördlich von Europas größtem Gletscher Vatnajökull – dem sensibelsten Gebiet der Region.

Mondlandschaft statt Rotfußgänse

Die Heidelandschaft an den Ausläufern der riesigen Gletscherzungen des Vatnajökull wirkt noch im Frühsommer karg und unwirtlich. Über das kurze Gras wandern Rentiere,darüber schnattern Unmengen der nur hier vorkommenden Rotfußgänse. Das Gebiet kennt keinen Asphalt, nur Geländewagen und die Wanderer um Naturschützerin Osk Vilhjalmdottir. Genau diese Landschaft soll im Wasser verschwinden. Mitsamt Schluchten und Tälern. An die hundert Wasserfälle. Moore, Heidelandschaft und Feuchtgebiete.

Mit einem fast 200 Meter hohen Damm, einem der höchsten Europas, soll die Schlucht des Jökulsa Bru zugemauert werden und so ein künstliches Gewässer, groß wie der Starnberger See, aufstauen. Über allem wird nur noch der Karahnjukar emporragen, ein Berg wie eine Pyramide, der dem Großprojekt seinen Namen gegeben hat.

Es ist alles durch Spalten und Risse zerrissen. Geologen haben davor gewarnt das zu machen. Sie haben gesagt, das muss erstmal untersucht werden. Da sind regelmässig Erdbeben, das geht alles auseinander. Diese unangenehmen Informationen sind einfach unter den Tisch gekehrt worden. Das Projekt hat jetzt mehrere Monate Verspätung, denn wegen der vielen Risse und Spalten kommen sie nicht zum Grund, um diesen Damm zu bauen, sie haben viel länger gebraucht, es ist alles viel teurer geworden. 0´40

Aus der Luft gesehen, gleicht ein Teil des Gebietes bereits einer riesigen Mondlandschaft. 35 Prozent der Arbeiten sind nach offiziellen Angaben der staatlichen Energiewerke Landvirkjun abgeschlossen, die sechs 130 MW Hochdruck-Turbinen sind in der Produktion. Der Auslöser für diese gigantische Umweltzerstörung wurde ebenfalls begonnen – eine amerikanische Aluminiumhütte, deren Rohstoffe aus Brasilien und Australien herangeschifft werden. Die größte Aluminiumfabrik Europas mit rund 1.000 Arbeitsplätzen und rund 322.000 Tonnen Aluminium jährlich – einer der wichtigsten Abnehmer ist Deutschland.

Deutschland ist einer der Hauptabnehmer

Bei einem erwarteten Wasserdurchfluss von 160 m3/s und einer Energieproduktion von 4.450 GWh – ein jährlicher Energieverbrauch von ca. 1 Mio. Haushalten – müssten die Augen von Sigurdur Arnalds eigentlich leuchten. Der Ingenieur von Landsvirkjun wirkt aber nicht begeistert, nicht nur weil die Amerikaner das Werk, das gut 1,3 Mrd. Euro kosten wird, unbedingt wollten, sondern weil keiner weiss, ob nach den 40 vereinbarten Jahren nicht die Geothermie die Wasserkraft ablösen wird. Sein Zweckoptimismus:

Der erste große Vorteil liegt im Wirtschaftlichen. Der zweite grosse Vorteil liegt darin, dass dort direkt Arbeitsplätze für die Menschen in Ostisland entstehen, ungefähr 400 bis 500.

Ungefähr dieselbe Anzahl von Arbeitsplätzen erhoffen wir noch dazu uns im Bereich der Zulieferfirmen und Dienstleitungen. Wir hätten also für Ostisland ungefähr 1000 neue Arbeitsplätze. 0´35

Freie Arbeitsplätze werden momentan mit Zeitarbeitern aus Polen, Rumänien und China besetzt. Die Proteste gegen Arbeitsimmigranten füllen derzeit ganze Leserbriefspalten. Hinzu kommt, dass der Stausee für die Umwelt extrem schädlich sein könnte. Denn das Wasserniveau im Reservoir wird je nach Jahreszeit um 70 Meter schwanken, und im Frühjahr vor der Schneeschmelze würde an beiden Ufern des Sees ein anderthalb Kilometer breiter Streifen nackten Bodens trockenfallen – Methangase en gros wären vorprogrammiert. Wenn dann die gefürchteten Sandstürme Islands kommen, könnten sie auf der Ostseite des Sees 30 Millionen Kubikmeter Erdreich mit sich reißen.

Kampf gegen den Bau

Der Grossteil der Westisländer, vor allem in der Hauptstadt Reykjavik, ist strikt gegen den Staudamm, denn die Energie braucht man nicht und die Arbeitslosigkeit liegt auf Island bei 3,5%.

Der Grossteil der Ostisländer ist mittlerweile jedoch für den Staudamm, denn, so der Bürgermeister des betroffenen Gebietes Eirikur Björn Björnviksson: Man erhofft sich einen Stopp der grassierenden Landflucht der Bevölkerung:

Das sind jetzt 11 000, aber früher waren wir 15 000. Wir hoffen natürlich, dass wir wieder 15 000 werden, das kommt aber langsam. Wir müssen eher aufpassen, dass es nicht zu schnell geht und wir mitmachen können. Wir haben ja 3500 Arbeitsplätze hier und mit den Arbeiten kommen noch 1500 dazu, dann sind es schon 5000 Leute hier bis 2008. 0´27

Für Arni Finsson ist die Rechenschieberei nur eine Beschwichtigungstaktik. Dennoch hat er als Chef der isländischen Naturschützer den Kampf gegen „Karanjukar“ nahezu aufgegeben. Denn das nächste Desaster droht bereits in einem anderen Gebiet östlich von Reykjavik mit einem weiteren Kraftwerk. Resigniert verweist er im Fall Karanjukar auf den Vielleicht-Erfolg von Anfang Januar: Die isländische Regierung will den dritten der zwei betroffenen Gletscherflüsse des Vatnajökull in einem riesigen Naturreservat schützen lassen. Von der Nordküste bis zum Gletscher soll die Natur sich selbst überlassen bleiben, wurde angekündigt:

Es gab eine Absichtserklärung im Kabinett, dass diese Region unter Schutz gestellt werden soll. Alle Parteien haben zugestimmt. Jetzt wird es noch 5 bis 7 Jahre dauern, ehe dieser Naturschutzpark eingerichtet ist. Das ist nicht das, was wir wollten. Von den drei Flüssen gehört nur noch einer zum Naturschutzpark, aber wir haben wenigstens diesen einen schützen können und das riesige Schutzgebiet erstreckt sich dann von der Nordküste bis zum Gletscher im Süden. 0´35

Doch die Naturschützerin Osk Vilhjalmsdottir glaubt nicht an dieses Naturschutzreservat. Erst kürzlich hat die isländische Umweltministerin lapidar fallen lassen, dass Naturschutzgebiete ja auch aufgehoben werden können – bei wirtschaftlichem Interesse.

Dass während der Bauarbeiten erstmals überhaupt Fundstücke aus der für Isländer heiligen Besiedlungszeit aufgetaucht sind – diese archäologische Sensation wagt man gar nicht zu erwähnen.

ENDE